Handelsverband stellt Corona-Masterplan vor
© medianet/Katharina Schiffl
Rainer Will.
RETAIL Redaktion 24.02.2021

Handelsverband stellt Corona-Masterplan vor

Masterplan mit drei Schwerpunkten & Zielen vorgestellt: Arbeitsplätze sichern, Eigenkapital stärken, digitale Chancen schaffen.

WIEN. Insgesamt 22.500 österreichische Geschäfte mussten seit Beginn der Coronakrise insgesamt 90 Einkaufstage lang geschlossen halten. Während der drei harten Lockdowns hatte die Branche Umsatzverluste von bis zu einer Mrd. € pro Woche zu verkraften. Je kleiner und je weniger digital der Betrieb, desto dicker das Minus. 100.000 Arbeitsplätze hängen an den betroffenen Unternehmen.

Mit dem Ende des dritten harten Lockdowns und der Wiedereröffnung des stationären Handels haben die heimischen Händler am 8. Februar 2021 endlich "Hilfe zur Selbsthilfe" bekommen. Der Handelsverband hat bereits zum Jahreswechsel das Motto für 2021 mit "Leben und Wirtschaften mit dem Virus" ausgegeben, um Kollateralschäden einzudämmen. Neben der Arbeitsplatzsicherheit sind hier auch soziale und psychologische Faktoren zu nennen. Die staatlichen Hilfen federn zwar das Schlimmste ab, jetzt braucht es aber auch Planungssicherheit – und damit einen Plan für den mittelfristigen und langfristigen Weg in die Zukunft.

Der Handelsverband empfiehlt daher einen umfassenden Corona-Masterplan mit 3 Schwerpunkten (AID-Modell):

Arbeitsplätze retten, Arbeitsplätze dauerhaft sichern & neue Arbeitsplätze schaffen
Insolvenzen verhindern, Eigenkapital stärken & Investitionsanreize setzen
Digitalisierung vorantreiben & digitales Fair Play schaffen

1. Arbeitsplätze retten, Arbeitsplätze sichern & Arbeitsplätze schaffen
Die Coronakrise hat gravierende Auswirkungen auf den heimischen Arbeitsmarkt. Mehr als eine halbe Mio. Menschen in Österreich sind zurzeit arbeitslos, weitere 465.400 Beschäftigte befinden sich in Kurzarbeit. Daher ist die vom Arbeitsministerium federführend veranlasste Verlängerung der Kurzarbeit um weitere drei Monate bis Ende Juni 2021 ein wichtiger Schritt, um akut gefährdete Arbeitsplätze zu retten. Gerade in Phasen des Lockdowns, in denen Unternehmen zusperren oder ihre wirtschaftliche Tätigkeit stark einschränken müssen, ist eine Subventionierung von Arbeitsplätzen mit dem Modell der Kurzarbeit essenziell. Nur so können diese gerettet werden.

Gleichzeitig braucht es gerade im "Lockdown light" auch flankierende Maßnahmen, um Arbeitsplätze langfristig abzusichern. Das gilt insbesondere für jene KMU-Betriebe, die aufgrund ihrer Größe oder anderer branchenspezifischer Faktoren nicht (mehr) auf das Instrument der Kurzarbeit zurückgreifen können. Viele (Handels-)Betriebe haben zurzeit zwar geöffnet, machen aber deutlich weniger Umsatz als zu "normalen" Zeiten und brauchen dennoch die gleiche Besetzung (Sprungfixe Kosten). Jene Unternehmen, die nachweisen können, dass sie vor Corona gesund waren, sollten hierfür neue Unterstützungsleistungen erhalten, um Beschäftigungsverhältnisse nachhaltig sichern zu können.

Der Handelsverband empfiehlt hierfür einen Covid-Arbeitsplatzsicherungs-Bonus, der allen Unternehmen zugutekommen kommen soll, die während der Pandemie von behördlichen Schließungen direkt oder indirekt betroffen sowie mit coronabedingten Umsatzrückgängen konfrontiert waren und deren Personalstand sich im Vergleich zu 2019 nicht reduziert hat. Sinnvoll wäre ein dreimonatiger Bonus von 1.000 Euro für alle angestellten Beschäftigten, die nach Ende der Behaltedauer der Kurzarbeit weiterbeschäftigt werden.

Darüber hinaus sollten jene Unternehmen, die neue Jobs schaffen, zumindest bis Mitte 2022 einen Covid-Arbeitsplatzschaffungs-Bonus erhalten – etwa in Form einer Halbierung oder eines vollständigen Erlasses der Sozialversicherungsbeiträge für den Arbeitsgeber bei Neueinstellungen bis 30. Juni 2022. Alternativ könnte je nach lenkungspolitischer Intention auch ein finanzieller Zuschuss pro Arbeitnehmer für jene Arbeitgeber angedacht werden, die frühzeitig neue Jobs schaffen.

