Die Ärzte rüsten wieder einmal zum Protest. Was schon Oberhausers Vorgängerinnen Andreas Kdolsky und Maria Rauch-Kallat zu spüren bekamen, beschäftigt nun auch die aktuelle Gesundheitsministerin: Die schon von ihren Vorgängerinnen geplanten niedergelassenen Gesundheitszentren lassen die Ärzte auf die Barrikaden gehen. Man fürchtet den Verlust der Autonomie und des eigenständigen, freiberuflichen Arztes auf Kosten von unternehmerisch geführten Zentren. Dahinter steht aber vor allem ein Tarifkonflikt.
Der Plan der Ministerin: Mit der neuen Primärversorgung sollen im Zuge der bereits beschlossenen Gesundheitsreform Ärzte, verschiedene Therapeuten und Pflegefachkräfte ganztägig für die Patienten zur Verfügung stehen und damit die Spitäler und Ambulanzen entlasten. Dafür können entweder neue Zentren errichtet oder bestehende Einrichtung vernetzt werden. Die neue Primärversorgungs-Einheiten sollen zusätzlich zu den bestehenden Hausärzten kommen, es soll keinen Eingriff in bestehende Vertragsverhältnisse und keinen Zwang zum Umstieg geben, sondern Anreize. Bereits bestehenden Arztpraxen mit Kassenvertrag ist der Vorzug zu geben. Heikler ist, dass zwar ein neuer, bundesweit einheitlicher Gesamtvertrag vorgesehen ist, der die Grundzüge regeln soll. Dazu soll aber die Sozialversicherung Einzelverträge mit jeder Primärversorgungs-Einheit abschließen.
Kampf um Einflussbereiche
Die Ärztekammer lehnt die Pläne ab. Präsident Artur Wechselberger stößt sich vor allem an den geplanten Honorierungsmodalitäten; er verweist darauf, dass es jetzt schon einen Gesamtvertrag mit der Ärztekammer gebe.
Er vermutet nun, dass man einen neuen Gesamtvertrag für die Primärversorgung unter Ausschluss der Ärztekammer machen will und damit die einzelnen Ärzte ohne Schutz der Kammer dastünden. Grund für seine Vermutung ist, dass nirgendwo stehe, wer die Vertragspartner sein sollen. Aber die Ärztekammer „kann nicht zuschauen”, wenn sie in die Vertragsgestaltung nicht eingebunden ist, betonte Wechselberger. Anders formuliert: Die Ärzte laufen nicht gegen das geplante Gesetz Sturm, sondern kritisieren Passagen, die gar nicht im geplanten Gesetz stehen – eben, weil sie nicht drin stehen.
Ärztekammer-Vizepräsident Johannes Steinhart hatte daraufhin die Kündigung sämtlicher Gesamtverträge der Landesärztekammern mit den Gebietskrankenkassen angedroht, sollte das „Primary Health Care”-Gesetz wie geplant beschlossen werden. Damit müssten die Patienten einen Arztbesuch selbst bezahlen und bekämen dann einen Teil des Geldes von den Kassen rückerstattet. Das System der von Kammer und Krankenkasse ausverhandelten Gesamtverträge werde ausgehöhlt, der Hausarzt abgeschafft und durch Zentralismus und anonyme Gesundheitsgroßinstitutionen ersetzt, so die Kritik der Ärzte.
Wenig Verständnis für Ärzte
Viel Verständnis gibt es dafür im Gesundheitswesen aber nicht. Bund, Länder und Sozialversicherung – und damit alle bedeutenden Player in diesem Bereich – übten Kritik an den angedrohten Kassenvertragskündigungen der Standesvertretung. Die Wiener Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) stellt sich als Vertreterin der Länder vollinhaltlich hinter Oberhauser. Der Ärztekammer gehe es in ihrem Widerstand rein um machtpolitische Fragen, sagte sie. „Die Versorgung der Patienten darf nicht am Veto der Ärztekammer scheitern dürfen”, so die Stadträtin.
Auch im Hauptverband der Sozialversicherungsträger gab man sich über die Ärztekammer verwundert. Die Patienten versuchte man zu beruhigen. Sollten die Ärzte die Lage tatsächlich eskalieren lassen, käme es frühestens in einem Jahr zu einem vertragslosen Zustand. Eine Vertragskündigung sei nämlich erst zu Jahresende möglich. Dann beginne ein mehrmonatiger Fristenlauf inklusive Einschaltung der Bundesschiedskommission. Dass die Patienten ihren Arzt bar bezahlen müssen, könnte daher frühestens im September 2016 eintreten.
Peter McDonald, Verbandsvorsitzender des Hauptverbandes, begrüßt, dass Oberhauser Klarheit für Ärzte und Sozialversicherung schaffen will, indem die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine neue, ergänzende Primärversorgung festgelegt werden: „Bessere Vernetzung und ganztägige Erreichbarkeit sind im Interesse der Patienten und Patientinnen ein wichtiger Beitrag zu einer für die Menschen spürbaren Weiterentwicklung im österreichischen Gesundheitswesen.”
Verständnis für Kassen
Wie blank die Nerven liegen, zeigt sich darin, dass die Ärzte ihre Protestmaßnahmen in den Raumstellen, bevor überhaupt verhandelt wird – ein Unikum in der heimischen Politik. Oberhauser: Alles ist verhandelbar.” Die Möglichkeit von Einzelverträgen neben dem ebenfalls vorgesehenen Gesamtvertrag verteidigte sie. Man könne es den Sozialversicherungen auch nicht verdenken, wenn sie lieber mit Trägern solcher Einrichtungen als mit der Kammer verhandeln würden.
