WIEN. Längst nicht alle Menschen in Österreich können sich täglich eine vollwertige Mahlzeit leisten. Die Tafel Österreich trägt dazu bei, diesen Menschen zu helfen, indem sie Lebensmittel rettet und sie Sozialeinrichtungen zur Verfügung stellt. Forscher von der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) haben untersucht, welche sozialen Wirkungen sich dadurch entfalten. Zum Welternährungstag am 16. und zum Tag gegen Armut am 17. Oktober liegen die ersten Ergebnisse vor.
Die Tafel Österreich rettet jedes Jahr mehrere hundert Tonnen noch genusstaugliche Lebensmittel aus Handel, Produktion und Landwirtschaft vor der Entsorgung, um sie an soziale Einrichtungen zu verteilen. So landen einwandfreies Obst, Gemüse oder Brot nicht im Abfall, sondern auf den Tellern von armutsbetroffenen Menschen.
Zum 25-jährigen Jubiläum der Tafel Österreich (vormals Wiener Tafel) hat das WU Kompetenzzentrum für Nonprofit Organisationen untersucht, welcher gesellschaftliche Mehrwert durch dieses Angebot entsteht: „Die Tafel Österreich entfaltet ihre gesellschaftlichen Wirkungen direkt bei Sozialeinrichtungen, indem sie Ressourcen bereitstellt und sie so dabei unterstützt, ihre Aktivitäten ein Stück effizienter, wirkungsvoller und innovativer durchzuführen“, fasst Christian Grünhaus, wissenschaftlicher Leiter des NPO Kompetenzzentrums und Autor der Studie, zusammen. „Damit hilft die Tafel Österreich indirekt Armutsbetroffenen – nicht bloß durch Kosteneinsparungen, sondern auch durch verbesserte Leistungen, die sie dabei unterstützen, aus ihrer jeweiligen Problemlage herauszukommen.“
Zum Leben zu wenig …
Die Gefahr, in eine solche Problemlage zu kommen, hat sich durch die Teuerungskrise erhöht: Laut Statistik Austria waren im Jahr 2022 rund 17,5 Prozent der österreichischen Bevölkerung von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht – das sind 1.550.000 Menschen. Diese Zahl ist in den letzten Jahren zwar relativ stabil geblieben, doch gleichzeitig hat sich die so genannte Deprivation erhöht: Sie bezeichnet die individuelle Wahrnehmung dessen, was man sich finanziell leisten kann. So stieg der Anteil der Menschen, die sich nicht in der Lage sehen, jährlich in Urlaub zu fahren (2022: 23,2 %, 2023: 29,6 %), ihre Wohnung im Winter angemessen warm zu halten (2022: 6,1 %, 2023: 10,8 %) – oder sich zumindest jeden zweiten Tag eine vollwertige Hauptmahlzeit aus frischen Zutaten zu leisten (2022: 7,6 %, 2023: 7,8 %).
Hier entfaltet sich die Wirkung der Tafel Österreich: 25 hauptamtliche und 250 ehrenamtliche Mitarbeiter retten täglich bis zu vier Tonnen Lebensmittel – darunter viel frisches Obst und Gemüse. Aktuell werden damit rund 100 soziale Einrichtungen beliefert, darunter Mutter-Kind-Häuser und Frauenhäuser, Wohnungsloseneinrichtungen, Notschlafstellen und Flüchtlingsunterkünfte. Die Anzahl der versorgten Personen hat sich in den letzten Jahren verdoppelt und wird 2023 voraussichtlich bei über 30.000 Personen liegen.
Mehr als nur satt werden
Damit schafft Die Tafel Österreich eine Brücke zwischen Überfluss und Bedarf: Handel und Lebensmittelproduzent müssen genießbare Waren nicht wegwerfen und sparen Entsorgungskosten, während Armutsbetroffene Zugang zu gesunden Lebensmitteln erhalten. Viele Sozialeinrichtungen, die als Kernleistung Essen zur Verfügung stellen, können nur durch Die Tafel Österreich existieren. Die Erhebungen des NPO Kompetenzzentrums zeigten aber auch, dass Sozialeinrichtungen indirekt von der Tafel Österreich profitieren: Viele von ihnen würden ohne die geretteten Lebensmittel kein Essen zur Verfügung stellen, doch dank der Tafel Österreich können sie warme Mahlzeiten anbieten oder gemeinsam mit Klient kochen und essen. Andere haben ein sehr enges Budget für Lebensmittel und können durch Die Tafel Österreich vielfältigeres und gesünderes Essen bereitstellen. All das schafft Vertrauen und eine positive Atmosphäre in den belieferten Einrichtungen: Eine Einladung zu einer Mahlzeit ist ein wichtiger Türöffner, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen und ihnen so besser helfen zu können.
Die Wirkung der Tafel Österreich besteht laut dieser Analyse also nicht nur im bloßen Zugang zu Lebensmitteln. Sie leistet auch einen Beitrag zu gesünderer Ernährung, schafft einen niederschwelligen Zugang zu Sozialeinrichtungen und erhöht die soziale Teilhabe von Armutsbetroffenen. „Unsere Wirkungsanalyse zeigt, dass es beim Essen nicht bloß ums Sattwerden geht, sondern auch um damit verbundene Wirkungen, die tief in unser soziales Miteinander hineinreichen“, erklärt Christian Grünhaus vom NPO Kompetenzzentrum der WU.