Wie schauen wir fern?
© ORF/Alex Gotter
Roland Weißmann (ORF-General­direktor): „81 Prozent nutzen ORF.”
MARKETING & MEDIA Redaktion 26.04.2024

Wie schauen wir fern?

Dem TV-Markt geht es gut. Damit das so bleibt, spielt Streaming eine wesentliche Rolle. Die Branche kommt diesem Bedürfnis entgegen.

••• Von Georg Sohler

Der Fernseher ist aus den heimischen Wohnzimmern nicht wegzudenken. Dabei müsste man es heutzutage so formulieren: Devices, mit denen linear oder bei Bedarf Angebote von TV-Sendern oder Streaming-Anbietern konsumiert werden können, nehmen eine große Rolle im Leben der Menschen ein.

Der Platzhirsch ist natürlich der ORF. „Jeden Tag nutzen 6,1 Millionen Menschen den ORF, das sind 81 Prozent der Bevölkerung. Allein das ORF-Fernsehen erreicht täglich 3,6 Millionen Zuseher”, erklärt ORF-Generaldirektor Roland Weißmann auf medianet-Anfrage. Schon seit Langem ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk aber nicht mehr der einzige Player am Markt. Wie geht es der TV-Branche im Jahr 2024?

Bestandsaufnahme

„Das klassische TV ist weiterhin die liebste Freizeitbeschäftigung der Österreicher”, erklärt ProSiebenSat.1 Puls 4-CCO Michael Stix. Der Privatsender registriert auch die Fragmentierung in der Mediennutzung und beobachtet diese aufmerksam. Dabei spielt Streaming für Enduser sowie Werbekunden eine große Rolle, der das Streamingangebot Joyn gerecht werden will: „Wir sehen, dass sich Zielgruppen, die über klassische Medien oder Verbreitungswege weniger erreicht werden, nun auf Joyn wiederfinden.”

David Morgenbesser, CCO/Head of Commercial im Red Bull Media House, meint: „Der Bewegtbildkonsum ist auf einem konstant hohen Niveau; es gibt so viele Angebote und Nutzungsmöglichkeiten wie nie zuvor. Der heimische Markt steckt mitten in der Digitalisierung.” Mit ServusTV On hat man schon seit geraumer Zeit ein Streaming­angebot mit mittlerweile sechs Mio. Views pro Monat. Ein Plus für den Salzburger Sender: Die Fußballeuropameisterschaft, die wohl Quotenrekorde bringen wird.

Mit Streaming sind die Privaten aber nicht alleine, wie Weißmann klarstellt: „Angesichts der vermehrten Streaming-Nutzung haben wir mit Innovationen wie der Streamingplattform ORF On Angebote gestartet, um die Zuseher noch besser abzuholen.”

Ebenfalls zumindest teilweise rot-weiß-rot ist das Angebot, das Goldbach vermarktet, unter anderem KurierTV. Josef Almer, Managing Director in Österreich, zieht eine aus heimischer Sicht nicht unerfreuliche Bilanz: „Generell sehen wir eine anhaltend hohe Nachfrage nach kuratiertem, brandsafem Bewegtbild-Umfeld, vor allem am Big Screen. Gleichzeitig scheint das Wachstum der internationalen Streamingplattformen deutlich ins Stocken zu geraten und die verfügbaren Reichweiten für Werbekunden geringer als erwartet zu sein.”
Walter Zinggl, der mit IP Österreich unter anderem Sky Sport Austria, oe24.tv, aber auch RTL-Sender vermarktet, sagt dazu: „Die Zuschauer haben mehr denn je die Freiheit, zu wählen, was sie sehen wollen, wann und wo sie es sehen wollen, und das auf einem Gerät ihrer Wahl. Die technologischen Fortschritte, insbesondere die Digitalisierung und die Entwicklung von Streamingplattformen, haben die Art und Weise, wie wir Fernsehen konsumieren, verändert.”

TV nach Corona

Mit schuld daran ist die Pandemie. Denn die letzten Jahre waren ein Boost für TV (und Streaming) – schließlich verbrachten die Menschen während der diversen Corona-Vorsichtsmaßnahmen viel Zeit zu Hause und somit auch vor Endgeräten, teils wegen Information, teils als Zeitvertreib. Der TV-Konsum ist speziell während der ersten Monate der Pandemie auf ein Rekordniveau gestiegen. Puls 24 hatte beispielsweise im ersten Lockdown im April 2020 den höchsten Marktanteil seit Senderbestehen, im März 2024 dann den zweithöchsten – eine große Rolle spiele für Stix hierbei das Strea-ming, vor allem eben bei den Jungen: „Speziell diese Zielgruppe hat auf ein Streaming-Angebot gewartet und nutzt unsere App tatsächlich zu einem größeren Anteil als mobil auf den großen Screens der Smart TVs.”

