Neujahrs-Pressekonferenz des Handels: 2020 mussten insgesamt 4.040 Geschäfte schließen
© medianet/Katharina Schiffl | Rainer Will, Handelsverband.
RETAIL Redaktion 13.01.2022

Neujahrs-Pressekonferenz des Handels: 2020 mussten insgesamt 4.040 Geschäfte schließen

Trend setzt sich 2021 fort; auch 2022 bleiben Entschädigungen aus, Umsätze pandemiebedingt um vier Prozent eingebrochen.

WIEN. Die Planungsunsicherheit belastet Arbeitgeber & Arbeitnehmer. Die Händler fordern treffsichere Entschädigungen und eine Bekämpfung von "Financial Long Covid".  Der Handel ist für die österreichische Wirtschaft von zentraler Bedeutung. 77.700 Unternehmen mit insgesamt 598.600 unselbstständig Beschäftigten sind in der Handelsbranche (Einzelhandel, Großhandel, Kfz-Handel) tätig. Gemeinsam erzielen sie einen Umsatz von mehr als 266 Mrd. € und eine Bruttowertschöpfung von 39 Mrd. €, so das Ergebnis der letzten Strukturerhebung der KMU Forschung Austria im Auftrag des Handelsverbandes.

Negative Strukturentwicklung durch Schließungswelle: Zahl der Handelsunternehmen um 4.040 gesunken
"Der heimische Handel ist der Beschäftigungs- und Wirtschaftsmotor der Republik Österreich. Die Händler stellen fast ein Viertel aller Betriebe der österreichischen Volkswirtschaft. Unsere Branche ist der zweitgrößte Arbeitgeber und der umsatzstärkste Wirtschaftsbereich des Landes. Allein im Einzelhandel sind mehr als 330.000 Mitarbeitende beschäftigt. Im Vergleich mit vielen anderen Branchen sind wir ein wirtschaftlicher Riese, aber in der politischen Wertschätzung noch immer ein Zwerg", sagt Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will.

Die Politik und vor allem die Bundesregierung ist aufgerufen, dies rasch neu zu bewerten und neu zu leben. Konkret bestehen pandemiebedingte und strategische Handlungserfordernisse, die umzusetzen sind, um die Branche zu stabilisieren, Arbeitsplätze zu sichern und künftig wettbewerbsfähiger zu machen.

Von 2015 bis 2019 hat sich der Handel dynamisch entwickelt und wesentlich zum Wachstum der österreichischen Wirtschaft beigetragen. Mit Beginn der Coronapandemie hat dieser positive Trend ein abruptes Ende gefunden. Die Anzahl der Handelsunternehmen ist allein 2020 um 4.040 (minus fünf Prozent) gesunken, wenn man die Neueröffnungen von den Schließungen abzieht. Die Umsätze sind branchenübergreifend um vier Prozent zurückgegangen.

Jahresumsatz 2021 im Einzelhandel bei rund
74,5 Milliarden Euro

Der Handelsverband und das Wifo haben eine Gesamtjahresprognose 2021 für den stationären österreichischen Einzelhandel von 74,4 Mrd. € brutto abgeleitet. Eine moderate Steigerung von rund drei Prozent gegenüber dem Krisenjahr 2020. Bereinigt man allerdings um die durchschnittlichen Preissteigerungen im Gesamtjahr, ist der stationäre Handel im Vorjahr real mit ca. 1,5% nur halb so viel gewachsen.

Aber: "Handel ist nicht gleich Handel. Manche profitieren von der Krise, insbesondere der internationale Onlinehandel. Andere verlieren massiv, etwa der Mode- und Schuhhandel, Juweliere oder stationäre Retail-Formate von Generalisten. Viele Non-Food-Händler, kleine Einzelkämpfer, aber auch große Traditionshäuser, existieren nur mehr auf dem Papier. Die mittel- und langfristigen Auswirkungen auf Arbeitsplätze, Diversität der Handelslandschaft, Stadt- und Ortskerne sind absehbar negativ", so Will.