"Entscheidend ist, die mehr als 600.000 Arbeitsplätze im österreichischen Handel nachhaltig abzusichern und zukunftssicher aufzustellen. Die Kurzarbeit ist essenziell, um Jobs zu retten. Flankierend dazu braucht es einen befristeten Covid-Arbeitsplatzsicherungs-Bonus für die Zeit nach dem Ende der Kurzarbeit, um Jobs dauerhaft zu sichern", sagt Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will. "Zur Förderung neuer Beschäftigungsverhältnisse empfehlen wir einen temporären Covid-Arbeitsplatzschaffungs-Bonus in Form eines finanziellen Zuschusses oder eines Erlasses der Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitgeber. Immerhin ist Corona ein Turboboost für den eCommerce. Diese neuen Chancen müssen wir aus volkswirtschaftlicher Sicht mit der Schaffung von neuen Arbeitsplätzen verbinden."

Ziel I: Durch Maßnahme 1 soll der jüngste Anstieg der Arbeitslosenzahl im Handel von +33% abgefedert und bis zu 100.000 gefährdete Jobs gesichert werden.

2. Insolvenzen verhindern, Eigenkapital stärken & Investitionsanreize setzen
Bei sehr vielen betroffenen Unternehmen hat die Coronakrise zu einer Verschlechterung der Kapitalausstattung geführt. Die Fremdkapitalquoten sind drastisch gestiegen, gleichzeitig wurde das Eigenkapital zunehmend aufgezehrt. Dadurch verschlechtert sich die Bonität, Bankzinsen erhöhen sich und Liquiditätsengpässe spitzen sich zu. Eine rasche Besserung ist leider nicht in Sicht. Allein der Handel muss pro Woche "Lockdown light" Umsatzverluste von rund 200 Mio. € verkraften, weil die Gastronomie und Hotellerie als Frequenzbringer noch zumindest bis Ostern fehlen und zurzeit kein Klima der Zuversicht besteht.

Im Corona-Jahr 2020 hat der heimische Handel "lediglich" 563 Firmeninsolvenzen verzeichnet, über alle Wirtschaftsbereiche hinweg ist die Zahl der Insolvenzen im Vergleich mit 2019 um 38% gesunken. Allerdings ist diese Entwicklung auf das Aussetzen der Insolvenzantragspflicht sowie auf die Stundungen bei der Finanz und Krankenkasse zurückzuführen, die bekanntlich Ende März 2021 auslaufen sollen. Das wahre Ausmaß spiegelt sich darin wider, dass bereits jeder vierte Händler nicht mehr in der Lage ist, eingehende Rechnungen vollständig zu bedienen.

Daher braucht es Investitionsfreibeträge, um neue Formen der Firmenbeteiligung aktiv zu fördern, indem Eigenkapital bessergestellt wird und private Investoren einfacher Firmenbeteiligungen eingehen und damit Betriebe zukunfts- und krisensicherer machen können. Die Coronakrise war bisher keine Werbung dafür, sich selbständig zu machen, Mitarbeiter anzustellen und Verantwortung zu übernehmen. Die Hälfte aller Händler beklagt laut einer aktuellen HV-Studie, dass sie als Unternehmer in Österreich nicht (ausreichend) wertgeschätzt werden. 72% sind überzeugt, dass jene Unternehmer, die coronabedingt in Insolvenz geraten, eine "zweite Chance" durch eine staatliche Förderung erhalten sollen – auch wenn der Zahlungsplan im Rahmen einer Insolvenz noch nicht vollständig erfüllt wurde, aber die Anstrengung nachweisbar ist.

Überdies ist die Insolvenz in Österreich stigmatisiert und es gibt keinen vorgelagerten Mechanismus. Daher braucht es präventive Restrukturierungsmaßnahmen, um coronabedingten Insolvenzen zuvorzukommen. In der EU-Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz, die in Österreich bis dato noch nicht umgesetzt wurde, sind genau solche Restrukturierungsmaßnahmen vorgesehen. Es wäre genau jetzt an der Zeit, diese Richtlinie zeitnahe umzusetzen. Dadurch könnten viele Nachteile einer Insolvenz abseits aller finanziellen Aspekte, beispielsweise lange Verfahrensdauern, Reputationsverlust und die Einschränkung der Entscheidungsfreiheiten, vermieden werden. In Deutschland ist das entsprechende Umsetzungsgesetz bereits am 1. Jänner 2021 in Kraft getreten.

"Die Politik hat durch staatliche Hilfen wesentlich zum Erhalt des Wirtschaftsstandortes beigetragen. Mit einer stärkeren Verankerung der 'zweiten Chance' in den staatlichen Corona-Maßnahmen, präventiven Restrukturierungsmöglichkeiten und einem leichteren Zugang zu Eigenkapital würde man ein wichtiges Signal setzen, idealerweise schon bevor die Insolvenzregelungen wieder in Kraft gesetzt werden. Das wäre ein win-win für den österreichischen Wirtschaftsstandort und alle Beteiligten – Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Banken, Gläubiger und Zulieferbetriebe", ist Will überzeugt.