Morgenbesser sagt aus ServusTV-Sicht: „Das sieht man anhand der Zahlen während Corona und auch bei der Entwicklung danach.” Entscheidend dafür wären Qualität und unverwechselbarer Content, um sich vom Wettbewerb zu differenzieren.

Almers Attest: „Corona hat zu einer deutlichen Zunahme der Bewegtbildnutzung geführt – und gemäß der gemeinsam von AGTT und RTR durchgeführten Bewegtbildstudie war die Bewegtbildnutzung 2023 über alle Zielgruppen weiterhin höher als vor Corona. Der weitaus größere Anteil davon entfällt auf TV-Inhalte, wobei hier zusätzlich zur linearen Verbreitung immer mehr auch Online- und Aggregator-Plattformen zum Konsum genutzt werden.”
Dass Information in Zeiten einer Pandemie eine große Rolle spielt, scheint auf der Hand zu liegen. Zinggl erklärt, was TV auch nach der Coronapandemie ausmacht: „Live-Übertragungen, Sport, News und Reality-Formate erzielen Spitzenreichweiten. Um breite Zielgruppen mit großer Nettoreichweite zu erreichen, wird das Medium daher auch künftig unverzichtbar sein.”

Digitale Chancen

Eine wesentliche Rolle, um den Menschen qualitativ hochwertige Information, gut gemachte Unterhaltung und Spitzensport in die Wohnzimmer – oder wo sonst auch immer hin – zu liefern, muss aber bezahlt werden.

Dabei helfen zunächst einmal Zahlen, etwa die Goldbach Advanced TV-Studie. Die Nutzung von non-linearen TV-Angeboten nähert sich der linearen TV-Nutzung sukzessive an und hat sich vor allem in der jungen Zielgruppe inzwischen etabliert, erklärt Almer. Für beide Arten des TV-Konsums gilt außerdem: Im Durchschnitt sitzen 2,2 Personen gemeinsam vor dem TV-Gerät. Connected TV ist also wie auch schon lineares TV ein klassisches One-to-many-Medium. Das biete viele Chancen, „vom klassischen Spot und TV-Sonderwerbeformen, über Addressable TV, Connected TV Spots und Ads bis hin zu Dynamic Ad Insertion (DAI).” Wo Chancen sind, gibt es aber auch Herausforderungen. Das gilt wohl auch für die Sender an sich und auch nach der Pandemiezeit.

Neue Werbemöglichkeiten

Für Zinggl sind die Möglichkeiten „faszinierend”, um Werbebotschaften auf die Zuschauer zuzuschneiden: „Technologien wie HbbTV (Hybrid Broadcast Broadband TV) erlauben die Schaffung gänzlich neuer Werbeformate und -umfelder und dadurch eine erhöhte Relevanz und Wirkung zu erzielen.”

Stix sieht hierbei ebenfalls Potenzial, etwa durch AddressableTV mit den neuen Werbeformen, bei denen L-förmige Werbung große Aufmerksamkeit ermöglichen. Stolz ist man auf Digital Ad Insertion (DAI). Diese innovative Technologie ermöglicht es den Streamern, an ihre Zielgruppe angepasste Werbeinhalte anzuzeigen.”
Morgenbesser warnt indes vor dem Abfluss heimischer Werbegelder an die Big-Tech-Giganten, hofft auf mehr Gegensteuern, um die Wertschöpfung im Lande zu halten: „Wir setzen primär auf emotionale und glaubwürdige Produktintegration, springen nicht jeden Trend auf und versuchen eigene innovative Angebote zu entwickeln – etwa mit unseren interaktiven Grafiken beim Live-Sport.”

Der Marktausblick

Wie wird sich der Markt entwickeln? Almer meint, man könne mit digitalen Werbeformen Zielgruppen eben punktgenau ansprechen: „Zusammengefasst ist es für Werbekunden künftig noch zielgenauer und umfassender möglich, hohe Reichweiten im kuratiertem Bewegtbild-Umfeld am Big Screen zu erzielen.”

Zinggl sagt abschließend: „Wir bleiben stets am Puls der aktuellen Entwicklungen und treiben die Schaffung neuer digitaler Werbeformen voran, um den sich stetig wandelnden Bedürfnissen des TV-Marktes gerecht zu werden.”

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