Dem Dorf Leben geben
© Thomas Lechner
DOSSIERS Redaktion 19.05.2023

Dem Dorf Leben geben

Wie kann das Leben in den kleinen Gemeinden wieder belebt werden? Darüber diskutierte im Rahmen eines Experten-Round Tables medianet-Herausgeber Oliver Jonke mit denen, die es tun.

Nahversorger in Österreich sind enorm wichtig, man nannte sie in den vergangenen Jahren zu Recht kritische Infrastruktur. Zudem zeigt uns die Klimakrise, wie wichtig kurze Wege sind – gerade am Land, wo der Einkauf vielerorts nur noch mit dem Auto möglich ist. Der Nahversorger als Teil des Ortskerns im ländlichen Raum verschwindet leider immer mehr, dabei wäre er, wie auch ein Wirtshaus, nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern auch aus sozialen Gründen wichtig.

Nah&Frisch unterstützt engagierte Kaufleute dabei, dem entgegenzuwirken und echte Nahversorgung mit all ihren Facetten zu bieten. Und das betrifft eben nicht nur den Weiterverkauf dessen, was die Unternehmenszentrale liefert – die Grundsätze von Nah&Frisch ermöglichen Einsatz, Engagement, regionale Produkte und noch viel mehr. Dafür braucht es aber eben auch junge Menschen, die als selbstständige Kaufleute mit anpacken. Im niederösterreichischen Mostviertel trafen sich beim Wirt am Wachtberg ebensolche.

Miteinander notwendig

Es braucht aber nicht nur die. Nah&Frisch Geschäftsführer Hannes Wuchterl stellt gleich eingangs klar, dass es nicht nur engagierte Kaufleute brauche, sondern eben auch die Gemeinden selbst. Und das ungeachtet der Verwerfungen wie Corona oder Energiekrise. Er spricht dabei etwa auch die Raumordnung an, die es ermöglichte, an den Ortsrändern oder darüber hinaus Supermärkte auf der grünen Wiese zu errichten und dadurch in großem Maße Boden zu versiegeln. Eine langjährige Praxis, die aus mehreren Gesichtspunkten nicht gut war und sich mittlerweile langsam ändert – „Gott sei Dank”, so Wuchterl: „Gemeinsam mit Politikern vor Ort schaffen wir Nahversorgung.in Ortszentren.”

Behambergs Bürgermeister Karl Stegh ist sich bewusst, dass es auch an ihm und seinen Tausenden Kollegen liegt, Ortskerne wiederzubeleben. „Wir als Gemeinde haben es immer abgelehnt, am Kreisverkehr einen Supermarkt zu machen”, meint Stegh. „Die grüne Wiese soll nicht umgewidmet werden. Bei uns im Gemeinderat sind wir uns einig, weil wir wollen das Ortszentrum weiterhin am Leben halten. Sonst gehen die Leute leider woanders hin.”
Natürlich profitiere man auch von der nahen Industrie in Steyr. Die Menschen verdienen vor allem in der Metallindustrie sehr gut. Behamberg hat sich darüber hinaus durchaus etwas einfallen lassen, beispielsweise, dass ein Arzt über den Nah&Frisch von Franz Gegenhuber untergebracht wird. „Es leben hier im Speckgürtel Steyrs bei uns 3.600 Menschen, und die Gemeinde wächst”, weiß der Bürgermeister. Ein Vorteil, aber das mache das Ganze noch nicht zu einem Selbstläufer für Gemeinde und Kaufmann. Dessen ist sich vor allem Kaufmann Gegenhuber mehr als bewusst.

Das Besondere bieten

„Mit einem normalen Sortiment geht es gegen andere, wo die Menschen mit dem Auto hinfahren, kaum”, erklärt der Kaufmann. Woanders würde man es vermutlich USP nennen. Er produziert als Bäcker selber und trachtet danach, mehr als nur ein klassisches Supermarkt-Sortiment mit den immer gleichen Produkten zu liefern: „Mein Ziel in den letzten zwei Jahren war es, möglichst viele regionale Produzenten zu finden und ihre Produkte hier zu verkaufen. Vom Käse, über Eier bis zum Mehl habe ich über 20 Lieferanten aus der Region.” Das ist deshalb möglich, weil Nah&Frisch neben einem Grundstock sehr viele Freiheiten zulässt, was angeboten wird. Eine Win-win-Situation für die Kauflaute und deren regionale Partner. Aber nicht nur, wie Wuchterl weiß: „Mit der großflächigen Konkurrenz und deren Sortiment kann ein kleiner Nahversorger nicht mithalten. Und muss es auch nicht.” Diese Menge an regional oder gar lokal produzierten Spezialitäten oder schlichtweg Konsumgütern, das gibt es in der Form woanders eben nicht – ein Punkt, den auch Wirt Bernhard Grillnberger schätzt, wenn er bei seinem Bekannten einkaufen geht: „Es kommt alles aus einer Hand.” Und das direkt von ums Eck.

Herausforderungen

Die Arbeit ist erfüllend, aber wie jede andere auch mit Einsatz verbunden. Das weiß Sabine Holzer ganz genau. Sie arbeitete fast 20 Jahre im Sozialbereich, übernahm vor vier Jahren in Wang im Mostviertel auf 70 Quadratmeter einen Nahversorger. „Mir macht diese Arbeit einfach sehr viel Spaß, auch wenn es fordernd ist und man nicht am Freitag zu Mittag fertig ist”, spielt sie auf ihren vorangegangenen Job an. Dieser war eben irgendwann nicht mehr erfüllend, und als bei ihr im Ort eine Kauffrau gesucht wurde, bewarb sie sich.

