Viel Nachholbedarf bei den digitalen Strategien
© Gebrüder Pixel/Philipp Hartberger
RETAIL natalie Oberhollenzer 26.01.2018

Viel Nachholbedarf bei den digitalen Strategien

Rainer Will (l. im Bild) vom Handelsverband ortet beim Handel in Sachen „Digitales” noch ordentlich Potenzial.

••• Von Natalie Oberhollenzer

Österreichs Handel muss digitaler werden – so lautete die Forderung von Handelsverbands-Geschäftsführer Rainer Will und Martin Unger, Berater von ­Contrast EY, anlässlich der Präsentation des Retail Barometers Österreich für das Jahr 2018. Eine groß angelegte Studie der beiden Einrichtungen ergab demnach, dass bei heimischen Händlern großer Nachholbedarf besteht, was den Einsatz von digitalen Strategien im Handel betrifft. In keinem anderen europäischen Land gebe es eine so hohe Dichte an Verkaufsfläche pro Kopf wie hierzulande: Mit 1,65 m² pro Einwohner liegen wir noch vor Belgien (1,64 m²) und den Niederlanden (1,61 m²) – eine Gefahr für viele Retailer, denn der starke Fokus auf das Stationäre könnte sowohl zu rückläufigen Marktanteilen als auch zu geringeren Renditen führen.

Ein Online-Shop reicht nicht

Wobei es am Willen nicht fehlt: Drei Viertel der befragten Entscheidungsträger geben an, an einer Umstellung des Vertriebsmodells bzw. an einer Omnichannel-Strategie zu arbeiten. Nur sind sich viele nicht bewusst, welches Ausmaß so eine Entscheidung hat, und dass es nicht genügt, eine Homepage und einen Online-Shop zu launchen, wie Unger zu bedenken gibt. So müsse der Händler der Zukunft sich weniger mit dem Bau von Filialen, der Bereitstellung von Regalmetern, deren Befüllung mit Produkten und ihrer Bewerbung in den Massenmedien beschäftigen. Vielmehr gelte es, Informationen aus vielfältigen Quellen zu erheben und zu nutzen, und Kunden individuell und über mehrere miteinander verschränkte Kanäle mit einem bedürfnisorientierten Angebot ansprechen. „Der Handel muss sich rüsten”, appelliert Unger.

Die Großen ziehen davon

Zum Nachteil der kleinen Wettbewerber forciert die Tendenz zum Onlinehandel immer noch die großen Anbieter, allen voran die sogenannten Digital Champions wie Amazon. So erwirtschaften die 250 größten Onlineshops hierzulande mittlerweile 2,5 Mrd. €, was einer Steigerung von über acht Prozent im Vorjahr gleichkommt. Von diesem Kuchen heimsen sich 1,2 Mrd. € nur die zehn größten ein, wobei der größte, Amazon, allein mit 556 Mio. € ein Viertel für sich mitnimmt – die Provisionen, die es auf seinem Marktplatz von externen Anbietern kassiert, noch nicht miteingerechnet. Wie es ausschaut, scheint der US-Riese allen anderen komplett davonzugaloppieren. Denn auf Platz zwei der umsatzstärksten Onlineshops folgt weit abgeschlagen Zalando mit „nur” 174 Mio. €.

Amazon ist erste Wahl

Auf die Frage, wer denn die erste Anlaufstelle beim Onlineshopping ist, glänzt Amazon ebenfalls mit Werten, die andere Händler neidisch werden lassen. Für glatte 69% ist er die erste Wahl. Zum Vergleich: Die zweit- und ex aequo drittplazierten Anbieter Zalando, Thalia und H&M kommen gerade einmal auf vier bzw. je zwei Prozent. Dass der Druck von derlei Anbietern künftig nur noch mehr zunehmen wird, davon gehen Will und Unger unisono aus. Zumal Bürger in Vorreiterländern wie USA, Großbritannien und Deutschland im Schnitt noch viel öfter per Mausklick einkaufen als die Österreicher. „Die alles entscheidende Frage ist: Lernen die Retailer schneller ,digital' oder die Digital Champions schneller ,retail'”, resümiert Unger, der im Moment Letztere das Rennen machen sieht.

Vorwärts-Integration

„Wer keine klare Strategie und attraktive Omnichannel-Lösungen hat, der wird im Wettlauf mit Amazon, Zalando und Co auf der Strecke bleiben”, warnt der Experte. Zu Recht Sorgen dürfe sich der Handel auch wegen der sogenannten Vorwärts-Integration der Lieferanten machen, sprich, dass immer mehr Hersteller ihre ­eigenen Geschäfte aufsperren und den alteingesessenen Händler als Mittelsmann umgehen. Vorreiter hier seien Sportartikel- und Modeanbieter wie Nike und Adidas. Aber auch FMCG-Player wie Nestlé und Procter & Gamble arbeiten bereits eifrig an Modellen.

Die gern in der Werbung propagierte Regionalität der Produkte scheint den Einkaufenden derweil eher egal zu sein: Nur jeder siebente Befragte bevorzugt heimische Online-Shops. Für die Mehrheit sind nur die Angebote ausschlaggebend. Ebenfalls überschätzt ist das Thema Beratungsdiebstahl. Die wenigsten gehen in ein Geschäft und lassen sich informieren und kaufen das gewünschte Produkt danach im Netz. Ein viel größerer Teil der Verbraucher macht es umgekehrt – sich im Netz schlau machen und dann analog einkaufen, ist eine viel häufiger angewandte Methode.
In diesem Zusammenhang warnt Will die Händler auch, sich im Zuge des Omnichannellings ausschließlich auf das Internet zu konzentrieren: „Der notwendige Fokus auf den Ausbau des Online-Angebots bedeutet keineswegs, dass die klassische Filiale ein Auslaufmodell ist. Im Gegenteil, international sehen wir aktuell insbesondere bei den eCommerce-Marktführern einen neuen Trend zur Fläche.” Allein Alibaba hat seit 2015 mehr als 9,3 Mrd. USD (7,6 Mrd. €) in Ladengeschäfte investiert. Amazon hat im letzten Jahr die weltgrößte Bio-Supermarktkette Whole Foods übernommen.

Schlüssel: Datenkompetenz

Die Voraussetzung, um den Kunden das vielbeschworene individualisierte Einkaufserlebnis bieten zu können, sind Daten. Das hat ein Großteil der Händler erkannt. Schon 67% der Befragten sehen die Erhebung und Nutzung von Daten als sehr wichtig für den Geschäftserfolg. Aus Konsumentensicht ist und bleibt das Thema ein zweischneidiges: Einerseits wollen sie maßgeschneiderte Angebote, knapp die Hälfte der Bürger lehnt eine Datenweitergabe aber immer noch kategorisch ab – sofern sie danach gefragt wird.

Lesen Sie dazu auch den Bericht auf Seite 42.

BEWERTEN SIE DIESEN ARTIKEL

TEILEN SIE DIESEN ARTIKEL