Gender Diversity gegen den Arbeitskräftemangel
© Martha Gattringer
CAREER NETWORK Redaktion 24.03.2023

Gender Diversity gegen den Arbeitskräftemangel

Kosima Kovar ortet unzureichende Bemühungen von Unternehmen in Sachen Gleichberechtigung.

••• Von Alexander Haide

Auf „The Great Resignation” folgt „The Great Breakup”: Diesmal bringen den Stein vor allem die Frauen ins Rollen. Aktuelle Studien belegen, dass derzeit so viele Frauen wie noch nie ihren Job wechseln. Der Grund dafür sind unzureichende Bemühungen in Sachen Diversität, Gleichstellung und Inklusion seitens der Unternehmen.

Kosima Kovar hat eine App entwickelt, um diesem Problem entgegenzuwirken und Frauen ein wirkungsvolles Weiterbildungstool für die Sichtbarmachung ihrer Stärken in Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Unternehmen wie die Erste Bank und Dorda Rechtsanwälte benutzen sie bereits.


medianet:
Weshalb ist Gender Equality wichtig?
Kosima Kovar: Gender Equality ist längst ein Must-have: Wir wissen durch Studien, dass diverse Teams einfach profitabler sind. Der andere Aspekt ist die Gerechtigkeit. Es spricht sowohl der wirtschaftliche als auch der soziale Gedanke für Diversität. Unternehmen kommen daher berechtigterweise häufig mit der Frage auf mich zu, wie sie an weibliche Talente kommen, diese intern entwickeln, aufbauen und langfristig im Unternehmen halten können – und damit zu einem Ort werden, wo Talente arbeiten wollen.

medianet:
Das Thema Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist kein neues Thema. Ist es durch die aktuellen Krisen wie Pandemie und Fachkräftemangel akut geworden?
Kovar: Wir sind bereits auf dem Weg in die Zukunft, zur Gleichberechtigung und Gleichstellung der Geschlechter. Im Bereich der Care-Arbeit hat uns die Krise eher zurückgeworfen, denn da waren vor allem die Frauen gefordert. Betrachtet man die jüngeren Generationen, dann wollen sehr wohl der Mann und die Frau bei den Kindern bleiben oder arbeiten gehen. Hier gibt es keine eindeutigen Unterschiede mehr, die man von der Babyboomer-Generation kennt. Wir sind zwar bereits weit gekommen, aber es gibt noch viel zu tun. Es gibt den Gender-Pay-Gap, aber auch den Gender-Healthcare-Gap, weil sich Forschung in der Medizin überwiegend am biologisch männlichen Geschlecht orientiert. Wir beschäftigen uns auch sehr mit dem Gender-Data-Gap, denn es gibt viel mehr Daten zu Männern als zu Frauen. Und es gibt noch viel mehr Gender-Gaps, die geschlossen werden müssen.

medianet:
Bemühen sich Unternehmen aufgrund des Arbeitskräftemangels derzeit mehr um weibliche Mitarbeitende?
Kovar: In Sachen Gender Equality hat es die Fachkräftemangel-Krise jedenfalls scheinbar gebraucht. Wenn ausschließlich Männer akquiriert und in die Unternehmen geholt werden, kostet das mehr, wenn dieser ‚Markt' irgendwann ausgeschöpft ist und man sie auch etwa aus dem Ausland nach Österreich holen muss.

Dabei haben wir talentierte Frauen im Land, aber sie verfügen nicht über die Infrastruktur, haben nicht die Möglichkeiten, werden nicht wertgeschätzt in der Unternehmenskultur und fühlen sich bei Jobausschreibungen oft gar nicht angesprochen.
Frauen sind eines von vielen Potenzialen, um die Fachkräftekrise zu überwinden. Das gilt auch und vor allem für Branchen, die bisher sehr männlich dominiert waren, wie den IT-Bereich. Österreichische Unternehmen müssen sich verstärkt um weibliche Talente bemühen und noch attraktiver sein, denn durch Remote-Arbeit kann ich als Frau jederzeit für ein Unternehmen in einem anderen Land arbeiten – kurzum, talentierte Frauen werden zur Konkurrenz wechseln.
Außerdem wissen wir ebenfalls, dass auch Männer diverse Teams bevorzugen.


medianet: Besonders viele Frauen wechseln derzeit ihren Arbeitgeber. Woran liegt das?
Kovar: Der Begriff Wertschätzung trifft es gut. Wenn es keine Aufstiegsmöglichkeiten gibt, keine Weiterbildungsmöglichkeiten – die Art des Lernens verändert sich! –, keine Flexibilität bei der Gestaltung des Arbeitsalltags, um etwa Kind und Karriere unter einen Hut zu bringen, dann ist das für mich mangelnde Wertschätzung.