2G-Regelung drückt Umsätze in vielen Handelsbranchen massiv und spaltet Gesellschaft
Zwar hatte sich die wirtschaftliche Lage in den ersten drei Quartalen des Vorjahres deutlich verbessert, doch der neuerliche bundesweite "harte Lockdown" im November und Dezember 2021 sowie der seit 16. November geltende "Lockdown für Ungeimpfte" drücken auf die Handelsumsätze. Von Normalbetrieb kann im Handel also bei Weitem nicht die Rede sein, Shoppen ist in den Geschäften abseits der Grundversorgung weiterhin nur mit gültigem 2G-Nachweis möglich. Menschen ohne Corona-Impfung oder Genesungsnachweis dürfen selbst mit einem negativen PCR-Test nicht mehr im nicht-lebensnotwendigen Handel einkaufen. Mehr als ein Viertel der Bevölkerung kann seither beispielsweise keine Schuhe oder Winterjacken mehr im stationären Handel einkaufen.

Deren Kaufkraft hat sich in der wichtigsten Zeit des Geschäftsjahres für den Handel hin zu den digitalen Giganten verschoben. Neben dem volkswirtschaftlichen Schaden verstärkt die 2G-Regelung im Handel auch die Spaltung in der Bevölkerung, ohne das Infektionsgeschehen zu beeinflussen. Denn der Lebensmittelhandel beweist täglich, dass sicheres Shopping für alle Menschen in unserem Land aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauern, des losen Kundenkontaktes und bestehender Sicherheitsmaßnahmen garantiert ist.

Schließungen des Handels haben keine signifikanten Auswirkungen auf Infektionsgeschehen
Letzte Woche hat auch Christian Drosten (Charité Berlin), der bekannteste Virologe Deutschlands, in seinem Podcast bestätigt, dass eine Schließung des Handels keine signifikanten Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen hat. Zahlreiche nationale wie internationale Studie (u.a. US-amerikanische Nationale Akademie der Wissenschaften; Conseil scientifique Covid-19 in Frankreich; Stanford University; Epidemiologische Abklärung der AGES) belegen dies.

"Der Handel ist einer der sichersten Aufenthaltsorte, weder der dritte noch der vierte harte Lockdown waren gerechtfertigt. Daher darf es künftig keine behördlichen Schließungen der Geschäfte mehr geben! Die Politik muss endlich zur Kenntnis nehmen, dass Kontakt nicht gleich Kontakt ist, und Infektionen dort bekämpfen, wo sie wirklich entstehen", erklärt Martin Wäg, Geschäftsführer von Kastner & Öhler.

Faktor Saisonalität muss berücksichtigt werden
"Auch die Saisonalität der verkauften Waren muss als Faktor stärker mitberücksichtigt werden. Der Lockdown hat diesmal mit November und Dezember punktgenau die Zeit des Weihnachtsgeschäfts betroffen, in der viele Händler normalerweise den Großteil ihrer Erträge erwirtschaften. Die massiven Umsatzverluste werden durch die Entschädigungen der Regierung nicht im Ansatz gemindert, weil der monatsüberlappende Lockdown sich besonders ungünstig auf ihre Berechnung auswirkt. Deshalb unser dringender Appell an die Entscheidungsträger, die Hilfszahlungen exakt an den Lockdown-Zeiträumen auszurichten und nicht, wie bisher, auf den jeweils betroffenen Monat zu beziehen", ergänzt Andrea Heumann, Geschäftsführerin von Thalia Österreich.

"Wir dürfen aber auch die negativen Auswirkungen der Pandemie auf unsere Stadt- und Ortskerne nicht vergessen. Eine Mariahilfer Straße ohne Geschäfte wäre unvorstellbar – das gilt nicht nur für den Handel, sondern auch für den Tourismus und die Gastronomie. Wir Händler sorgen für Standortsicherheit und Lebensqualität bei den Menschen, das kann der Onlinehandel nicht ersetzen", ist Fussl Modestraße-Geschäftsführer Ernst Mayr überzeugt.

