Medienwandel und Hexenjagd
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MARKETING & MEDIA Redaktion 16.02.2024

Medienwandel und Hexenjagd

Wann, glauben Sie, fanden Hexenjagden und ­Hexenverbrennungen statt? Im Mittelalter? Falsch.

Gastkommentar ••• Von Corinna Milborn

WIEN. Hexenverfolgungen sind ein Phänomen der Frühen Neuzeit – der Höhepunkt fand zwischen 1550 und 1650 statt – und hängen eng mit einem Medienwandel zusammen. Die Parallelen zu heute sind einen Blick wert.

Drei Mio. Menschen, drei Viertel davon Frauen, wurden als Hexen angeklagt, über 40.000 hingerichtet. Es war, wie heute, eine Zeit der Krisen: Ein Klimawandel („Kleine Eiszeit”) führte zu Ernteausfällen und Inflation, die Pest wütete, Kriege verbreiteten Unsicherheit, zarte Emanzipationsansätze von Frauen weckten Ängste vor der Aufweichung der Geschlechterrollen, auf denen die Gesellschaft aufbaute.
Doch der Brandbeschleuniger für die Massenverfolgung von Hexen war eine Medieninnovation: Die Erfindung des Buchdrucks ermöglichte, Verschwörungstheorien auf Flugblättern zu verteilen. Was vorher lokal begrenzte Gerüchte waren, wurde nun massenhaft verbreitet. Was vorher wegargumentiert werden konnte, wirkte durch die Schrift – die bis dahin Mönchen und somit absoluter kirchlicher „Wahrheit” vorbehalten war – nun wie unumstößlicher Fakt. Hauptziel der Anschuldigungen, mit dem Teufel im Bunde zu stehen, wurden Frauen, die sich nicht an die strikte patriarchale Ordnung hielten, nach der Männern der öffentliche Bereich vorbehalten bleibt, Frauen, die irgendwie öffentlich auffielen.

Der Social Media-Mob …

Diese zerstörerische Kraft von Massenmedien wurde in Europa durch Mediengesetze gebändigt: Erfundene Anschuldigungen zu verbreiten, gegen Menschengruppen zu hetzen, ist Medien aus guten Gründen verboten. Nur: Die neuen Massenmedien Meta, Google, TikTok sind weder in Europa angesiedelt, noch fallen sie (Plattformprivileg) unter das Medienrecht. Zugleich sind sie durch die Personalisierung viel mächtiger als Flugblätter: Sie pushen Lügen und Hass, weil Emotion mehr Viewtime schafft als Fakten. Sie servieren sie so, dass sie User in ihrer größten psychischen Unsicherheit trifft, weil sie die Daten dazu haben. Sie blenden jede Gegenstimme aus, schaffen parallele Informationswelten – und die Möglichkeit, das in „Nachrichtenstudios” zu tun, in denen Männer mit Krawatten ihre Lügen mit so viel Glaubwürdigkeit vermitteln wie Schrift in der frühen Neuzeit.

Zugleich weckt die Emanzipation von Frauen weiterhin Hass und Panik. Frauen an der Öffentlichkeit bleiben eine Anomalie. Rechtsextreme Gruppen haben die Aufrechterhaltung traditioneller Geschlechterrollen zur Überlebensfrage der Gesellschaft stilisiert, zu beobachten als Abtreibungsverbote in den USA oder Kopftuchgebote bei Islamisten. Aber die Irritation durch Frauen in Führungspositionen und mit öffentlicher Reichweite beschränkt sich nicht auf Rechtsextreme, sie reicht weit in die Mitte der Gesellschaft.
Damit sind alle Zutaten für moderne Hexenjagden vorhanden. Und ja, manchmal sind auch Männer betroffen. Aber während sie für den Mob als „satisfaktionsfähig” gelten – also eine Duell-Ansage, eine Kriegserklärung ausgesprochen wird –, ist bei Frauen deren bloße Existenz in der Öffentlichkeit verhasst. Ziel des Mobs ist bei Frauen nicht der Sieg, sondern die Vernichtung, Mittel ist nicht der Kampf, sondern die Entwürdigung als Frau. Es braucht nur eine kleine Lüge, eine gezielte Rufschädigung, um diesen Vernichtungsfeldzug loszutreten. Und am wirkungsvollsten setzen ihn jene ein, die auf die Social Media-Imperien Russlands und der Neuen Rechten in den USA bauen können, deren Anhänger von vornherein empfänglich sind für Frauenfeindlichkeit: Rechtsextreme.

… und die Konsequenzen

Es gibt eine einfache Lösung, die man nicht neu erfinden muss: Strikte Anwendung des Medienrechts für Social Media, europaweit. Und eine klare Konsequenz, wenn es nicht kommt: Die Verdrängung von Frauen aus dem digitalen öffentlichen Raum. Und dann sind die Parallelen zum Mittelalter doch näher, als man es sich wünscht.

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