Zwischen der Pharmaindustrie und den Krankenkassen spitzt sich der Konflikt um den so genannten Rahmenpharmavertrag zu. Dieser regelt – vereinfacht dargestellt – pauschlae Rabatte der Industrie, der Apotheken und des Großhandels für die Kassen. Damit werden Parallelexporte verhindert, weil die Preise für Arzneimittel höher bleiben. Die Kassen wollen aber nun höhere Rabatte als in den vergangenen Jahren, weil zuletzt die Ausgaben für Medikamente stark gestiegen seien und zunehmend innovative, aber hochpreisige, Medikamente auf den Markt kommen.
Streit um Kostensteigerungen
„Die vom Hauptverband der Sozialversicherungsträger wiederholt kolportierten Steigerungsraten der Medikamentenkosten entsprechen nicht den Tatsachen und lenken nur von den eigentlichen Kostentreibern im System ab”, stellt nun auch Sylvia Hofinger, Geschäftsführerin des Fachverbands der Chemischen Industrie, in dem auch die heimische Pharmawirtschaft Mitglied ist, fest. Auch wenn es im ersten Halbjahr noch zu Steigerungen von etwa 8% gekommen sei, sei das Wachstum seither deutlich abgeflacht und werde im zweiten Halbjahr nur noch bei maximal 3% liegen.
Wenn man die freiwilligen Zahlungen und Rabatte der Pharmaunternehmen mitberücksichtige, betrage die sogenannte Pharmalücke zwischen Einnahmen und Ausgaben im Bereich der Arzneimittel lediglich rund 10 Mio. € anstelle der vom Hauptverband geforderten 125 Mio., so die Wirtschaftskammer, deren Vertreter aufgrund der Selbstverwaltung der Kassen aber auch auf der anderen Seite der Verhandlungspartner sitzen.
Die Kritik der Industrie: Die Zahlen würden vom Hauptverband bewusst hochgerechnet, um die Pharmawirtschaft „für seine zahlreichen eigenen Versäumnisse zur Kasse zu bitten”: Die Umsetzung der Gesundheitsreform sei ins Stocken geraten, dringend notwendige Reformschritte würden nach wie vor nicht angegangen. Österreich leiste sich 22 Sozialversicherungsträger samt Verwaltungsapparaten, im Spitalsbereich werden 6,3 teure Akutbetten pro 1.000 Einwohner finanziert, während man in Schweden mit 2,5 Akutbetten auf 1.000 Einwohner auskommt – dabei können sich die Schweden an einem Mehr von neun in Gesundheit verbrachten Lebensjahren erfreuen, formuliert Hofinger.
Uneinigkeit in der Industrie
Doch auch innerhalb der Industrie ist man sich nicht ganz einig: Der Verband der pharmazeutischen Industrie (Pharmig) pocht ebenfalls auf Beiträge der Branche in Form von Rabatten und „Solidarbeiträgen” . Dadurch sei das Wachstum bei den Arzneimittelkosten „in den vergangenen Jahren unter der Inflationsrate gelegen”, betonte Generalsekretär Jan Oliver Huber. „Bereinigt um die Rabatte einzelner pharmazeutischer Unternehmen, die diese den Krankenkassen gewähren, und wenn man weiters den Solidarbeitrag in die Kalkulation miteinbezieht, der von der Pharmawirtschaft an die Krankenkassen geleistet wird, ergibt sich eine Steigerung von deutlich weniger als acht Prozent”, rechnet Huber vor. „Ich gehe davon aus, dass wir bis zum Jahresende mit einer Steigerung von lediglich fünf Prozent zu rechnen haben, wenn man die Solidarbeiträge und Rabatte abzieht.”
Der Hauptverband bleibt aber hart: „Für das laufende Jahr 2015 wird eine Steigerung von acht Prozent erwartet und diese ist aufgrund der bereits feststehenden Zahlen im ersten Halbjahr 2015 in dieser Höhe als sehr realistisch anzusehen”, erklärt Vize-Generaldirektor und Hauptverhandler Alexander Hagenauer.
Kassen fürchten teure Pillen
Bereits seit Mitte des Jahres 2014 sei die Krankenversicherung mit einer außerordentlichen Steigerung des Medikamentenaufwands von 8 bis 10 Prozent konfrontiert: Im zweiten Halbjahr 2014 betrugen die Steigerungsraten 9,4 Prozent, im ersten Quartal 2015 bereits 10,5 Prozent; im ersten Halbjahr 2015 liegen uns vorläufige Steigerungsraten von 8,73 Prozent vor. „Diese Zahlen basieren auf den Daten der Pharmazeutischen Gehaltskasse, die sämtliche öffentlichen Apotheken umfassen und bekanntlich nicht im Naheverhältnis der Sozialversicherung agiert.”
Verursacht werde der stark steigende Medikamentenaufwand durch immer stärker und schneller in den Markt drängende Arzneispezialitäten mit immensen Preisvorstellungen, immer häufiger auch in Indikationen, welche die breite Masse betreffen und nicht mehr durch eine Nischenspezialisierung zu rechtfertigen sind.
Bei den Kassen sitzt vor allem der Schock tief nach der im Vorjahr unerwartet aufgetauchten Kostenexplosion durch das innovative Hepatitis C-Medikament „Solvaldi”. Wie berichtet, kostete eine komplette Therapie – die allerdings auch Heilung verspricht – bis zu 160.000 €. Zwar sind die Preise rasch wieder gesunken, die Kassen mussten aber Millionen aufwenden und rutschten prompt ins Minus. Die Krankenkassen erwarten für heuer einen Verlust von 129,3 Mio. €; das vergangene Jahr hatte die Krankenkassen noch mit einem Plus von 88 Mio. € abgeschlossen. (iks)