Es kann schon einmal vorkommen, dass eine Baustelle von jetzt auf gleich 15 Leberkäsesemmeln braucht. Dann muss es schnell gehen. Oder man geht die berühmte Extrameile für die Kundschaft: „Wenn ein Stöpsel für die Familie am Samstag Gebäck kauft und 50 Cent zu wenig hat, dann geben wir das aus der Trinkgeldkassa dazu. Das merkt man sich und bleibt Kunde”, erzählt sie. Herausfordernd, ja, aber auch gleichzeitig sehr erfüllend sei die Arbeit. Was sie sich über das normale Verkaufen sonst noch einfallen lässt, davon kann man sich auf Holzers Facebook-Kanal „nahundfrischwang” informieren. Es ist auf jeden Fall viel, wie verschiedenste Aktionen, die wegen der erwähnten Freiheiten möglich sind. Das wird angenommen, das Kaffee-Ecke etabliert sich mehr und mehr als Begegnungsstätte – sehr zu Holzers Freude. „Ich bin ins kalte Wasser gesprungen, habe sogar zuerst gekündigt und erst dann meine Bewerbung abgegeben”, erinnert sie sich, „mittlerweile habe ich die Routine, wir Kaufleute können uns untereinander austauschen. Das ist sehr wertvoll. Niemand sagt: Das ist mein Rezept, das sage ich nicht weiter. Davon profitieren alle. Es gibt diese Nah&Frisch Familie.”

Die Personalfragen

Zu dieser Familie gehören auch die Mitarbeiter, die zum Teil Jahrzehnte bleiben. Hannes Wuchterl weiß von einer Mitarbeiterin, die ist seit 34 Jahren mit dabei. Doch Personalfragen bzw. die Suche danach beschäftigen auch Behamberg. Bürgermeister Stegh verweist darauf, dass viele nach einer Lehre ins nahe Steyr ans Fließband gehen. Man verdiene in der Metallindustrie dort gut, erklärt Gegenhuber. So mancher Lehrling ging vom Wirtshaus in die Fabrik. Die Tätigkeit sei wenig fordernd und gleichmäßiger. Wirt Bernhard Grillnberger meint dazu: „Ich kann das mit den Lehrlingen nur bestätigen. Meine Lehrlinge verdienen in den Betrieben in Steyr mehr.” Den neuen Zeiten darf man sich aber eben auch nicht verschließen. Das Haus am Wachtberg hat vier Tage die Woche geöffnet, hatte schon vor zehn Jahren einen Schließtag: „An den vier Tagen, an denen wir offen haben, sind wir immer voll. Es geht um Wertschätzung, eine entsprechende Entlohnung und gemeinsame Unternehmungen.”

Diese Wertschätzung bringen auch die Kaufleute ihren Mitarbeitern gegenüber. Das gilt nicht nur in Behamberg, sondern fast überall, wie Wuchterl weiß: „Die Angestellten fühlen sich dem Kaufmann zugehörig, wohl- und wertgeschätzt. Das zählt dann auch lange Sicht mehr und somit bleibt man länger. Beachtlich, in Zeiten wie diesen.” medianet-Herausgeber Oliver Jonke zitiert in Folge Studien, die belegen, dass die größte Zufriedenheit nicht nur die Entlohnung ist. Ausschlaggebend für die Zufriedenheit ist der Umgang miteinander, das Betriebsklima und die Beziehung zum Umfeld im Ort.

Tipps und Tricks

Wie erlangt man nun im Ort so eine Situation, wie sie in Behamberg oder Wang ist? Bürgermeister Stegh sagt: „Wenn sich ein Betrieb mit 20 oder mehr Arbeitsplätzen ansiedeln will, sehen viele die Kommunalsteuereinnahmen. Aber ein gutes Miteinander erreicht man, wenn ich im Ortszentrum bleibe. Nicht der große Konzern soll profitieren, bei uns sind es der Bauer, der Nahversorger und die Menschen. Dorfleben ist essenziell. Da spielt Einkaufen im Ort eine Rolle, und das muss man erkennen.”

Nah&Frisch Geschäftsführer Hannes Wuchterl ergänzt: „Über viele Jahrzehnte wurde Fläche versiegelt, um noch größere Bauten auf die grüne Wiese zu bauen. Mittlerweile erkennt man schon, dass das nicht gut ist, schließlich gibt es zu viele devastierte Ortskerne.” Wirt Grillnberger weiß: „Man ist ja auch bereit, mehr zu zahlen, wenn man weiß, wo es herkommt und man es lokal kaufen kann.”
Aber es braucht auch einiges, weiß Gegenhuber: „Über Dinge wie Regionalität hinaus ist auch eine Persönlichkeit notwendig.” Sein Grundsatz lautet: Gehe mit den Menschen so um, wie du willst, dass sie mit dir umgehen. Und wie sieht es Kauffrau Holzer? „Mein Traum ist es, nicht nur Arbeit zu machen, sondern mit Leib und Seele dabei zu sein. Hier kann man Ideen einbringen und Dinge ausprobieren.” Vielleicht klingt es ja wirklich abgedroschen, aber diese Hingabe zum Job, das Bewusstsein, Nahversorgung ist noch mehr als bloßes Abkassieren von Geld gegen Ware, das wirkt wie etwas, das toll ist, wenn man es selbst ausübt. Wenn dann noch eine Organisation wie Nah&Frisch sowie klarerweise die (lokale) Politik fleißig unter die Arme greift, dann können Ortskerne tatsächlich am Leben erhalten oder, wo es notwendig ist, wiedererweckt werden.

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