••• Von Reinhard Krémer
WIEN. Es wird sich auf diesem Planeten wohl kaum jemand finden, der von der Pandemie noch nicht so richtig angefressen ist. Das gilt wohl auch und besonders für die Wirtschaft. Lockdowns und Unsicherheiten an jeder Ecke bringen nicht nur Unternehmer zur Verzweiflung. Und so befindet sich die Konjunktur in Europa zu Jahresbeginn 2021 noch in einer schwierigen Phase, melden die Experten von Raiffeisen Research. Die neuerlichen, staatlich verordneten Schließungen wegen der Covid-19-Infektionsraten bedeuten vor allem für den Dienstleistungssektor einen enormen Rückschlag. Doch im Gegensatz zum Frühjahr 2020 sind diesmal die Industrie und der internationale Handel weniger betroffen, sodass die Produktionseinbrüche moderater ausfallen.
Impfung für die Stimmung
Mit der Hoffnung auf eine flächendeckende Impfung hat sich die Stimmung bei den Unternehmen insgesamt deutlich verbessert.
„Wir rechnen im Verlauf des ersten Halbjahres 2021 mit einer deutlichen Belebung der Wirtschaftsaktivität, die sich bis ins Jahr 2022 fortsetzen sollte. Somit könnte 2021 die BIP-Wachstumsrate in der Eurozone vier Prozent und in Österreich 3,5 Prozent erreichen”, sagte Gunter Deuber, seit Anfang Jänner Leiter des Bereichs Volkswirtschaft und Finanzanalyse in der Raiffeisen Bank International (RBI). In Zentral- und Osteuropa (CEE) sind die Länder unterschiedlich von der Pandemie betroffen.
Dementsprechend unterschiedlich erwarten die Raiffeisen Research-Analysten auch den Aufholprozess in der Region.
Die gute alte Zeit
Mit realen BIP-Zuwächsen von drei bis fünf Prozent (Ausnahmen Tschechien und Russland mit ein bzw. 2,3 Prozent; Anm.) sollten vor allem Länder mit starkem privaten Konsum wieder Anschluss an die Zeit vor der Pandemie finden.
Risikofaktoren sind dabei längere Verzögerungen bei der Reduktion der Infektionszahlen, eine ausgeprägte Insolvenzwelle, kein nennenswerter Beschäftigungszuwachs sowie eine anhaltend hohe Sparquote, so Deubner.
Das BIP und die Finanzmärkte
Starke Unterstützung bekommt die Wirtschaftsaktivität von der Geld- und Fiskalpolitik. Die Budgetdefizite 2021 bleiben in der Eurozone und Österreich auf hohem einstelligen Niveau.
Dazu kommen die Mittel aus dem Wiederaufbaufonds der EU im zweiten Halbjahr 2020, die vor allem Kroatien, Bulgarien, Rumänien, Slowakei, Polen und Ungarn zugutekommen sollten.
Zusätzlicher Stimulus kommt aus dem neuen EU-Budget 2021-2027, dessen Hauptnutznießer Bulgarien, Ungarn und Polen sind. „Der Höhepunkt der europäischen Geldpolitik dürfte ab Mitte 2021 die Neudefinition der EZB-Strategie sein. In jedem Fall sind auf absehbare Zeit keine Zinsänderungen zu erwarten. Das gilt auch für die USA”, sagte Raiffeisen Research-Chefanalyst Peter Brezinschek. „Schwerpunkte der Geldpolitik, und zwar zunehmend auch in CEE, sind weiterhin Anleihekaufprogramme”, so Brezinschek.
Anleihen bleiben weiter mau
„Die diesbezüglichen Risikofaktoren sind Verzögerungen sowohl in der Aufteilung der Finanzmittel aus dem Next Generation-Programm als auch bei Einreichungen von EU-Finanzierungen in CEE-Ländern und große Diskrepanzen bei der Neudefinition der EZB-Strategie”, sagt der Chefanalyst. Damit bleiben die Renditen auf den Rentenmärkten weit unter dem natürlichen Niveau von Risiko zu Ertrag.
In der Eurozone bleiben sowohl die deutschen wie österreichischen zehnjährigen Anleiherenditen negativ, während sie in den USA bei einem Prozent liegen. Da die Inflationsrate tendenziell ansteigen dürfte, sinken somit die realen Renditen 2021 noch tiefer in den negativen Bereich. Die meisten CEE-Länder profitieren von den Negativzinsen der Eurozone und verbleiben deshalb auf tiefen Zins- und Renditeniveaus.
Wo Risiken lauern
Risikofaktoren sind für Deuber stärkere Preisanstiege als erwartet, höhere Budgetdefizite und unerwartete Währungsturbulenzen aus politischen Gründen.
Die Aktienmärkte haben sich zum Jahreswechsel stark präsentiert. Insgesamt stehen einige prominente Aktienindizes wie S&P 500, die US-Technologiebörse Nasdaq und der deutsche Leitindex DAX auf historischen Höchstständen oder setzten ihre Aufwärtsentwicklung wie der EuroStoxx50 oder der ATX fort.
Gewinne werden steigen
„Neben der großzügigen Fiskal- und Geldpolitik wirken die deutlich höheren Gewinnschätzungen für 2021 und die sich aufhellenden Konjunkturaussichten bis 2022 positiv auf die Börsenentwicklung. Andererseits haben die Bewertungen in vielen Ländern extrem hohe Niveaus erreicht und würden keine Rückschläge in der Pandemiebekämpfung im Jahresverlauf verzeihen”, so Brezinschek.
„Auch die Präferenz der Investmentstile und damit die jeweiligen Branchenfavoriten werden bestimmen, welche Aktienindizes 2021 besser oder schlechter abschneiden werden”, sagt der Raiffeisen Research-Chefanalyst.
Zu den Risikofaktoren müssten, so Brezinschek, auch die politische Neuorientierung in den USA, aber eventuell auch in Europa wie zum Beispiel die kommende Bundestagswahl in Deutschland gezählt werden, wo der Spitzenkandidat der CDU noch offen ist.