••• Von Ina Karin Schriebl
Der Sensor ist weniger als zwei Zentimeter lang und wird unter die Haut eingesetzt. Der kleine Eingriff kann ambulant in einer Arztpraxis durchgeführt werden und dauert nur wenige Minuten. Anhand von Lichtsignalen misst der Sensor den Glukosewert in der Gewebeflüssigkeit und sendet die Rohdaten mittels drahtloser Technologie an einen Smart Transmitter, der über dem Sensor auf die Haut aufgeklebt wird. Der Smart Transmitter berechnet die Glukosekonzentration und überträgt die Werte kontinuierlich via Bluetooth an eine Smartphone-App. Bei Hypo- oder Hyperglykämien werden Verwender entweder durch die App oder durch Vibration am Smart Transmitter alarmiert.
Was nach Zukunftsvision klingt, ist bereits Realität. Seit einiger Zeit kooperiert Roche Diabetes Care Austria mit Senseonics Inc., einem Medizintechnikunternehmen mit Sitz in den USA, das das Continuous Glucose Monitoring System (CGM) entwickelt hat und das Roche nun in Österreich vertreibt. Erste Tests mit Patienten verliefen erfolgreich. Andere Technologien kombinieren Sensormessungen mit einer Insulinpumpe. Neben der Messung des Blutzuckers wird auch die Insulindosis laufend berechnet und gesteuert, heißt es vom Medizintechnikunternehmen Medtronic. Insgesamt sollen die Systeme die Versorgung der Patienten verbessern und die Lebensqualität erhöhen.
Hohe Dunkelziffer
Die Beispiele zeigen zwei Dinge: Nicht mehr allein die Pharmaindustrie, sondern zunehmend die Medizintechnikbranche punktet in der Therapie komplexer Erkrankungen. Und: Wachsende Zivilisationserkrankungen wie Diabetes versprechen den Branchen gute Geschäfte und treiben damit die Forschung voran. Rund 650.000 Menschen leiden in Österreich an Diabetes mellitus, Tendenz stark steigend. Dazu kommt eine große Zahl an noch nicht diagnostizierten Patienten; die Dunkelziffer wird auf etwa 200.000 Menschen geschätzt.
Komplexe Erkrankung
Unter Diabetes oder „Zuckerkrankheit” versteht man zwei ähnliche Krankheiten mit unterschiedlichen Ursachen. Gemeinsam ist beiden, dass die Regulierung des Blutzuckerspiegels durch das Hormon Insulin nicht funktioniert. Beim Diabetes Typ I, einer Autoimmunerkrankung, bildet die Bauchspeicheldrüse zu wenig oder gar kein Insulin; dieses müssen Betroffene mit Injektionssystemen (Pen) zuführen.
Beim Typ II-Diabetes reagieren die Körperzellen nicht mehr richtig auf das Insulin, sodass die Zellen zu wenig Glucose bekommen und „verhungern” während der Blutzuckerspiegel ansteigt. Die Bauchspeicheldrüse schüttet in der Folge immer mehr Insulin aus und ist irgendwann überfordert, sodass die Insulinproduktion schließlich nachlässt. Typ II-Diabetiker können meist erfolgreich mit Medikamenten behandelt werden, Insulininjektionen brauchen sie oft erst in einem sehr fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung.
Übergewicht und Diabetes – diese Gleichung stimmt oft, und doch kann das Klischee in die Irre führen. „Nicht jeder Dicke wird zuckerkrank und nicht jeder Schlanke ist davor geschützt”, sagt Norbert Stefan, Diabetesforscher am Uni-Klinikum Tübingen. Stereotype führen für ihn dazu, dass die Krankheit und vor allem ihre Vorstufen oft unentdeckt und unterschätzt bleiben. Am 14. November war der internationale Weltdiabetestag, der jedes Jahr auf die Gefahren der Erkrankung aufmerksam macht. Dieses Jahr war die spezielle Situation von Frauen mit Diabetes Thema. Frauen werden zu anderen Zeitpunkten in ihrem Leben mit der Erkrankung konfrontiert, andere Risikofaktoren zeichnen sich in der Forschung ab, und sogar die gängigen Behandlungen haben auf Frauen andere Auswirkungen als auf Männer. Das weibliche Hormon Östrogen hat zwar eine gewisse Schutzfunktion gegenüber der Erkrankung, doch dies bedeutet nur, dass Frauen in anderen Lebensstadien mit der Erkrankung konfrontiert werden. Die Experten der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG) fordern deshalb, dass bei dieser Volkskrankheit die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Gendermedizin sowohl bei der Früherkennung als auch bei der Behandlung entsprechend berücksichtigt werden. Weiters ruft die ÖDG auch alle Frauen auf, sich mit den Themen Ernährung und Bewegung auseinanderzusetzen, da sie einen großen Einfluss auf die gesundheitliche Zukunft unserer gesamten Gesellschaft haben.
Lebensstil entscheidend
„Diabetes selbst ist nicht ansteckend und doch verbreitet sich die Erkrankung mit einer rasenden Geschwindigkeit über den gesamten Erdball, weil der Lebensstil, der diese Erkrankung fördert, ansteckend ist”, erklärt der Präsident der Österreichischen Diabetes Gesellschaft, Hermann Toplak, von der Ambulanz für Lipidstoffwechsel der Uniklinik für Innere Medizin der Meduni Graz. „Unsere Städte, unsere Arbeitswelt, aber auch unser Freizeitverhalten und unser Familienleben führen zu einem erhöhten Diabetesrisiko.” Diabetes werde generell immer noch zu spät erkannt, sagt Andreas Pfeiffer, Experte an der Berliner Charite. Dabei lasse sich die Vorstufe relativ leicht wieder loswerden. „Fünf Kilo abnehmen, eine halbe Stunde pro Tag körperlich aktiv sein und sich einigermaßen gesund ernähren – damit lässt sich das Risiko um 80 bis 90 Prozent senken”, sagt Pfeiffer. „Aber Diabetes merkt man nicht, der tut nicht weh.”