Planungsunsicherheit belastet Arbeitgeber & Arbeitnehmer; Negativwirkung auf Kaufkraft & Konsum 
"Viele Handelsbetriebe leiden seit 22 Monaten unter der pandemiebedingten Planungsunsicherheit. Immerhin sind sowohl das Weihnachtsgeschäft als auch das Ostergeschäft bereits zweimal in Folge einem harten Lockdown zum Opfer gefallen. Das sorgt auch für Unsicherheiten auf Seite der Mitarbeitenden, denn jeder Lockdown geht mit Kurzarbeit einher – und damit leider auch mit Gehaltseinbußen. Zur Kaufkraftstärkung hat zumindest der verkaufsoffene Adventsonntag beigetragen", bestätigt Depot Österreich Country Manager Rainer Gössl.

"Im ‚nicht-lebensnotwendigen‘ Handel und auch in anderen Branchen haben viele Mitarbeiter kurzarbeitsbedingt spürbar weniger verdient bei gleichzeitig steigenden Lebenshaltungskosten und höherer Inflation. Das und vor allem die Angst vor weiteren Lockdowns führt zu Umorientierung von vielen gut ausgebildeten Fachkräften und Abwanderung in andere Branchen. Hier muss die Politik reagieren. Sinnvoll wäre etwa ein einmaliger Corona Lohnsteuerfreibetrag in der Höhe von 1.000 Euro oder 1.000 Euro Einkaufsgutscheine für den betroffenen Handel mit Betriebsstätte in Österreich", so der Vorschlag von Karin Saey, Handelsverband-Vizepräsidentin und Leiterin des Bereichs Handel bei Dorotheum.

Corona-Entschädigungen: Deutliche Nachbesserungen dringend erforderlich
"Der Handel war und ist ein konstruktiver Partner der Bundesregierung bei der Pandemiebekämpfung. Die gesamte Branche erfüllt sämtliche Hygienevorgaben, die FFP2- Maskenpflicht, das betriebliche Testen und Impfen sowie Homeoffice-Möglichkeiten. Im Gegenzug erwarten wir uns aber zumindest faire und treffsichere Entschädigungen", so Norbert W. Scheele, C&A Geschäftsführer für AT / CEE / SEE und Vizepräsident des Handelsverbands.

Ein Nachbessern der Bundesregierung bei den Corona-Entschädigungen ist mehr als erforderlich, denn über 4.000 Geschäfte haben das Jahr 2021 nicht überlebt und mussten schließen. Je kleiner der Betrieb, je weniger digital, je abhängiger vom Tourismus, desto dicker ist das Minus und der Schuldenberg. Aber auch viele beschäftigungsintensive Traditionshäuser sind bereits in Insolvenzgefahr.
"Jeder weitere Lockdown im Handel würde das Händlersterben massiv befeuern, obwohl man kaum wo sicherer ist als im Handel, der nachweislich ein Corona-Safespot ist. Wir müssen sicherstellen, dass die Hilfen endlich treffsicher ankommen. Die hohen Fixkosten drücken auf das Eigenkapital und die Liquidität. Wir müssen dafür sorgen, dass die Händler weder kurzfristig am Lockdown zugrunde- gehen noch langfristig an Financial Long Covid", appelliert auch Handelsverband-Präsident Stephan Mayer-Heinisch an die Bundesregierung.

Drei Forderungen des österreichischen Handels an die Politik
• "Handel für alle": Kein weiterer harter Lockdown und ehestmögliche Beendigung der 2G-Regelung im Handel!

• "Hilfen helfen nicht": Es braucht Corona-Hilfen, die ihren Namen verdienen. Liquiditätskrisen & "Financial Long Covid" bei den Betrieben verhindern!

