Druck der EU-Kartellwächter: Amazon lenkt ein
© APA AFP Johannes Eisele
RETAIL Redaktion 18.07.2019

Druck der EU-Kartellwächter: Amazon lenkt ein

Amazon ändert per Mitte August Marktplatz-Geschäftsbedingungen. Deutsches Kartellamt und österreichische Bundeswettbewerbsbehörde stellten Ermittlungsverfahren ein.

BRÜSSEL/SEATTLE/WIEN. Die EU-Wettbewerbshüter nehmen wegen möglicherweise illegaler Geschäftspraktiken den Umgang von Amazon mit Händlern auf seiner Internetplattform ins Visier. Gegen den US-Onlinehändler sei eine offizielle Untersuchung eingeleitet worden, teilte die EU-Kommission am Mittwoch in Brüssel mit.

Als Plattform habe Amazon eine doppelte Funktion, betonte die Kommission. Zum einen verkauft das Unternehmen selbst als Einzelhändler Produkte auf seiner Internetseite. Zum anderen stellt es einen Online-Marktplatz zur Verfügung, über den andere Händler ihre Waren direkt an Kunden verkaufen können.

Dabei sammle Amazon laufend Daten über diese Händler, ihre Produkte und das Kundenverhalten, erklärten die Wettbewerbshüter weiter. Konkret wollen sie nun der Frage nachgehen, ob und wie die Nutzung dieser Daten den Wettbewerb einschränkt und ob Amazon sie nutzt, um Händler in lukrativen Geschäftsbereichen zu verdrängen. Dazu will die Brüsseler Behörde unter anderem die Standardvereinbarungen zwischen Amazon und den anderen Marktplatzhändlern prüfen.

In den Fokus will die EU-Kommission auch die sogenannte "Buy Box" nehmen. Mit diesem Kaufbutton können Kunden Produkte von Drittanbietern direkt in ihren Amazon-Einkaufswagen befördern. Diese "Buy Box" zu erhalten, sei für die Händler entscheidend, da ein Großteil der Einkäufe über sie getätigt würden, erklärten die Wettbewerbshüter weiter. Händler müssen in der Regel aber eine Reihe von Voraussetzungen erfüllen, bevor sie diesen Einkaufswagen-Link bekommen. Die Rolle von Daten bei diesem Vergabeverfahren werde ebenfalls untersucht, hieß es.

Die Plattform für Waren von Drittanbietern ist für den US-Konzern immens wichtig. Nach Firmenangaben stammen 58 Prozent des weltweit über Amazon erwirtschafteten Bruttowarenumsatzes von diesen Verkäufern.

"Der elektronische Handel hat den Wettbewerb im Einzelhandel angekurbelt und zu einer größeren Auswahl und günstigeren Preisen geführt", sagte die zuständige EU-Kommissarin Margrethe Vestager. "Wir müssen sicherstellen, dass große Online-Plattformen diese Vorteile nicht durch wettbewerbswidriges Verhalten aushebeln."

Für die Untersuchung gibt es keine Frist. Sollte die EU-Kommission letztlich illegales Verhalten feststellen, kann sie Strafen in Milliardenhöhe verhängen und eine Änderung des Geschäftsmodells auferlegen.

Amazon zeigte sich kooperationsbereit. "Wir werden vollumfänglich mit der Europäischen Kommission kooperieren und weiterhin daran arbeiten, Unternehmen jeder Größe in ihrem Wachstum zu unterstützen", sagte ein Firmensprecher.

Amazon ist der weltgrößte Internethändler. Das Unternehmen mit Sitz in Seattle im US-Bundesstaat Washington erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz von 233 Mrd. Dollar (208 Mrd. Euro), das war ein Zuwachs von 31 Prozent.

Neben dem Handelsgeschäft ist inzwischen die Cloud-Sparte AWS, deren Dienste auch von vielen anderen Tech-Unternehmen genutzt werden, ein lukratives Standbein. Der Konzern rückte auch in das Geschäft mit Musik- und Videostreaming vor und stellt mit der Alexa-Software in seinen vernetzten Echo-Lautsprechern einen der meistgenutzten Sprachassistenten.

Das Unternehmen stand bereits in der Vergangenheit im Visier der Wettbewerbshüter, etwa wegen unzulässiger Steuerdeals in Luxemburg. Im Jahr 2017 erklärte die EU-Kommission eine Regelung Luxemburgs für Amazon für nicht rechtens und forderte die Behörden des Landes auf, rund 250 Millionen Euro plus Zinsen zurückzufordern. Amazon wehrt sich beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen den Beschluss, der Fall könnte sich noch über Jahre hinziehen.

