••• Von Klemens Huber
Viele reden darüber, wenige verstehen es, und viele stellen sich Fragen. Fragen wie: Verpasse ich gerade einen Zug? Ist ein neues Technik-Studium notwendig? Oder sollte ich bei diesen Aussichten lieber die Branche wechseln?
Eines ist klar: Auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Technologien sind die entscheidenden Triebkräfte der Innovation im 21. Jahrhundert. Innerhalb kurzer Zeit werden Produkte und Services mit Maschinenintelligenz ausgestattet sein oder sogar von ihr geprägt werden – auch im Marketingbereich. Zur langfristigen Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit muss es daher gelingen, bei der Anwendung dieser Technologien ein allgemeines Verständnis der Möglichkeiten und Chancen, aber auch der Gefahren und Risiken zu entwickeln. Damit dies gelingt, sind in erster Linie Unternehmen gefordert, die Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz zu nutzen.
KI-Systeme können heute bereits vielfältige Aufgaben übernehmen – von der Beschaffung und Verdichtung von Informationen, über die Verrichtung gefährlicher oder körperlich besonders anstrengender Arbeiten bis hin zur Unterstützung von Management- und Marketing Entscheidungen. KI-Systeme sind „Helferleins” des täglichen Lebens. Umso erstaunlicher ist es, dass es häufig an einer konkreten Vorstellung fehlt, was denn KI überhaupt ist.
Es geht nicht darum, eine neue Technologie um ihrer selbst willen einzusetzen. Vielmehr muss das Ziel sein, die praktischen Chancen für das eigene Unternehmen auszuloten. Dabei können Großunternehmen etwas von Start-ups lernen: das Ausprobieren, das Wagen.
Ebenso muss es aber gelingen, das KI-Potenzial in der Gesellschaft zu mobilisieren. Das betrifft neben den Unternehmen die gesamte Forschungslandschaft, die schulische Bildung, das System von Weiterbildung und Re-Qualifizierung sowie die verschiedenen Politikbereiche bis hin zur Gestaltung eines rechtlichen und regulatorischen Rahmens. Grundlage dafür ist nicht zuletzt ein breites Wissen über die technologischen Grundlagen.
Der Stand der Dinge
KI ist die Simulation kognitiver Fähigkeiten, die bisher dem Menschen vorbehalten waren, durch technische Hilfsmittel. Mit dieser sehr allgemeinen Definition ist im Grunde wenig anzufangen. Der Begriff „Künstliche Intelligenz” ist zudem irreführend. Die Schaffung einer tatsächlichen und allumfassenden „Intelligenz” („Super-Intelligenz”), über die etwa der Mensch verfügt, ist mit einer Software oder mit Code derzeit nicht möglich. Die Befürchtung, Maschinen könnten demnächst die Weltherrschaft übernehmen, ist also völlig unbegründet. Sollte dies überhaupt jemals möglich sein, wären dazu noch viele und vor allem viele bahnbrechende Entwicklungsschritte notwendig.
Zur Klarstellung: Bei den aktuellen Möglichkeiten handelt es sich in fast allen Fällen um „Machine Learning”. Also um Softwarecodes und Algorithmen, die uns als „Helferleins” oder „Assistenten” zur Hand gehen, Dinge vereinfachen und Prozesse beschleunigen.
Kategorisierung
Unternehmen, die identifizieren wollen, welche Rolle KI für ihre Digitalisierungsstrategie spielen könnte, stoßen meist auf folgende Fragen:
• Wie disruptiv sind KI-Anwendungen für unser Business?
• Lässt sich die Effizienz steigern und die Wertschöpfungskette automatisieren?
• Wie lassen sich Angebote unterschiedlicher KI-Anbieter vergleichen?
• Wie können KI-Experten mit Fachspezialisten über KI kommunizieren, um plausible Erwartungen allgemeinverständlich zu formulieren und überzogene Annahmen frühzeitig zu revidieren?
• Wie sind KI-Produkte und technische Innovationen einzuordnen, die erst während der Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie erkennbar werden? Und ist es sinnvoll, diese „on-the-fly” einzubinden?
Entscheidungsträger müssen auf diese Fragen Antworten finden. Und das, obwohl sie meist über keine Expertise in den vielen unterschiedlichen Feldern der KI verfügen. Das dadurch entstehende Gefühl lässt sich wohl am treffendsten mit „Lost in Space” beschreiben. Um die Verantwortlichen bei der Bewältigung ihrer Aufgaben zu unterstützen und dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz in Unternehmen den Weg zu ebnen, braucht es also einen praktikablen Ansatz.
