••• Von Katrin Grabner
Ohne große Anstrengung Gewicht abnehmen – ein verlockendes Versprechen in einer Welt, wo Schlanksein immer noch mit Normschönheit gleichgesetzt wird. Gleichzeitig steigt weltweit die Anzahl der an Fettleibigkeit (Adipositas) erkrankten Menschen. Bedarf für Abnehmprodukte gibt es allemal. Was früher noch Zukunftsmusik war, ist dank neuer Medikamente Wirklichkeit geworden: Studien zeigen, dass Abnehmspritzen oder -pillen bei regelmäßiger Anwendung das Gewicht um fast 20% senken können.
Dass die verfügbaren Produkte ursprünglich für die Behandlung von Diabetes gedacht waren, bremst den Hype um die Erzeugnisse von Firmen wie Novo Nordisk und Eli Lilly nicht. Ganz im Gegenteil: Aufgrund der hohen Nachfrage – auch als Lifestyleprodukt – kommt es aktuell zu Lieferengpässen. Einer von mehreren Gründen, warum Adipositas- und Diabetes-Experten den Trend kritisch sehen.
Novo Nordisk als Gewinner
Während Menschen auf der ganzen Welt dank neuer Produkte abnehmen, legen die Umsätze und Gewinne der Hersteller zu. Das dänische Pharmaunternehmen Novo Nordisk brachte ein auf dem künstlich hergestellten, blutzuckersenkenden Hormon Semaglutid basierendes Diabetesmittel in Form einer Spritze auf den Markt. Nachdem klar wurde, dass Semaglutid ebenfalls die Gewichtsabnahme ankurbelt, schossen die Verkaufszahlen in die Höhe. Das Medikament gibt es mittlerweile unter zwei Handelsnamen auf dem Markt: eines für die Behandlung von Diabetes, eines als Adipositasmittel. 2017 wurde der Wirkstoff Semaglutid in den USA und der EU zur Behandlung von Diabetes mellitus Typ 2 zugelassen. 2021 wurde es auch für die Behandlung von Adipositas zugelassen, als einmal wöchentlich zu verabreichende Spritze.
Auch wenn das speziell für die Adipositastherapie verkaufte Mittel in den meisten EU-Ländern noch nicht verfügbar ist, profitiert Novo Nordisk enorm von seinen Spritzen, die Abnehmwillige regelmäßig kaufen müssen: Anfang September 2023 löste das dänische Unternehmen den französischen Luxusgüterhersteller LVMH als wertvollstes börsennotiertes Unternehmen Europas ab – mit einer Marktkapitalisierung von umgerechnet 424 Mrd. USD. Die Jahresprognosen des dänischen Unternehmens werden laufend angehoben.
Ähnlich sieht es bei einem Produkt des US-Konzerns Eli Lil-ly aus – die Abnehmspritze aus den USA wird von Experten teils als noch wirksamer als jene von Novo Nordisk beschrieben. Laut dem deutschen Handelsblatt raten Pharma-Analysten der UBS dazu, die Novo Nordisk-Aktien zu verkaufen und in Eli Lilly-Aktien zu investieren. Von Anfang Jänner bis Anfang Oktober hat der Aktienkurs von Eli Lilly um knapp über 47% zugelegt. Und seit Oktober 2020 knapp über 267%, bei Novo Nordisk war es im gleichen Zeitraum ein Plus von knapp über 193%.
Starke Nachfrage in Österreich
Sowohl Novo Nordisk als auch Eli Lilly forschen aufgrund des Erfolgs der jeweiligen Abnehmspritzen an Medikamenten in Tablettenform. Durch die einfachere Einnahme erwarten sich die Unternehmen so noch bessere Umsätze. Auch der US-amerikanische Pharmariese Pfizer möchte auf den Zug aufspringen und forscht an einem Diätmittel in Pillenform.
In Österreich macht sich der Hype um Abnehmprodukte ebenfalls bemerkbar. Aktuelle Marktforschungszahlen aus dem Iqvia Pharmatrend-Bericht zeigen, dass der Umsatz heimischer Apotheken bei rezeptpflichtigen Produkten im Bereich Gewichtsabnahme und Anti-Adiposita seit September 2022 bis September 2023 um über 94% gestiegen ist. Fast 7,5 Mio. € Umsatz wurden bei den rezeptpflichtigen Produkten gemacht, bei den rezeptfreien Produkten waren es in diesem Zeitraum fast 45 Mio. €.
