Warum wir Gesundheit sozial denken müssen
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HEALTH ECONOMY Redaktion 07.10.2022

Warum wir Gesundheit sozial denken müssen

Immer mehr Menschen finden sich im Gesundheitssystem nicht zurecht. Niederschwellige Angebote versuchen das nun zu ändern.

••• Von Katrin Grabner

Projekte wie „Social Prescribing” – also die „Verschreibung” sozialer Angebote durch Ärzte –, das jetzt in Österreich forciert wird, oder das vielfach gelobte Konzept der Gesundheitskioske, das in Deutschland ausgerollt werden soll, versuchen niederschwellige Angebote zu schaffen und das Gesundheitssystem greifbarer zu gestalten. Denn klar ist: Ob ein Mensch gesund ist und bleibt, hängt stark von Einkommen, Bildungsgrad und Herkunft ab. Geringes Einkommen, wenig Bildung und ein Migrationshintergrund wirken sich dabei nachteilig auf die Gesundheit aus. Das zeigt die Auswertung der Daten der jüngsten Österreichischen Gesundheitsbefragung von 2019. „Gesundheit und Soziales sind eine untrennbare Einheit, die stets zusammen betrachtet und gedacht werden muss”, betont auch Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne).

Aktuell arbeite man beispielsweise in der Seestadt in Wien über Social Prescribing daran, Menschen niederschwellig in das Gesundheitssystem zu holen sowie deren Gesundheitskompetenz zu stärken. „Gelebte interdisziplinäre Zusammenarbeit und Niederschwelligkeit haben eine Schlüsselstellung in der Gesundheitsversorgung”, weiß Beate Wimmer-Puchinger, Präsidentin des Berufsverbandes Österreichischer Psycholog­Innen.

Entlastung für Spitäler

Vorbild für Projekte dieser Art sind die Gesundheitskioske in Deutschland, wo examinierte Pflegefachkräfte arbeiten. Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verkündete erst kürzlich, dass das Konzept nun landesweit ausgerollt werden soll. Das Ziel der Kioske ist es, Ärzte und Spitäler zu entlasten und sozial benachteiligte Menschen ins Gesundheitssystem zurückführen. „Die Universität Hamburg hat unseren Kiosk zwei Jahre lang begleitet und evaluiert, und wir haben gesehen: Die Rate der unnötigen Krankenhauseinweisungen ist, verglichen mit dem Rest von Hamburg, um 20 Prozent gesunken”, erklärt Klaus Balzer vom Gesundheitskiosk Billstedt in Hamburg einen Teilerfolg des Projekts im medianet-Gespräch. „Durch den aktuellen Pflegenotstand werden die Kioske immer wichtiger. Das Personal im Krankenhaus wird auf uns aufmerksam und schickt mehr Leute in den Gesundheitskiosk”, betont Balzer.

Die Bewohner von Billstedt, ein Hamburger Viertel mit geringer Ärztedichte, einem hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund und einem hohen Prozentsatz an Hartz-IV-Empfängern, bekommen im Kiosk ohne Anmeldung Beratung – meist in der eigenen Muttersprache – zu gesundheitlichen Fragen. 60% der dort eintreffenden Menschen werden sogar direkt von Ärzten überwiesen.

Prävention im Fokus

Ein besonderer Fokus in der Arbeit der Pflegefachkräfte vor Ort ist die Prävention. Ein Großteil der Besucher des Kiosks interessiere sich für Angebote zum Thema Übergewicht; vor allem bei Kindern und deren Eltern könne man hier mit Beratung und Kursangeboten wie „Yoga für Mollige” gut ansetzen.

Man habe besonders während der Pandemie verstärkt mit Kinderärzten zusammengearbeitet; auch psychische Belastungen seien ein präsentes Thema gewesen und sind es nach wie vor. Dafür gäbe es im Gesundheitskiosk Sprechstunden für psychische Unterstützung und seelische Beratung, oder die Klienten werden an andere Einrichtungen weiterverwiesen. Zentral ist, dass sie mit ihren Gesundheitsfragen nicht (mehr) alleine gelassen werden.
Für Wimmer-Puchinger ein „sehr innovativer” Ansatz – man möchte nun über Social Prescribing ähnliche Angebote auch in Österreich schaffen. „Die bisherigen Erfahrungen aller Beteiligten und die positiven Rückmeldungen zeigen uns, dass der Ansatz der sozialen Verschreibung funktioniert”, erklärt Rauch. Deshalb wurde auch die ursprüngliche Fördersumme verdoppelt (siehe oben).

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