Goldgräberstimmung in der Pharmabranche
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HEALTH ECONOMY Redaktion 16.03.2018

Goldgräberstimmung in der Pharmabranche

Personalisierte Medizin und Big Data lösen Pharma-Boom aus. Aber auch Tech-Konzerne drängen in den Markt.

••• Von Martin Rümmele

In der Pharmabranche herrscht Goldgräberstimmung. Doch kein neu entdeckter Wirkstoff, sondern die Patienten selbst mit ihren Leiden und Medikamenten sind in den Fokus gerückt: Die Unternehmen buhlen um die Masse an Informationen, die inzwischen elektronisch verfügbar sind und damit gezielt ausgewertet werden können – also um „Big Data” aus Krankenakten, Versicherungsstatistiken und Melderegistern und um die IT-Riesen mit ihren Datenbergen aus Fitness-Armbändern, -Apps und den Sozialen Medien.

Big Data als Chance

Damit wollen Konzerne die Wirksamkeit von Arzneien im Alltag ermitteln, um Therapien zu verbessern. Das Zauberwort heißt personalisierte Medizin. Mittels Daten soll genauer erforscht werden können, welche Erkrankung ein Patient wirklich hat. Genanalysen ergeben zudem neue Möglichkeiten, Erkrankungen besser zu erforschen. Ein Medikament, das bei einem Patienten wirkt, kann bei einem anderen nicht wirken. Kennt man die Unterschiede der beiden, kann man Medikamente zielgerichteter entwickeln und verabreichen. Das verspricht einerseits bessere Heilungschancen, andererseits auch nicht zuletzt deshalb höhere Preise und Gewinne.

Zuletzt kündigte, wie berichtet, der Schweizer Pharmakonzern Roche an, die von der Google-Mutter Alphabet unterstützte Software-Schmiede Flatiron Health für 1,9 Mrd. USD komplett zu übernehmen. Schon vorher waren die Baseler an dem New Yorker Unternehmen beteiligt, das über eine Kooperation mit mehr als 265 Krebskliniken die Daten von Millionen Patienten auswertet. Roche-Pharmachef Daniel O'Day warb für den Kauf als Schritt hin zur personalisierten Medizin – etwa bei der Krebsbehandlung, wo die Therapie genau auf bestimmte Tumore zugeschnitten werden kann.

Neue Therapien

Die durch Datenanalyse gewonnenen Erkenntnisse aus dem Leben der Patienten werden aber nicht nur bei der Behandlung von Krebs als vielversprechend gewertet. Auch bei Herz- und Atemwegserkrankungen sieht die Branche großes Potenzial. Seit Langem gelten klinische Studien als das A und O für die Beurteilung der Tauglichkeit von Medikamenten. Sie werden aber immer teurer und die Auswahl an Studienteilnehmern ist begrenzt. Die digital gesammelten Daten von Millionen Behandelten könnten dagegen bei niedrigeren Kosten ein schärferes Bild von Therapie-Erfolgen und -Rückschlägen in der „real world” zeichnen, so die Befürworter. In den USA und der EU prüfen die Arzneimittelbehörden inzwischen Möglichkeiten, solche Statistik-Analysen aus dem „echten Leben” („Real-World Evidence”/RWE) für ihre Entscheidungen zu nutzen.

Klinische Studien

Die Zahl klinischer Studien, die durch RWE ergänzt werden, ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Alle großen Pharmakonzerne haben längst Abteilungen, die sich mit der Nutzung von RWE bei verschiedenen Krankheiten beschäftigen. Erste große Untersuchungen liegen vor, so von AstraZeneca und Sanofi für die Behandlung von Diabetes sowie von Pfizer und Bristol-Myers Squibb zur Vorbeugung von Schlaganfällen.

Erich Lehner, Managing Partner Markets und Leiter des Bereichs Life Sciences bei EY Österreich, erwartet nicht zuletzt aufgrund der Entwicklungen für heuer zahlreiche Übernahmen zwischen Pharmaunternehmen und Technologieriesen. „Die Pharmaunternehmen werden getrieben von der rasanten technologischen Entwicklung und den sich ebenso rasant verändernden Kundenerwartungen. Gleichzeitig dringen große Technologiekonzerne in den Life-Sciences-Markt ein. Die bisher angesammelte Feuerkraft dürften einige Konzerne deshalb für strategische Übernahmen ­einsetzen, um im Wettbewerb bestehen zu können. Wir erwarten, dass das M&A-Volumen 2018 wieder deutlich über 200 Milliarden US-Dollar steigen wird.”

Übernahmewelle kommt

Die Prüfungs- und Beratungsorganisation EY hat die Finanzdaten der größten Pharma-, Biotech- und Specialty-Pharma-Unternehmen untersucht und in einem Index aufgelistet. Dieser „Firepower Index” von EY misst die Kaufkraft von Biopharma-Unternehmen bei M&A-Transaktionen aufgrund ihrer Bilanzstärke und Marktkapitalisierung. Die „Feuerkraft” – also die Mittel, die Unternehmen für Zukäufe mobilisieren können – ist im Vergleich zum Vorjahr um knapp zehn Prozent auf 1,34 Billionen USD gestiegen. Das ist der dritthöchste Wert seit Bestehen des Index. Lehner: „Die Medtech- und Pharmaunternehmen müssen sich vom Wettbewerb absetzen. Es geht künftig auch darum, datengestützte Plattformen zu entwickeln, die den Patienten einen Mehrwert bringen. Mithilfe von Big Data können dann Therapien personalisiert und effektiver für die Kunden entwickelt werden.” Doch auch bei den Technologiekonzernen ist in Sachen Gesundheit Goldgräberstimmung ausgebrochen. Technologieriesen wie Amazon oder die Google-Mutter Alphabet dringen inzwischen ebenfalls in den Life-Sciences-Markt ein – und bringen riesige Mengen an Kapital mit. Allein die sieben größten Technologiekonzerne kommen mit annähernd 1,7 Billionen USD auf mehr Feuerkraft als die 65 größten Life-Sciences-Unternehmen zusammen, rechnet EY vor. „Das Geld für Fusionen und Übernahmen ist da und der Wille auch”, stellt Lehner fest.

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