Ziel II: Mit Maßnahme 2 sollen durch ein durchdachtes, rasches Handeln mindestens 7.500 Handelsbetriebe, die coronabedingt mit dem Geschäftsbetrieb in Schieflage geraten sind und heuer aufgeben müssten, noch aufgefangen werden.

3. Digitalisierung vorantreiben & digitales Fair Play sicherstellen
Akuter Handlungsbedarf besteht derzeit nicht nur in der sog. Old Economy, sondern auch in der Digitalwirtschaft. Niemand versteht, warum die führenden Digitalkonzerne im Schnitt nur neun Prozent an Gewinnsteuern zahlen, während jedes österreichische Unternehmen mit durchschnittlich 23% besteuert wird. Auch die immer stärkere Marktkonzentration im Onlinehandel durch digitale Giganten ohne Betriebsstätte in Österreich ist die Bilanz einer jahrelangen regulatorischen Fehlentwicklung: Die zehn größten Webshops erwirtschaften gemeinsam fast die Hälfte des gesamten österreichischen Onlineshopping-Umsatzes, der Marktführer Amazon kommt auf ein Viertel. Die Coronakrise verschärft das Ungleichgewicht, daher müssen die Steuerschlupflöcher der multinationalen Online-Riesen endlich gestopft werden.

Neben den nicht entrichteten Gewinnsteuern führt der jahrelange kriminelle Mehrwertsteuer-Betrug von Drittstaaten-Händlern dazu, dass Österreich pro Jahr eine halbe Milliarde an Steuereinnahmen entgehen. Gleichzeitig wird ganz Europa mit falsch deklarierten Fake-Produkten geflutet, deren Verpackungsmüll hierzulande nicht korrekt vergebührt wird. Durch diese unfaire Wettbewerbssituation sind zwei Geschwindigkeiten entstanden – zulasten österreichischer Betriebe und zulasten des europäischen Binnenmarktes.

Der digitale Einfluss im Handel hat sich binnen fünf Jahren verzehnfacht. Langfristig kann jede heimische Branche noch so stark wachsen, die Digitalwirtschaften in den USA und Asien profitieren von derartigen Steuerkonstruktionen wesentlich mehr. Die europäischen Staaten könnten digitale Entwicklungsländer werden, wenn hier nicht endlich eingegriffen wird. Ansonsten würde man die Lehren aus der Krise und damit das Zukunftspotential für den europäischen Standort stark limitieren.

"Die heimische Wirtschaft bewegt sich in einem Korsett an strengen Vorgaben, während die internationalen Online-Giganten frei wie ein Vogel agieren können. Alle unsere Anstrengungen und Förderungen machen langfristig nur dann Sinn, wenn ein digitaler Binnenmarkt geschaffen wird, der unsere Wettbewerbsfähigkeit sicherstellt. Wir müssen sicherstellen, dass Europa seine Verbraucherinnen und Verbraucher nicht länger als Kunden an digitale Giganten anderer Regionen der Welt verliert und obendrein noch Steuergutschriften nachschickt und den Abfall der Drittstaatensendungen auf eigene Kosten entsorgt. Daher danken wir dem Finanzministerium – bis zur EU-weiten Abschaffung der 22 Euro MwSt-Freigrenze im Juli – für weitere harte Schwerpunktkontrollen auf nationaler Ebene und die aktive Bekämpfung von Produktpiraterie. Die Einführung der digitalen Betriebsstätte in der Europäischen Union ist ebenso überfällig, wenn die EU-Kommission will, dass unsere Wirtschaft im digitalen, globalen Wettbewerb morgen noch eine Rolle spielen soll", so der bundesweite Handelssprecher Rainer Will abschließend.

Ziel III: Maßnahme 3 soll einen Beitrag leisten, um Österreich unter die EU Top 10 im Bereich der Digitalisierung zu katapultieren und zum Innovation-Leader zu machen. Gleichzeitig soll damit dem Kaufkraftabfluss von fast 60% im Onlinehandel entgegengewirkt und die steuerliche Gleichstellung von Old und New Economy erreicht werden.

In diesem Kontext kommt auch der vorgestellten EU-Handelsstrategie insbesondere im Bereich der Förderung gleicher und fairer Wettbewerbsbedingungen höchste Priorität zu. Es darf hier nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben. Der Handel sorgt für eine Bruttowertschöpfung von 40,5 Mrd. €, das entspricht 11,4% der Gesamtwertschöpfung im Land. Unsere Händler leisten einen Beitrag von über zehn Prozent zum österreichischen Bruttoinlandsprodukt (BIP).

Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Handelsverband den Einbezug des Corona-Masterplans mit den drei Schwerpunkten in die Strategie der Bundesregierung, um aus der Krise mit einem gestärkten Standort Österreich hervorzugehen, der über kulturelle und touristische Schätze hinaus glänzen soll.

Die Anstrengungen der Bundesregierung, die freiwillige Test- & Impfstrategie voranzutreiben, begrüßt der Handelsverband, um die Gesundheitssituation der Bevölkerung stetig zu verbessern, im Optimalfall unter Einbezug von niederschwelligen Positiv-Anreizen. (red)

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