„Meta kontrolliert unsere Demokratie”
© APA/dpa/Jens Büttner
MARKETING & MEDIA Redaktion 13.09.2024

„Meta kontrolliert unsere Demokratie”

Der Medienwissenschaftler Martin Andree über die zunehmende Macht der Tech-Giganten und wie die Politik diese Entwicklung stoppen kann.

••• Von Oliver Jonke

Seit mehr als 15 Jahren forscht der Medienwissenschaftler und außerplanmäßige Professor mit Schwerpunkt für Digitale Medien an der Universität zu Köln, Martin Andree, zur Vormachtstellung der großen Digitalkonzerne, genannt „Big Tech”. Seine Forschungsarbeiten zeigen, dass einige US-amerikanische Plattformen – wie Google, Facebook, Instagram und Amazon – nahezu den gesamten Datenverkehr im Internet beherrschen.

Im ausführlichen medianet-Interview erzählt Andree, wie es zu dieser Vormachtstellung gekommen ist, welche Folgen die aktuelle Situation für den Medienmarkt in Europa hat und wie die Macht der Big Tech-Plattformen gesetzlich eingeschränkt werden kann.


medianet:
Herr Andree, Ihr Buch ‚Big Tech muss weg!' trägt den Untertitel ‚Die Digitalkonzerne zerstören Demokratie und Wirtschaft' und beinhaltet auch das Versprechen ‚Wir werden sie stoppen'. Nun, nach gründlicher Lektüre Ihrer Analyse, scheint dies alles andere als trivial zu sein. Lassen Sie uns noch, bevor wir dazu kommen, wie man diese Entwicklung stoppen kann, zusammenfassen, wie schlimm die Situation ist – welche Plattformen sind in Europa zurzeit auf welchen Gebieten in welchem Ausmaß marktbeherrschend?
Martin Andree: Besonders kritisch würde ich als Medienwissenschaftler immer die demokratierelevanten digitalen Mediengattungen sehen. Denn Medienmonopole sind in den westlichen Ländern in der Regel verfassungswidrig. Betroffen sind vor allem die Kategorie der Suchmaschinen mit 88 Prozent Nutzungsanteil Google von Alphabet, Gratis Video-on-Demand mit 78 Prozent Nutzungsanteil YouTube, ebenfalls Alphabet, sowie Social Media mit 85 Prozent Nutzungsanteil Facebook und Instagram, beide von Meta.

medianet:
Tatsächlich handelt es sich bei zahlreichen Plattformen eigentlich um Medien, doch gerne wird von ebendiesen Plattformen der Begriff vermieden. Woran liegt das?
Andree: Plattformen monetarisieren konkrete Inhalte, wie jeder andere Medienanbieter auch, also etwa Zeitungen, Radio oder Fernsehen. Es ist ihnen aber gelungen, die Regulierer hinters Licht zu führen und denen weiszumachen, sie seien nur so etwas Ähnliches wie Infrastrukturen. Deshalb dürfen sie bis heute konkrete Inhalte durch Werbung oder Gebühren monetarisieren, ohne für dieselben Inhalte die Verantwortung zu übernehmen.

medianet:
Wie ist es diesen Plattformen in Europa gelungen, quasi unbemerkt dem Medienmarkt so viel Nutzeraufmerksamkeit und in weiterer Folge so viel Werbegeld wegzunehmen?
Andree: Zunächst einmal ist Aufmerksamkeit eine begrenzte Ressource – weswegen die digitale Transformation per se Nutzung aus den früheren, analogen Medien substituiert. Aufgrund der offensichtlichen Monopolisierung ist genau das ein riesiges Problem für die Medienhäuser, die aus der analogen Welt kommen – denn sie haben in der digitalen Welt keine echte Chance, sich gegen die Tech-Monopole durchzusetzen.

medianet:
Welcher Zukunft sehen herkömmliche Medien in Europa nun entgegen?
Andree: Die demokratierelevanten digitalen Mediengattungen ‚gehören' Alphabet und Meta, sie kontrollieren unsere politische Öffentlichkeit und somit auch unsere Demokratie, derweil die redaktionellen Medien ihre ­Finanzierungsgrundlage verlieren.

medianet:
Wie ist diese Entwicklung noch aufzuhalten? An welchen Stellschrauben können Medien drehen, um sich zu wehren?
Andree: Im Buch zeige ich ja recht einfache Wege, durch die wir die digitalen Märkte auf eine ähnliche Weise öffnen könnten, wie dies etwa in den 90er-Jahren auf dem Feld der Telekommunikation in Deutschland erfolgt ist. Sobald wir beispielsweise die Plattformen radikal für Outlinks öffnen oder etwa offene Standards ab einer bestimmten Größe erzwingen, hätten auch Anbieter außerhalb der Plattformen wieder eine Chance.

medianet:
Das Überleben von Qualitätsjournalismus ist ja für alle Demokratien essenziell. Was können Endverbraucher und Unternehmen dazu beitragen?
Andree: Unter monopolistischen Bedingungen sind die Nutzer weitgehend entmachtet, da sie keine realistische Wahl mehr haben – das zeigen auch die vielen gescheiterten Boykotte. Die Nutzer müssen vielmehr der Politik Druck machen, den Status quo zu ändern.

medianet:
Hier geht es, wie Sie in Ihrem Buch ausführen, im Grunde auch um das Überleben der Demokratie in Europa. Was genau muss in der europäischen Gesetzgebung gemacht werden, welche gesetzlichen Maßnahmen sollten auf nationaler Ebene realisiert werden?
Andree: Wir müssen hier die Verantwortlichkeiten effizienter machen – selbst wenn das beispielsweise in Deutschland etwa erfordern würde, das Grundgesetz zu ändern. Es ist aber notwendig – denn so erlauben wir den Tech-Riesen, mit den verschiedenen Instanzen Katz und Maus zu spielen.

medianet:
Nach einem ähnlichen Muster streben chinesischen Handelsplattformen auf den europäischen Markt. Wie sind dazu Ihr Befund und Ihre Prognose? Was sollte in der europäischen bzw. in der jeweils nationalen Gesetzgebung getan werden?
Andree: Medienregulierung muss immer prinzipiengeleitet sein. Ich sehe aktuell in Bezug auf chinesische Anbieter keine Marktdurchdringung, die vergleichbar wäre mit derjenigen der US-Player. Umgekehrt hilft digitale Souveränität uns allen – auch in Bezug auf chinesische Plattformen.

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