• "Handel entlasten": Lohnnebenkosten substanziell senken und Kaufkraft der Bevölkerung ankurbeln!


Weitere Stimmen aus dem Handel
Roman Koch, Managing Director, Gebrüder Heinemann:
"Im 22. Monat der Pandemie sind wir nach wie vor noch weit vom Vorkrisenniveau entfernt und weitere finanzielle staatliche Unterstützung ist unabdingbar, um das Überleben zahlreicher Händler zu gewährleisten und die damit verbundenen Arbeitsplätze zu retten. Am wichtigsten ist jedoch die Hilfe zur Selbsthilfe und im Zuge dessen die sofortige Abschaffung von 2G – aufgrund dieser Regelung werden 30 Prozent der Bevölkerung vom sehr sicheren Non-Food-Handel ausgeschlossen und diese fehlenden Umsätze wandern unwiederbringlich an ausländische Online-Giganten ab."
Wolfgang Rick, Geschäftsführer, Morawa Holding:
"Leider hat sich die Kundenfrequenz durch die verpflichtenden 2G-Kontrollen sofort noch einmal deutlich nach unten orientiert. Wenn man aber so zur Vermeidung weiterer Lockdownserien beitragen kann, ist es trotzdem noch die bessere von zwei ohnehin schlechten Optionen – speziell, wenn man auch die mittlerweile viel zu geringen staatlichen Unterstützungen bei angeordneten Geschäftsschließungen im Auge hat."

Franz Schweighofer, Geschäftsführer, Smyths Toys: 
"Die letzten beiden Pandemiejahre sind auch an Smyths Toys nicht spurlos vorüber gegangen. Trotzdem können wir feststellen, dass unser Unternehmen gut durch die krisenhafte Zeit gekommen ist. Die staatlichen Hilfsmaßnahmen konnten die Auswirkungen der Schließungen nicht auffangen, aber zumindest teilweise abfedern. Die 2G-Kontrollen bedeuten auch für uns einen großen Zusatzaufwand, glücklicherweise sind jedoch die allermeisten Kunden kooperativ und haben Verständnis für die Maßnahme."

Reinhold Gütebier, Geschäftsführer, kika/Leiner: 
"Die Coronapandemie hat den gesamten Handel hart getroffen. Umsatzeinbußen aufgrund mehrfacher Lockdowns, nicht zuletzt in besonders umsatzstarken Zeiten, haben auch uns getroffen. Homeoffice und Reisebeschränkungen haben viele Menschen allerdings dazu bewegt, in ihr eigenes Zuhause zu investieren und so konnte ein Großteil des Umsatzes wieder aufgeholt werden. Für uns stand die Gesundheit unserer unserer Kunden immer an erster Stelle und wird das auch weiterhin tun – daher setzen wir sämtliche Vorgaben genauestens um, auch aktuell die Kontrolle des 2G-Nachweises, auch wenn diese sehr kostenintensiv sind, da zusätzliches Personal notwendig ist. Wir versuchen jedenfalls alles in unserer Macht Stehende zu tun, um das Infektionsgeschehen einzudämmen und zum Ende der Pandemie beizutragen. Nur das wird letztlich weitere Schließungen verhindern."

Georg Müller, Geschäftsführer, Deichmann Österreich: 
"Insbesondere der gesamte Non-Food-Einzelhandel war und ist von den Auswirkungen der Coronapandemie stark betroffen, und die Corona Maßnahmen sowie die damit einhergehenden Frequenzrückgänge hinterlassen natürlich auch bei uns Spuren. Wir als Händler halten die uns auferlegten Maßnahmen laut Regierungsverordnung selbstverständlich ein, jedoch sind wir in einem verhältnismäßig sehr hohen Ausmaß, gegenüber allen Geschäften, welche als Grundversorgung gelten, betroffen." (red)

 

BEWERTEN SIE DIESEN ARTIKEL

TEILEN SIE DIESEN ARTIKEL