Wachsende Sorge vor neuen Lieferengpässen
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HEALTH ECONOMY Redaktion 25.08.2023

Wachsende Sorge vor neuen Lieferengpässen

Die Regierung rüstet mit einer Bevorratungsverordnung gegen Engpässe, die EU plant ebenfalls Reformen. Die Pharmabranche ist wenig erfreut.

••• Von Martin Rümmele

Laut einer Iqvia-Studie zu Arzneimittelengpässen ist Österreich gemeinsam mit Italien Schlusslicht”, sagt Bernd Grabner, Präsident des Europäischen Pharmagroßhandelsverbandes GIRP, Vizepräsident der heimischen Phago und Geschäftsführer von Jacoby GM. „Für uns Großhändler ist die Situation in Österreich aufgrund der schlechten finanziellen Vergütung inzwischen prekär. Die derzeitige Vergütung datiert aus dem Jahr 2004. Dazwischen liegen 19 Jahre Inflation und 19 Jahre sinkende Arzneimittelpreise, die aufgrund der Regelungen zu einer massiv sinkenden Vergütung bei steigenden Energiekosten und steigenden regulatorischen Anforderungen führen.”

Auch die Industrie ortet düstere Entwicklungen: „Derzeit wird in der Erstattung eine Preisspirale nach unten gesetzt, die sich ziemlich rasch dreht”, kritisiert der neue Präsident des Pharmaverbandes, Ingo Raimon (AbbVie). Es brauche eine Nutzenbewertung, denn aktuell gebe es eine reine Preisbewertung, und das Motto der Erstattung laute ganz klar: „‚Es muss billiger sein als das, was es schon gibt.' Langfristig wird diese Haltung dazu führen, dass das therapeutische Angebot und damit die Auswahl an Medikamenten für die Ärzteschaft und Patienten extrem limitiert wird.”

Neue Regierungspläne

Ende Juli hat die Bundesregierung im Sommerministerrat ein Gesundheitspaket beschlossen, bei dem Maßnahmen gegen Arzneimittelengpässe enthalten sind. Die Regierung will gegen den Medikamentenmangel ein Lager für wichtige Wirkstoffe anlegen, auf das Apotheken zugreifen können, um Medikamente selbst zubereiten zu können. Auch verspricht die Regierung mehr Transparenz bei Versorgungsengpässen. Die Verpflichtung der pharmazeutischen Industrie, längerfristig ausreichende Mengen versorgungsrelevanter Arzneimittel im Inland einzulagern, wird erweitert, die dafür anfallenden Kosten werden von der öffentlichen Hand getragen. „Einige Fragen sind aus unserer Sicht noch offen”, betont die neu gewählte Präsidentin des Forums der forschenden pharmazeutischen Indus­trie (FOPI), Julia Guizani (Sanofi): „Etwa welche Produkte gelagert werden sollen. Viele der möglichen Produkte sind zudem mit Preissenkungen konfrontiert. Wer übernimmt die Lagerung? Was passiert, wenn die Produkte ablaufen? Was passiert, wenn Medikamente nicht abgerufen werden? Wer trägt das wirtschaftliche Risiko? Hier ist noch viel zu klären und dabei ist es wichtig, alle Beteiligten einzubeziehen.”

Mehr Autonomie gefordert

Der Biochemiker, Patentanwalt und OGH-Richter Daniel Alge ist seit Kurzem Präsident der Bundeskonferenz der Freien Berufe und er wünscht sich im media-net-Gespräch mehr Geld im System. „Der demografische Wandel mit einer zunehmend alternden Gesellschaft stellt uns vor die Herausforderung, dass immer mehr Menschen Pflege- und Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen. Leider wurde das Wort ‚Optimierung' in den vergangenen Jahren immer mit Einsparungen und den sogenannten Kostendämpfungspfaden in Zusammenhang gesetzt. Die Folge war das Gegenteil von Optimierung.” Generell müssten Österreich und Europa hinsichtlich Medizinprodukte und Medikamente wieder autonomer werden. „Die starke Abhängigkeit von Asien ist uns in der Covid-Pandemie allen schmerzlich bewusst geworden, als plötzlich die gewohnten Lieferketten aus Übersee unterbrochen wurden. Wir brauchen mehr Beispiele wie Kundl, wo Novartis aktuell die letzte Antibiotika-Produktion Europas betreibt und kürzlich neue Investitionen angekündigt hat. Dazu müssen sich aber Investitionen in die Entwicklung neuer Medikamente oder in die Herstellung etablierter Medikamente in Österreich und in der gesamten EU auch wieder lohnen. Eine stetige Niedrigregulierung der Preise für wirksame Medikamente steht dem entgegen”, betont Alge.

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