••• Von Daniela Prugger
WIEN. Sezonieri ist Rumänisch für Saisonarbeiter – und auch der Name einer österreichischen Kampagne, die sich für die Rechte saisonaler Arbeiter einsetzt. Obwohl die Coronakrise ein Schlaglicht auf die oft miserablen Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft geworfen hat, gibt es noch viel zu tun, sagen Elisa Kahlhammer und Cordula Fötsch, zwei ehrenamtliche Aktivistinnen der Kampagne.
medianet: In den vergangenen Monaten wurde viel über Erntehelfer berichtet. Was suggeriert das Wort „Erntehilfe”? Ist es an der Zeit, über eine Änderung dieser Bezeichnung nachzudenken?
Elisa Kahlhammer: Der Begriff ‚helfen' vermittelt auf eine Art, dass es sich gar nicht um Arbeit handelt, die auch einen Anspruch auf Entlohnung hat, sondern um eine Tätigkeit, die keine Vorerfahrungen benötigt. Die gegenwärtige Realität migrantischer Saisonarbeiterinnen und -arbeiter ist jedoch knallharte Arbeit, die sehr wohl verschiedenste Fertigkeiten und Anlernzeiten braucht. In der sezonieri-Arbeit verwenden wir deshalb den Begriff der Ernte- oder Landarbeiter.
medianet: Österreichische Lebensmittelproduzenten betonen seit Jahren, wie wichtig Regionalität, Bio und Nachhaltigkeit sind, wenn es um Lebensmittel geht – besonders bei Obst und Gemüse. Wie steht es um die Nachhaltigkeit, wenn wir über Arbeitsverhältnisse sprechen?
Cordula Fötsch: Bei der Gestaltung der Einkaufspreise – die von wenigen marktdominierenden Konzernen bestimmt werden – endet die Nachhaltigkeit meistens. Landwirtschaftliche Betriebe haben wenig Verhandlungsspielraum z.B. durch den Druck der internationalen Konkurrenz und der Marktmacht der Lebensmittelkonzerne und bekommen häufig zu geringe Preise für ihre Produkte. Wir konnten beobachten, dass dieser Druck immer wieder an die Arbeiter weitergegeben wird, die ihre Lohnansprüche nicht in vollem Umfang erhalten.
medianet: Wie fair ist die Saisonarbeit in der Landwirtschaft, und warum betreiben Arbeitgeber diese Form des Lohndumpings noch immer?
Kahlhammer: Natürlich gibt es in der Landwirtschaft – wie überall – die gesamte Bandbreite von sehr fairen bis sehr unfairen Arbeitgebern. Grundsätzlich muss man aber auch sagen, dass das gegenwärtige Wirtschaftssystem auf der Ausbeutung von Arbeitskräften beruht. Das einzige, was dagegen hilft, ist die Organisierung der Arbeiterinnen und Arbeiter, um Arbeitsrechte, Kollektivverträge und deren Kontrolle und rechtliche Durchsetzung einzufordern. Die starke Abhängigkeit und geringe Organisierung der vorwiegend migrantischen Landarbeiter führt dazu, dass Arbeitgeber nach wie vor mit Lohndumping durchkommen.
medianet: Die sezonieri-Kampagne gibt es seit gut sieben Jahren. Gab es in den vergangenen Monaten ein persönliches Schicksal, das Sie beide besonders bewegt hat?
Fötsch: Am meisten berührt hat uns in den letzten Monaten das Schicksal eines Mannes und seiner Mutter aus einem Drittstaat. Sie kamen seit fast 20 bzw. 25 Jahren nach Österreich, um hier in der Landwirtschaft zu arbeiten und wurden über Jahrzehnte ausgebeutet. Das wurde etwa an einem sehr geringen Stundenlohn, beengten Unterkünften und einem minimalen Pensionsanspruch der Mutter deutlich, da der Arbeitgeber sowohl die Beschäftigten als auch den Staat über einen sehr langen Zeitraum durch viel zu geringe Anmeldezeiten betrogen hat. Der geringe Pensionsanspruch war dann auch der Anstoß, sich zu Wehr zu setzen. Aber der Mann ist in der Zwischenzeit verstorben. Das ist ein trauriges Schicksal und zeigt das Ausmaß der Ausbeutungsverhältnisse auf verschiedenen Ebenen.
medianet: Was hat sich seit der Berichterstattung über die prekäre Unterbringung und Bezahlung von migrantischen Arbeitskräften verändert?
Kahlhammer: Sehr viel Aufmerksamkeit für das Thema entstand sowohl in der allgemeinen Öffentlichkeit als auch in den Institutionen. Kooperationen zwischen verschiedenen Akteuren wurden gestärkt. Durch diese Sichtbarkeit konnte auch die Verhandlungsmacht gestärkt und heuer erstmal ein Kollektivvertrag von mindestens 1.500 Euro brutto für alle Bundesländer erreicht werden. Damit wurde die innerstaatliche Konkurrenz abgeschafft und in einigen Bundesländern eine beträchtliche Lohnsteigerung erzielt. Für die Arbeitsbedingungen konnten wir bisher keine grundsätzliche Veränderung wahrnehmen, und auch strukturell hat sich wenig geändert.
medianet: In Österreich gibt es zahlreiche Labels. Welche informieren darüber, ob die Produkte unter fairen Arbeitsverhältnissen produziert wurden?
Fötsch: Für Länder aus dem globalen Süden gibt es das Fairtrade-Label, für österreichische Produkte gibt es kein Label, das umfassende Arbeits- und Sozialstandards beinhaltet. Manche Qualitätsprogramme beinhalten einzelne Sozialkriterien wie z.B. Global Gap Grasp. Nach unserer Einschätzung werden aber selbst diese Standards nicht ausreichend kontrolliert. Wesentlich zielführender ist aus unserer Perspektive die Organisierung und Unterstützung der Arbeiter und der Aufbau von Betriebsratsstrukturen.