Das Periodensystem der KI
Der US-amerikanische Computerwissenschafter Kristian Hammond hat dazu ein „Periodensystem der Künstlichen Intelligenz” entwickelt (siehe Grafik Seite 10). Er sieht KI als Kombination von Grundelementen und beschreibt 28 unterschiedliche Elemente, die nach generellen Kriterien kombiniert werden können. Jedes KI-Element repräsentiert nach Hammond eine Teilfunktion mit definierter Funktionalität und Komplexität und gehört zu einer von drei Gruppen.
Das „Periodensystem” ist ein probates Mittel, um die Komplexität der KI-Welt zu ordnen. Zugleich dient es als Basis für die eigenen Ideen und bietet Hilfestellungen, um diese durch AI-Funktionen zu erweitern.
Mit ersten Schritten lernen
Der Marketingleiter will eine Software, die eigenständig den optimalen Marketingmix definiert, der Mediamanager möchte auf Knopfdruck die optimale Strategie unter Berücksichtigung aller verfügbaren Aspekte. Und die Wünsche des Agenturchefs gehen in Richtung effiziente Steuerung und Abwicklung für maximale Wirtschaftlichkeit. Rein technisch sind alle diese Wünsche durchaus realisierbar.
Am wichtigsten bei der Erweiterung der eigenen Digitalisierungsstrategie um die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz ist es, erste Schritte zu setzen und mit jeder Funktion und jedem Ergebnis zu lernen. Die folgenden Hilfestellungen erleichtern den Einstieg in KI-basierte Anwendungen.
Zehn Hilfestellungen
1. Künstliche Intelligenz ist heute vor allem ein Helfer im täglichen Marketing-Business. Fokussieren Sie auf die Unterstützungsmöglichkeiten einer KI und nicht auf die Suche nach einem selbstständig agierenden Superalgorithmus.
2. Stecken Sie Ihre KI-Ziele nicht zu hoch. Definieren Sie ein klares und abgrenzbares Ziel und Teilziele. Von KI wird oft zu viel erwartet. Eine klar eingrenzbare Herausforderung ist mit KI-Unterstützung einfacher zu lösen als eine generelle und marktübergreifende Problemstellung.
3. Marketing und Markenführung erfordern komplexe Planung und Durchführung. Daten sind die Basis bei empfängerorientierter Kommunikation. Jede Maßnahme, jede Aktion, jede Interaktion liefert im Idealfall verwertbare Daten. Tun Sie alles dafür, damit ihre Adressaten einen Zusatznutzen haben und bereit sind, Daten mit Ihnen zu teilen.
4. Konzipieren Sie Datenstrukturen möglichst ganzheitlich, um die Customer Journey umfassend in Anwendungen zu integrieren. Verantwortung und Verwaltungshoheit liegen bei Ihnen als Unternehmen, die Einhaltung der Datenschutzkriterien ist die Basis. Regeln Sie, wem die Daten gehören – sowohl für die Gegenwart als auch für die zukünftige Verwendung. Datenstrategen und -analysten im eigenen Unternehmen sorgen für die optimale Ausrichtung und Steuerung von Datenprozessen.
5. Eignen Sie sich auch im Marketing-Team Know-how über Ihre Daten und deren Strukturen an. Ein Basisverständnis für Programmierung und Analysemethoden hilft, die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen einer KI besser zu verstehen. Strategische Ableitungen und die Implementierung von KI-basierten Anwendungen werden dadurch wesentlich fokussierter.
6. Daten sind im gesamten Unternehmen verfügbar. Eine enge Zusammenarbeit über Abteilungsgrenzen hinweg bietet viele Vorteile, denn Kundenzentrierung bedeutet, bereichsübergreifend zu denken. Das ist die Basis für funktionierende KI-Systeme im Marketing.
7. Verbinden Sie Ad-Tech & Mar-Tech und geben Sie den Adressaten Ihrer Kommunikationsaktivitäten einen transparenten Einblick in die Verwendung der gewonnenen Daten. Das stellt eine zukunftsfähige Basis sicher – auch im Hinblick auf die weitere Entwicklung von DSGVO und ePrivacy.
8. Technische Lösungen sind Instrumente. Erst durch ihren zielorientierten Einsatz entfalten sie Wirkung. Eine wirksame KI-Anwendung benötigt meist ein Customizing durch den Anbieter oder Implementierungspartner.
9. Starten Sie mit KI-Anwendungen im Analytics-Bereich. Automatisierungsansätze brauchen eine solide Daten- und Analysebasis – und ein Chart verzeiht möglicherweise mehr als ein Kunde.
10. Beginnen Sie smart & einfach und lernen Sie von den Erfahrungen. Auch wenn erste Schritte noch keine brauchbaren Ergebnisse liefern, ist ein Fehltritt ebenso ein Learning. Erörtern Sie die Gründe und machen Sie weiter.