Nach Beschwerden von Händlern haben auch das deutsche Kartellamt und die österreichische Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) den Amazon-Marktplatz unter die Lupe genommen. Die Kartellwächter kündigten am Mittwoch an, das Ermittlungsverfahren einzustellen, weil Amazon die Geschäftsbedingungen (AGB) per Mitte August ändert und den Händlern mehr Rechte einräumt.

Die nun angekündigten Änderungen der Marktplatz-Geschäftsbedingungen betreffen den einseitigen Haftungsausschluss zugunsten von Amazon, die Kündigung und Sperrung der Konten der Händler, den Gerichtsstand bei Streitigkeiten sowie den Umgang mit Produktinformationen und viele andere Fragen. Der Handelsverband, der die Beschwerde im Dezember 2018 bei der BWB einbrachte, begrüßte die "wesentlichen AGB-Änderungen".

"Ein beispielsweise plötzliches und unbegründetes Kontosperren sollte nicht mehr möglich sein", erklärte BWB-Generaldirektor Theodor Thanner am Mittwoch. Die BWB will die Umsetzung der neuen Geschäftsbedingungen genau überwachen. "Es ist wichtig, zwischen Unternehmen mit Marktmacht und kleinen Händlern in der digitalen Welt Fairplay zu schaffen", so der oberste Wettbewerbshüter.

In Österreich ist der Onlinehandel fest in der Hand von Amazon. Das deutsche Handelsforschungsinstitut EHI schätzte den Amazon-Umsatz in Österreich für 2017 auf 643 Mio. Euro, dabei sind hier Film- und Musik-Streamingdienste sowie Waren, die Dritthändler auf Amazon anbieten, noch gar nicht mitgerechnet - denn hierfür kassiert der Onlineriese Provision. Alles zusammen dürfte sich 2017 der Umsatz von Amazon in Österreich auf mehr als 1,2 Mrd. Euro belaufen haben. Für 2018 liegen noch keine Zahlen vor. Zum Vergleich: Der zweitgrößte Online-Händler in Österreich - der deutsche Modehändler Zalando - kam in Österreich zuletzt auf einen Umsatz von 230 Mio. Euro.

Amazon nimmt eine Doppelrolle ein - der US-Konzern ist selbst der größte Online-Händler in Österreich und Deutschland und betreibt zusätzlich einen großen Internet-Marktplatz, auf dem andere Händler ihre Waren verkaufen können. Heimische Online-Händler hatten gegenüber den Wettbewerbshütern unter anderem die ungerechtfertigte Sperrung und Schließung von Amazon-Marktplatzhändlerkonten, das Einbehalten von Guthaben gesperrter Marktplatzhändler, die mangelhafte Kommunikationsmöglichkeiten und die Offenlegung von Einkaufspreisen kritisiert.

Österreichische Online-Händler hatten in der Vergangenheit zahlreiche Geschäftspraktiken rund um den Amazon-Marktplatz kritisiert. Der Handelsverband zeigte sich mit den freiwilligen Änderungen der Geschäftsbedingungen durch Amazon zufrieden. "Damit sind wir unserem Ziel, einen fairen Marktplatz für alle Händler und Konsumenten sicherzustellen, einen entscheidenden Schritt näher gekommen", so Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will am Mittwoch in einer Aussendung. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) aus Österreich exportierten 2018 über Amazon Produkte im Wert von rund 300 Mio. Euro, teilte der US-Konzern im Mai mit.

Die heimische Wettbewerbsbehörde befragte im Frühjahr 400 der umsatzstärksten österreichischen Marktplatzhändler des "Amazon.de"-Marktplatzes schriftlich und telefonisch. Mehr als 80 Prozent der angeschriebenen Händler retournierten die Unterlagen. Die Marktbefragung habe die Abhängigkeit der Marktplatzhändler von Amazon gezeigt, so das Resümee der Wettbewerbshüter. Die befragten Marktplatzhändler sehen kaum relevante Alternativen, um ihre Kunden zu erreichen und würden auch bei spürbaren Gebührenerhöhungen durch Amazon den Marktplatz großteils nicht verlassen oder wechseln. Ein großer Teil der befragten Marktplatzhändler verkauft ausschließlich oder fast nur auf Amazon. Relevant sind der eigene Webshop, der stationäre Handel und andere Onlinehandelsplattformen nur für wenige Händler. (red)

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