Die Angst vor dem „Financial Long Covid”
© Handelsverband | „Es brennt der Hut!” Bei der Neujahrs-PK des Handelsverbands läuteten Präsident Stephan Mayer-Heinisch (l.) und Geschäftsführer Rainer Will die Alarmglocken.
RETAIL Redaktion 14.01.2022

Die Angst vor dem „Financial Long Covid”

Wiederkehrende Lockdowns, ausbleibende Hilfen und mangelnde Strategien machen den Handel unrund.

••• Von Paul Hafner

Mit den neuen Infektionsrekordzahlen hat auch die Unruhe und Besorgtheit des Handels eine neue Dimension erreicht – zumindest konnte man sich dieses Eindrucks bei der Neujahrs-Pressekonferenz des Handelsverbands nicht erwehren. Deren Geschäftsführer Rainer Will schlägt Alarm („Es brennt der Hut”) – und serviert dazu düstere Zahlen: Allein im Jahr 2020 hätten rund fünf Prozent aller Geschäfte schließen müssen, bereinigt um Neugründungen sind das 4.040 an der Zahl. Die Umsätze gingen branchenübergreifend um vier Prozent zurück. Die Gesamtjahresprognose für 2021 weist zwar wiederum eine moderate Steigerung von rund drei Prozent gegenüber 2020 auf; um die durchschnittlichen Preissteigerungen bereinigt, wuchs der stationäre Handel aber real um nur ca. 1,5%.

Die wahre Problematik des Handels lässt sich aus diesen Gesamtzahlen freilich nicht herauslesen: Handel sei nicht gleich Handel, erklärt Will, immerhin gäbe es auch eine Reihe an Krisengewinnern. Doch für die Krisenverlierer wird es zunehmend richtig eng – „und es sind bei Weitem nicht nur die kleinen Einzelkämpfer betroffen”. Neben den großen Krisenverlierern aus dem Bereich des Mode- und Schuhhandels seien etwa auch stationäre Retail-Generalisten betroffen; Traditionshäuser würden „teils nur noch auf dem Papier existieren”.

Fataler fünfter Lockdown

War 2021 zeitweise von Optimismus angesichts der Impfung gekennzeichnet, kehrte – wenn nicht mit dem nur langsamen Impffortschritt – spätestens mit dem Auftauchen der Omikron-Variante die große Ernüchterung ein: Am 16. November trat der bis heute gültige „Lockdown für Ungeimpfte” in Kraft, der zwischen 22. November und 11. Dezember auf die gesamte Bevölkerung ausgedehnt wurde – und damit den Black Friday sowie drei Weihnachtssamstage miteinschloss.

Jener Lockdown sei „nicht gerechtfertigt gewesen”, betont der ebenfalls zur Pressekonferenz geladene Kastner & Öhler-Vorstand Martin Wäg, und habe das Kaufhaus „acht Prozent des Jahresumsatzes” gekostet. „Das Zusperren des Handels hat Kontakte beschränkt, die keinen Einfluss auf das Lockdown-Geschehen hatten. Da müssen und werden wir auch die Politik zur Verantwortung ziehen”, so Wäg. Konkret zog Kastner & Öhler mit 61 weiteren Händlern zum Verfassungsgerichtshof und stellte einen Individualantrag wegen vermuteter unverhältnismäßiger Einschränkung der Erwerbsfreiheit.

Hilfen kommen nicht an

Regional variierend hätten Geschäfte seit Pandemiebeginn bis zu 152 Tage unfreiwillig schließen müssen, rechnet Handelsverband-Präsident Stephan Mayer-Heinisch vor – obwohl, wie er im Rahmen der Pressekonferenz mehrmals betont, der Handel, „durch eine Vielzahl an Studien belegt”, kein Corona-Hotspot sei.

Man habe alle Maßnahmen stets mitgetragen, auch die am Dienstag in Kraft getretenen Kontrollmaßnahmen (s. Seite 36), doch würden die vonseiten des Staats zugesagten Hilfen nur sehr verzögert und spärlich oder gar nicht ankommen und jedenfalls unzureichend sein, wie neben Wäg auch Ernst Mayr, Geschäftsführer von Fuschl Modestraße, bestätigt.
Ändert sich hieran nichts, droht Mayer-Heinisch zufolge eine „betriebswirtschaftliche Katastrophe”: geringe Liquidität bei einer gleichzeitigen Schwächung des Eigenkapitals. „Die Hilfen müssen endlich ankommen, wir ersticken in unserer eigenen Bürokratie. Wir brauchen eine Entlastung der Lohnnebenkosten, eine Bürokratiebremse, kurzfristig Liquidität und längerfristige Maßnahmen für die Eigenkapitalstärkung.”

Damoklesschwert

Nicht nur ein Mal spricht Mayer-Heinisch angesichts ausbleibender Hilfeleistungen von drohendem „Financial Long Covid” – und spricht damit ein bislang weitgehend sekundär abgehandeltes Thema an: Dass die Pandemie einen langen Schatten werfen wird, und nicht jedes Unternehmen, welches mit Müh und Not die Krise übersteht, auch für zukünftige Herausforderungen gewappnet sein wird. Die große Insolvenzwelle ist vielleicht erst im Anrollen.

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