Welche Rolle die Abnehmspritze in Österreich spielt, ist schwer zu sagen. Die 2022 gegründete Österreichische Adipositas Gesellschaft (ÖAG) und auch Diabetesexperten haben sie aber durchaus auf dem Radar.
Warnung vor Engpässen
„Patienten profitieren enorm durch eine Gewichtsabnahme. So sinkt das Risiko, an Diabetes, Bluthochdruck oder ähnlichen Problemen zu erkranken. Wenn die Indikation gegeben ist, ist nichts falsch daran, diese Präparate zu verschreiben. Ich würde ihre Entwicklung durchaus als Durchbruch in der Adipositas-Therapie bezeichnen”, sagt Martin Clodi, Präsident der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG) und Vorstand der Abteilung für Innere Medizin im Spital der Barmherzigen Brüder Linz.
Er warnt aber davor, die Spritze als Lifestyleprodukt zu sehen. Aufgrund der hohen Nachfrage gibt es sowohl in den USA als auch in europäischen Ländern immer wieder Lieferengpässe, der Start in den europäischen Märkten musste sogar verschoben werden. Wenn Diabetes-Patienten, die auf das Medikament angewiesen sind, Probleme haben, es zu erhalten, sollte man laut dem Experten bei Verschreibungen in der zugelassenen Indikation bleiben, „um Engpässe nicht noch zu verstärken”.
Mögliche Nebenwirkungen
Auch die Österreichische Adipositas Gesellschaft (ÖAG) sieht die Vermarktung der Produkte als „Abnehm- und Diät-Wundermittel” als problematisch. Die beiden Internistinnen Johanna Brix, ÖAG-Präsidentin, und Bianca-Karla Itariu, Vorstandsmitglied der ÖAG, setzen sich daher für mehr Aufklärung ein. Nebenwirkungen wie Übelkeit und Magen-Darm-Beschwerden (Erbrechen, Verstopfung, Durchfall, Völlegefühl, Sodbrennen) sind laut Packungsbeilage des Novo Nordisk-Produkts sehr häufig bis häufig. Die EU-Arzneimittel-Aufsicht (EMA) hat außerdem im Juni 2023 vor der Gefahr von Schilddrüsenkrebs im Zusammenhang mit der Einnahme von Diabetes- und Fettleibigkeits-Medikamenten des dänischen Arzneimittelherstellers Novo Nordisk gewarnt. Die Warnung umfasste auch GLP-1-Medikamente der Konkurrenten Eli Lilly, AstraZeneca und Sanofi. Von Novo Nordisk hieß es damals, die Daten werden geprüft.
Immer mehr Abnehmer
Das in Österreich erhältliche Mittel ist ein chefarztpflichtiges Medikament, dessen Kosten nur unter bestimmten Voraussetzungen bei Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 und Adipositas von der Sozialversicherung übernommen werden. Außerhalb dieser Kriterien ist es zwingend rezeptpflichtig, auf „Privatrezept” können monatliche Kosten von 140 bis 300 € entstehen.
Wie sich die Lage in Österreich weiterentwickeln wird, ist schwer zu sagen. Klar ist: Die Anzahl der an Adipositas erkrankten Menschen steigt stetig. Laut Daten aus der Österreichischen Gesundheitsbefragung 2019 (sie wird alle sechs Jahre durchgeführt) ist die Anzahl der übergewichtigen Personen von 2014 bis 2019 um 34,5% und die der adipösen Personen um 16,6% gestiegen. Laut ÖAG leben in Österreich insgesamt 15% mit Adipositas. Prognosen der OECD für Europa zeigen, dass Adipositas zwischen 2020 und 2050 das österreichische BIP im Schnitt um 2,5% pro Jahr reduziert. Miteingerechnet werden indirekte Kosten wie Krankenstände, vorzeitige Pensionierungen, etc. Bezogen auf das BIP 2021 von 403 Mrd. €, ginge es um jährlich rund 10 Mrd. €. Krankhaftes Übergewicht ist und wird also auf mehreren Ebenen ein Wirtschaftsfaktor bleiben.