Eine Stadt erfindet sich ihre digitale Währung
© Maren Häußermann
RETAIL Redaktion 26.03.2021

Eine Stadt erfindet sich ihre digitale Währung

In Europa diskutiert man über den digitalen Euro. In der spanischen Kleinstadt Lebrija hat Pepe Barroso den Elio als Zahlungsmittel etabliert.

••• Von Maren Häußermann

LEBRIJA. Weiße Häuschen mit Flachdächern und maximal zwei Stockwerken reihen sich an die leeren Straßen. Gitter vor den Fenstern unterstreichen die Stimmung, welche in Lebrija deutlich spürbar ist, im Lockdown in der Provinz Sevilla, in der spanischen Region Andalusien. Um 18 Uhr schließen die Geschäfte, um 22 Uhr ist Ausgangssperre. Eine 14-Tage-Inzidenz von über 1.000 Infizierten pro 100.000 Einwohnern drückt zusätzlich zum bewölkten Himmel aufs Gemüt.

Aber die 30.000-Einwohner-Stadt weist eine hohe Kreativität auf, um sich nicht unterkriegen zu lassen. Zum Jahreswechsel haben die Haushalte 10.000 Luftballons in Erinnerung an die Verstorbenen und mit Wünschen für das neue Jahr in den Himmel geschickt. Man ist stolz auf das lokale Mischbrot, das eine geschützte Herkunftsbezeichnung erhalten soll. Und um den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie zu begegnen, hat der Gemeinderat Anfang des Jahres eine eigene Kryptowährung, den „Elio”, eingeführt.

Digitales Geld

„Elio Antonio de Nebrija, der Erfinder der spanischen Grammatik? Natürlich kenne ich den”, antwortet ein älterer Mann mit grauer Baskenmütze und Weste auf die Frage nach dem Geld. Er hat sich aus der Gruppe Senioren gelöst, die vor einer Bank steht und sich unterhält. Lebrija ist seine Heimat und die des Philologen, nachdem das digitale Geld benannt ist und auf dessen Statue er nun mit einer Handbewegung verweist. Von ihrem Sockel blickt die Figur des im 16. Jahrhundert Verstorbenen hinunter auf den 40-jährigen Bürgermeister Pepe Barroso, der seine Politik erklärt: „Das ist kein Protektionismus. Es geht um Kundenbindung – wie bei Gutscheinen, die man zum Einkauf erhält.”

Rund 600 Familien können ihre öffentlichen Hilfsgelder in Höhe von einmaligen 50 bis 200 € ausschließlich in lokalen Geschäften ausgeben. Mit dem „Elio”, welcher eins zu eins dem Euro entspricht, zahlen sie 50% des Produktes. Die anderen 50% müssen sie in Euro bezahlen. So will man dem heimischen Handel in der Coronakrise helfen.
Im Ranking der Länder der Eurozone hat Spanien am wenigsten öffentliche Gelder mobilisiert, um der Wirtschaftskrise zu begegnen. Gerade mal 1,3 Prozent des BIP hat die Regierung laut EZB eingesetzt; Österreich dagegen ist auf Platz zwei mit über sechs Prozent.

Rege Teilnahme

Rund 200 Geschäfte machen bisher beim Elio mit. Vor allem an den Bekleidungsgeschäften hängen die Plakate mit der Elio-Ankündigung. In der Boutique von Maria Jose haben schon sieben Leute mit dem digitalen Geld bezahlt; sie zeigt die Liste in ihrer App. Der Taschenrechner auf der Theke ist mit Glitzersteinchen besetzt, ebenso wie die Absätze der Plateuaschuhe, die sie mithilfe ihres Mannes verkauft. Das Rathaus habe sie um die Weihnachtszeit angerufen und erklärt, wie das Ganze funktioniere. Bisher ist die Euro-Auszahlung noch nicht angekommen. Sie zeigt aber Verständnis und Dankbarkeit für die Initiative.

Lebrija lebt hauptsächlich von der Landwirtschaft und hat die Krise deshalb bisher nicht so sehr zu spüren bekommen wie die spanischen Tourismusziele an den Küsten und auf den Inseln. Marschland umgibt die Stadt und Felder, auf denen Gemüse angebaut wird – Tomaten für die Ketchup-Produktion und Baumwolle. Trotzdem ist die Arbeitslosigkeitsrate, wie überall in Andalusien, hoch. In Lebrija lag sie im Dezember 2020 bei 24%.

