Einkaufsabteilung ist oft das Stiefkind
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Verena Deller Principalin bei der Unternehmens­beratung Inverto.
INDUSTRIAL TECHNOLOGY 15.01.2016

Einkaufsabteilung ist oft das Stiefkind

Die strategische Bedeutung der Beschaffung für den wirtschaftlichen Erfolg wird noch drastisch unterbewertet.

••• Von Britta Biron

Komminiziert ein Unternehmen aktuelle Erfolge – etwa die Steigerung von Umsatz und Gewinn, die Entwicklung einer besonderen Innovation, die Gewinnung neuer Kunden –, so weist es in der Regel auch auf die Gründe dafür hin. Da wird das strategische Können des Managements genannt, die Stärken des Vertriebs gelobt, den Produktentwicklern auf die Schulter geklopft, auf den hohen Einsatz der Produktion hingewiesen oder auf die Kreativität des Marketings verwiesen. Das hat sicher alles seine Berechtigung. Jene Abteilung, die aber dafür sorgt, dass die Produktion etwas produzieren, der Vertrieb etwas verkaufen, die Entwickler etwas entwickeln und das Marketing etwas anpreisen kann, bleibt in der Regel ungenannt.

Auf Nebenrolle reduziert

Dass der Einkauf aber eine nicht unerhebliche Rolle dabei spielt, ob und wie erfolgreich ein Unternehmen ist, scheint man schlicht nicht wahrzunehmen bzw. hält es für nicht erwähnenswert.

Ein eklatanter Trugschluss, wie die aktuelle Return on Supply Management Assets (ROSMA) Performance Check-Studie von A.T. Kearney zeigt, nach der die Top-Performer unter den Einkaufsabteilungen (25% der untersuchten Unternehmen) ihren Arbeitgebern 7,5 Mal mehr einbringen als sie kosten – im Durchschnitt rund eine Mio. € pro Mitarbeiter und Jahr.
„Die leistungsstärksten Einkaufsabteilungen verbesserten ihre Performance im Vergleich zu 2014 erheblich und konnten die 10- bis 15-fache Rendite einbringen”, so Michael Strohmer, Partner bei A.T. Kearney.
Selbst im Mittelfeld wird im Schnitt ein ROSMA-Index zwischen vier und fünf erzielt.

Verschenktes Potenzial

Eine kleine Hilfestellung zum Verständnis dieser etwas abstrakten Werte: Überschlagen Sie grob, wie viel Ihnen pro Jahr die Einkaufsabteilung kostet, multiplizieren Sie das mit vier und fragen Sie spaßeshalber Ihren Vertriebsleiter, wie viele Einheiten zusätzlich verkauft werden müssten, um unterm Strich zu einem ähnlichen Ergebnis zu kommen.

Überlegen Sie dann, ob das mit den bestehenden Kapazitäten in Produktion und Vertrieb realisierbar ist (vermutlich nicht), addieren Sie also noch die notwendigen Zusatzinvestitionen und vergessen Sie auch nicht auf den Mehraufwand, der im Marketing anfallen würde.
Vielleicht sehen Sie nach diesem kleinen Rechenbeispiel Ihre Einkaufsabteilung schon in einem neuen Licht.

Änderungen notwendig

Und notwendig wäre es in der Tat, die Bedeutung der Beschaffung mehr zu würdigen und rasch die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit der Einkauf sein gesamtes Potenzial auch tatsächlich ausschöpfen kann – ganz besonders im Hinblick auf Indus­trie 4.0, deren total vernetzte Supply Chain einen leistungsstarken Einkauf voraussetzt.

Bevor man allerdings Maßnahmen zur Verbesserung einleiten kann, muss erst erkannt werden, wo die Knackpunkte liegen. Mit den Ursachen, warum der Einkauf in vielen Unternehmen unter ferner liefen rangiert, haben sich etliche Studien beschäftigt.

Organisationsstruktur

So zeigt eine Analyse von Techpilot, einer deutschen Einkaufs-Plattformen, eine eindeutige Korrelation zwischen der Wertschätzung des Einkaufs und seiner Position in der Unternehmenshierarchie.

Ist der Einkaufsleiter Mitglied der Geschäftsführung (was allerdings nur bei etwa einem Fünftel der Unternehmen der Fall ist), dann sind 31,4% der Meinung, dass ihre Abteilung im Unternehmen eine hohe Anerkennung genießt, und 51,4% der Befragten sehen den Einkauf gleichberechtigt neben den anderen Unternehmensbereichen.
Ist der Einkauf auf der 2. Führungsebene angesiedelt, dann geben nur noch 25,9% an, dass das Ansehen hoch ist, und 50,6% halten den Einkauf für gleichberechtigt. Ab der 3. Führungsebene liegt die Anerkennung nur noch bei 2,7%, und gleichberechtigt fühlen sich nur noch 28,2% der Einkaufsleiter.
Interessant ist, dass das Ausbildungsniveau des Einkaufs offenbar keine Auswirkungen darauf hat, auf welcher Hierarchiestufe die Abteilung steht. Selbst bei einer Akademikerquote von 70% und mehr sind nur 40% der Einkaufsleiter Mitglied der Geschäftsführung.
Zudem wird die Bedeutung verschiedener Einkaufsfunktionen laut der Techpilot-Umfrage sehr unterschiedlich gewichtet. Im Vordergrund steht das Verhandeln von Preisen und Konditionen (im Schnitt 4,39 von 5 möglichen Punkten), gefolgt vom Lieferantenmanagement (3,3 Punkte) und dem Strategischen Einkauf (3,26 Punkte). Einen geringen Stellenwert haben dagegen Outsourcing, Global Sourcing, Schnittstellenmanagement und Risikoanalyse mit 2,4 bis 2,5 Punkten.