Das Thema Gehalt steht schon lange nicht mehr an oberster Stelle. Frauen wissen heute ganz genau, welchen Wert sie und ihre Arbeit haben. Es ist sehr wichtig, dieses Selbstwertgefühl weiter zu stärken.


medianet:
Was kann ich als Arbeitgeber tun?
Kovar: Leider ist es in kaum einer Branche so, dass es keinen Gender-Pay-Gap gibt. Frauen stehen in der Wirtschaft vor anderen Herausforderungen als Männer, bereits aus der Historie heraus ist die Wirtschaft männlich geprägt. Der Mann arbeitet 40 Stunden, und die Frau ist daheim bei den Kindern und führt den Haushalt, erledigt also die Care-Arbeit. Das wandelt sich, es geht in die Richtung einer Balance – doch das alles geht viel zu langsam voran.

Es braucht eine neue Einstellung in der Wirtschaft. Unternehmen müssen herausfinden, vor welchen Herausforderungen Frauen in ihrem Unternehmen stehen – individuelle Wege brauchen einen individuellen Fokus. Dort setzen wir mit unserer ‚Ada-App' an.
Gleichzeitig fragen wir unsere Userinnen auch proaktiv, welche ihre Herausforderungen sind und wo Input nötig ist.


medianet:
Ein Beispiel?
Kovar: Die Gesellschaft erzieht Frauen dazu, dass sie ‚Everybodys Darling' sein sollen. Wir lernen bereits als Kind, dass wir in eine höhere Stimmlage wechseln, wenn wir etwas wollen. Das ist im Berufsalltag aber nicht förderlich, da Menschen mit tieferen Stimmen ernster genommen werden und wir ihnen mehr Vertrauen schenken. Also müssen wir Frauen zu unserer tieferen Sprechstimme, die wir ja haben, zurückfinden. Das besprechen wir mit unseren Stimmexpertinnen und Experten und geben die Informationen an unseren Userinnen weiter. Das ist eine Herausforderung, die ein Mann in den meisten Fällen gar nicht hat. Es geht auch um die körperliche Präsenz und den Raum, den sie etwa im persönlichen Gespräch oder auch auf Bildern, wie Teamfotos, einnehmen. Wir veranschaulichen, wie eine Frau mit ihrer Präsenz wirken kann und sich in einem Raum Platz verschafft und diesen einnimmt. Wir wenden uns mit der Ada-App an Frauen, aber natürlich laden wir ebenso Männer ein, sie zu nutzen. Ich vergleiche das gerne mit Werbung für Lippenstift: Natürlich können Männer auch Lippenstifte verwenden, aber sie sind – noch – nicht die Zielgruppe.

Wenn Unternehmen ein Leadership-Programm entwickeln, kann das etwa bereits in Sachen Rahmenbedingungen nicht für Männer und Frauen gleich gestaltet sein: Wir wissen, dass die Care-Arbeit immer noch überwiegend von Frauen geleistet wird und diese eben nicht mit einem zweitägigen Seminar in mehreren Stunden Entfernung kombinierbar ist. Da gäbe es noch viele weitere Beispiele.


medianet:
Richtet sich die Ada-App eher an Frauen oder ist sie für Unternehmen gedacht?
Kovar: Für mich gibt es das System, und es gibt die Frau. Das sind nicht zwei unterschiedliche Dinge, sondern sie müssen zusammen funktionieren. Ich weiß aber als Frau, dass das System aktuell nicht auf meiner Seite steht, aber ich kann etwas verändern, indem ich versuche, meine Stärken sichtbar zu machen und mich zu positionieren. Das möchte ich mit der App so vielen Frauen wie möglich vermitteln.

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