Der Schritt in die Zukunft

Mit der Kryptowährung versucht man nicht nur die Wirtschaft zu retten, sondern auch einen Schritt in die Zukunft zu gehen, denn durch den Elio kann die Lücke in der Digitalisierung geschlossen werden. Da der Elio nur per Handy ausgegeben werden kann, muss ein Smartphone und eine Internetverbindung vorhanden sein. „Ich finde das problematisch. Es ist ein neuer Weg, die Leute zu kontrollieren”, sagt der Manager einer Gitarrenschule aus Katalonien, der angereist ist, um einem Wettbewerb zwischen Gitarristen am Abend beizuwohnen. „Um das Geld ausgezahlt zu bekommen, muss alles offiziell sein, aber für manche Betriebe ist die Barzahlung überlebensnotwendig.”

„Für uns lohnt sich das nicht”, sagt der Kellner der Taberna del Truji, der mit Maske unter der Coronaschutzscheibe Kaffee nach draußen serviert. „Wir müssen jede Rechnung abfotografieren, in der App hochladen und auf Bestätigung warten, um die Elios vom Rathaus in Euro ausbezahlt zu bekommen.” Auch in der angrenzenden Markthalle hat man sich gegen die freiwillige Einführung des Elio als Bezahlungsmöglichkeit ent­schieden.

Digitaler Euro

Interessant ist das Lebrijaner Projekt mit Blick auf die EU. Denn in Frankfurt diskutiert man aktuell über die Einführung eines digitalen Euro. Die Chefin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, kann sich vorstellen, dass das digitale Geld schon in fünf Jahren parallel zum Bargeld Verwendung findet.

Damit soll u. a. verhindert werden, dass private Anbieter von Fremdwährungen den europäischen Markt beherrschen. Man will das Geld als öffentliches Gut behalten, das für jeden zugänglich ist und von einer zentralen Institution beaufsichtigt wird. Damit wäre gewährleistet, dass die Bürger immer auf den Euro als Währung zurückgreifen können und nicht komplett von Finanzinvestoren abhängig sind, die einfach nur nach der größten Marktmacht streben.

Ein Viertel wird digital bezahlt

Bisher ist die Nachfrage nach bargeldloser Zahlung in der Eurozone allerdings gering: Gerade mal ein Viertel der Zahlungen wird laut EZB-Generaldirektor Ulrich Bindseil digital getätigt. Während der Pandemie deutet sich indes ein Wandel an; als Vergleich dient Schweden, wo in einigen Läden deshalb kein Bargeld mehr angenommen wird, weil es kaum noch jemand verwendet.

Der digitale Euro befindet sich aktuell in der Vorbereitungsphase für einen Projektentwurf. Dem­ensprechend ist die Eurozone noch einige Jahre von einer potenziellen Einführung entfernt. Die digitale Währung wäre dann vermutlich ähnlich wie in Lebrija eine Gegenrechnung zu physischen Euros.
Die Instanz für Kryptowährungen heißt naturgemäß Bitcoin. Mitte Februar hat die digitale Währung Schlagzeilen gemacht, weil sie einmal mehr einen Rekordwert erreicht hat. Mitbeteiligt daran: Tesla-Gründer Elon Musk, der 1,5 Mrd. USD investiert hat. Gleichzeitig hat Mastercard angekündigt, sein Zahlungsnetzwerk für Kryptowährungen zu öffnen.

Bitcoin ist zu volatil

Dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten für Händler und Kunden. Allerdings ist die Bezahlung mit Bitcoin und ähnlichen Währungen bisher schwierig, weil der Kurs so stark schwankt. Bekanntlich können nur 21 Mio. Bitcoin produziert werden, 16 Mio. existieren bereits. Die begrenzte Menge befeuert zwar den Kurs, aber als Zahlungsmittel droht das Problem der Deflation.

Als weiteres Problem gilt, dass es keine zentrale Instanz gibt, die die Währung kontrolliert, beziehungsweise als Ansprechpartner fungiert. Wird eine Transaktion manipuliert und gestohlen oder verliert man den Zugang zu seinem Wallet, ist es kaum möglich, etwas daran zu ändern.
Die Zentralbanken sprechen deshalb bei Kryptowährungen nicht von Währungen, sondern von spekulativen Investments, wie Bindseil es einschätzt. Mit als größtes Handicap wird vor allem gesehen, dass sie auch im illegalen Bereich angewandt werden, weil man die Transfers nicht so gut nachverfolgen kann wie bei elektronischen Zahlungen mit offiziellen Währungen. Gleichzeitig ist der Umgang mit den Daten im privaten Bereich dem jeweiligen Unternehmen überlassen. Auch deshalb suchen die Zentralbanken nach Lösungen. Sie profitieren nicht von den Nutzerdaten – ebensowenig wie das Lebrijaner Rathaus, wie der Bürgermeister bestätigt.

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