••• Von Katrin Pfanner
WIEN / KONSTANZ. Der Darm ist das größte Organ des Menschen. Er ist acht Meter lang und besteht aus Millionen von Zotten. 100 Billionen Bakterien besiedeln jeden einzelnen Menschen, die meisten davon leben in unseren Darmwänden. Damit leben zehnmal mehr Bakterien im Darm, als der menschliche Organismus an Zellen besitzt. Bei seiner Arbeit wird der Darm von mehr als 500 Bakterienarten unterstützt. Und diese Zusammenarbeit hat Auswirkungen auf das Immunsystem, aber, wie neue Forschungen zeigen, auch auf das Gehirn und die Gedächtnisleistung. Denn der Darm ist ein sensibles Nervennetzwerk und steuert 80% aller Stoffwechselvorgänge im Körper.
Ein internationales Team aus Wissenschaftern um die Mikrobiologen Alexander Loy von der Universität Wien und David Schleheck von der Universität Konstanz hat nun neue metabolische Fähigkeiten von Darmbakterien entschlüsselt. Die Forscher haben erstmals analysiert, wie Mikroben im Darm den pflanzlichen Schwefelzucker Sulfoquinovose verarbeiten. Sulfoquinovose steckt in allen grünen Gemüsesorten wie Spinat und Salat.
Grünes Gemüse als Turbo
Die Studie ergab, dass spezialisierte Bakterien bei der Verwertung des Schwefelzuckers kooperieren und dabei Schwefelwasserstoff produzieren. Dieses Gas – bekannt für seinen Geruch nach faulen Eiern – hat ambivalente Effekte auf die Gesundheit: In niedriger Konzentration wirkt es entzündungshemmend; große Mengen Schwefelwasserstoff im Darm werden wiederum mit Erkrankungen wie Krebs in Verbindung gebracht. Die Studie ist im Fachmagazin The ISME Journal erschienen, berichtet die Universität Wien. „Bisher sind die metabolischen Fähigkeiten vieler dieser Mikroorganismen des Mikrobioms noch unbekannt. Das heißt, wir wissen nicht, welche Stoffe sie nähren und wie sie diese weiterverarbeiten”, erklärt Buck Hanson, Erstautor der Studie und Mikrobiologe am Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien.
Studie zum Darmmikrobiom
Indem die Forscher erstmals den mikrobiellen Stoffwechsel des Schwefelzuckers Sulfoquinovose im Darm erforscht haben, „können wir mehr Licht in diese Blackbox bringen”, erklärt Hanson. Die Studie generiert damit Wissen, das notwendig ist, um die Wechselwirkungen zwischen Ernährung und Mikrobiom in Zukunft therapeutisch gezielt beeinflussen zu können. „Wir konnten nun zeigen, dass die Sulfoquinovose, anders als beispielsweise Glukose, die eine Vielzahl von Mikroorganismen im Darm ernährt, das Wachstum ganz spezifischer Schlüsselorganismen im Darm-Mikrobiom stimuliert”, sagt David Schleheck. Zu diesen Schlüsselorganismen zähle das Bakterium der Art Eubacterium rectale, das zu den zehn häufigsten Darmmikroben bei gesunden Menschen gehöre.
Neue präventive Möglichkeiten
„Wir haben gezeigt, dass wir über die Sulfoquinovose das Wachstum ganz bestimmter Darmbakterien, die ein wichtiger Baustein unseres Darm-Mikrobioms sind, fördern können. Wir wissen jetzt auch, dass diese Bakterien daraus wiederum den widersprüchlich wirkenden Schwefelwasserstoff produzieren”, resümiert Loy. Weitere Studien der Wissenschafter aus Konstanz und Wien sollen nun klären, ob und wie die Einnahme des pflanzlichen Schwefelzuckers gesundheitsfördernd wirken kann. „Möglicherweise könnte Sulfoquinovose auch als sogenanntes Präbiotikum eingesetzt werden”, ergänzt der Konstanzer Mikrobiologe Schleheck. Präbiotika sind Nahrungsinhaltsstoffe oder -zusätze, die ganz spezifisch von Mikroorganismen verstoffwechselt und gezielt eingesetzt werden, um das Darm-Mikrobiom zu unterstützen.