Mangelhaftes Reporting

Entscheidend für die Anerkennung ist vor allem der Wertbeitrag, den die Abteilung liefert. Allerdings ist in den meisten Unternehmen das Wissen darüber nur rudimentär vorhanden. Während 85% der Unternehmen mit einem ROSMA-Index von über 7 die Leistung des Einkaufs mittels verschiedener Kennzahlen laufend evaluiert, ist im Großteil der Betriebe das Reporting lückenhaft.

Von den für die ROSMA-Studie befragten CFOs und leitenden Finanzmanagern erkennen daher nur 10% den Wertbeitrag des Einkaufs an, da er sich zahlenmäßig belegen lässt.
Etwa 15% der befragten CFOs sehen den Einkauf als belanglos oder von eher untergeordneter Bedeutung an und 75% bewerteten den Einkauf als neutral.

Teurer Wildwuchs

Allerdings hilft das beste Reporting wenig, wenn ein guter Teil des Beschaffungsvolumens nicht über den Einkauf läuft.

Und das ist durchaus gängige Praxis, etwa bei Entwicklungsprojekten, in die nur 24,4% der Einkaufsabteilungen standardmäßig eingebunden sind. 8% sind gar nicht involviert, 50% zumindest gelegentlich und 14,6% nur bei Neuentwicklungen.
Kein Produktionsleiter käme auf die Idee, ein Werbekonzept zu entwickeln, kein Produktentwickler sähe sich veranlasst, sich um die Vertriebsstrategie zu kümmern, und kein Controller hätte Ambitionen, sich um technische Fragen in der Produktion zu kümmern. Beim Einkauf dagegen mischen alle Abteilungen kräftig mit. Um Büromaterial und Geschäftsreisen kümmert sich z.B. das Sekretariat, um Anschaffungen für Entwicklungsprojekte die F&E-Abteilung, und um Computer, Netzwerk & Co der IT-Bereich.
Insgesamt wird die Quote dieses Maverick-Buyings von Experten auf 30 bis 40% des gesamten Beschaffungsvolumens geschätzt. Wie hoch die Ineffizienz dadurch ist, zeigen zwei Beispiele.
So hat der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) etwa ermittelt, dass Unternehmen, die sich kaum mit dem Einkauf von Stückgütern und Teilladungen beschäftigen, in vielen Fällen bis zu 40% mehr zahlen als andere, die hier professioneller vorgehen.
Auch beim Einkauf von Marketingleistungen liegt laut einer aktuellen Inverto-Studie viel Einsparpotenzial brach. Statt einer Kostenreduktion von 12% (branchenübergreifender Benchmark) erzielen die Unternehmen nur eine Quote von durchschnittlich 5,6%.
Insgesamt gaben 74% der Marketingleiter an, überhaupt mit den Kollegen im Einkauf zusammenzuarbeiten, eng ist die Kooperation nur bei 14%. Beim größten Posten, den Ausgaben für Agenturleistungen, kooperiert nur jeder Zweite mit dem Einkauf. Einkaufskennzahlen zur Ausgabenkontrolle verwendet ebenfalls nur die Hälfte. Wenig überraschend ist daher, dass 19% der Marketingabteilungen die geplanten Budgets überschreiten.
„Die ungenügende Kooperation mit dem Einkauf kostet viel Geld. Dabei sind die Gründe dafür, wie Vorurteile wegen längerer Entscheidungswege oder die Unterstellung, Einkäufern fehle das Fachwissen, längst überholt. Eine enge Einbindung des Einkaufs führt sogar zur Steigerung der Qualität”, ist Verena Deller, Principalin bei Inverto, überzeugt.
„Der Einkauf leistet einen enormen Wertbeitrag im Unternehmen und kann – gut geführt – einen Wettbewerbsvorteil darstellen. Dieser Wertbeitrag muss aber auch richtig gemessen und nach einheitlichen Bewertungsstandards verglichen werden können”, rät Strohmer zu einem strikteren Reporting.
Was der Einkauf selbst dazu beitragen kann, um seine Stellung zu verbessern, darauf weist Marc Staudenmayer, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Advancy, hin: „Das kann nur ein gezieltes Selbstmarketing leisten, das in erster Linie Transparenz schafft über den Wertbeitrag und die Erfolge des Einkaufs, aber auch informiert über die Einkaufsfunktionen und Beschaffungsprozesse. Denn nur informierte Manager und Kollegen sind in der Lage, die Leistungen des Einkaufs angemessen zu würdigen.”

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