Transport, Rebellen, ­Digitalisierung und KI
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INDUSTRIAL TECHNOLOGY Redaktion 15.03.2024

Transport, Rebellen, ­Digitalisierung und KI

Managing Director Air & Sea Logistics Dachser Austria, Peter Deutschbauer, zur logistischen Gemengelage.

••• Von Helga Krémer


Die Wasserstraßen vom und zum Roten Meer sind wichtige Schifffahrts-Engpässe für die Weltwirtschaft, die das Mittelmeer mit dem Indischen Ozean und den Suezkanal mit dem Horn von Afrika verbinden. Der dort gelegene Golf von Aden gilt als ­Nadelöhr zwischen dem Horn von Afrika und der Arabischen Halbinsel und damit zwischen Afrika und Asien. An ihn grenzen die Staaten Jemen, Dschibuti und der Norden Somalias (bzw. das faktisch unabhängige Somaliland und die autonome Region Puntland).

Nach Beginn des Krieges in Israel und Gaza im Jahre 2023 wurden im Golf von Aden mehrere zivile Container- und Frachtschiffe von Huthi-Truppen angegriffen und entführt. Die Angriffe brachten immense Spannungen in die Lieferketten, denn sie veranlassten mehrere große Reedereien, den Suezkanal nicht mehr zu befahren und zeitaufwendige Umwege um das Kap der Guten Hoffnung in Kauf zu nehmen.
medianet bat Peter Deutschbauer, Managing Director Air & Sea Logistics von Dachser Austria, dazu, aber zu schöneren Themen, wie Digitalisierung, zum Interview.


medianet:
Wie kann eine kleine Rebellengruppe wie die Huthi die Weltwirtschaft dermaßen beeinflussen?
Peter Deutschbauer: Seit dem Konflikt auf einem der wichtigsten Seewege der Welt, dem Suezkanal und vor allem seiner Verlängerung, der Wasserstraße von Bab al-Mandeb, brach der Schiffsverkehr auf dieser Route laut Economist in den letzten Wochen um 90 Prozent ein. Damit sanken nicht nur die Transitgebühren des Suezkanals um 40 Prozent seit Jahresbeginn. Das hat auch wirtschaftliche Folgen ausgelöst.

medianet:
Was genau sind die Folgen?
Deutschbauer: Containerschiffe müssen nun einen Umweg von 6.400 Kilometern um das Kap der Guten Hoffnung in Südafrika fahren. Das verlängert eine Fahrt von Shanghai nach Rotterdam je nach Schiffstyp um acht bis zwölf Tage. Die Treibstoffkosten erhöhen sich um mindestens eine halbe Million Dollar pro Fahrt, und auch die Versicherungskosten steigen. So sind Transportkapazitäten länger gebunden, was beispielsweise bereits die Lieferkette von Tesla unterbrochen hat: Wegen fehlender Bauteile musste der Elektroautohersteller einen Großteil seiner Fahrzeugproduktion im Werk Brandenburg für zwei Wochen stilllegen. Konsumartikel wie Mobiltelefone, Haushaltswaren, Schuhe, aber auch Solarpaneele, Maschinen und Maschinenteile, verzögern sich. Erste Lager leeren sich.

medianet:
Wie wirken sich die gestiegenen Treibstoffkosten auf die Frachtpreise aus?
Deutschbauer: Um die Mehrkosten für die Umfahrung Afrikas zu decken, haben die Reedereien die Preise für den Transport eines Containers von Asien nach Europa im Vergleich zum November vervielfacht. Längere Lieferzeiten und höhere Kosten für Vorprodukte könnten die Hersteller dazu zwingen, die Preise für ihre Endprodukte zu erhöhen. Ein Anstieg der Energiepreise wäre eine mögliche Folge. Das könnte die bisherigen Fortschritte bei der Eindämmung der Inflation zunichtemachen.

medianet: Inwiefern? Wie hängen Frachtkosten und Inflation zusammen?
Deutschbauer: Sie haben sich in den letzten drei Jahren erstaunlich parallel entwickelt. Das heißt, wenn die Frachtkosten gestiegen sind, ist auch die Inflation gestiegen, wie der sogenannte Weltcontainerindex sehr deutlich seit 2020 zeigt. Derzeit trifft ein geringeres Warenangebot auf eine unveränderte Nachfrage – ein Nährboden für steigende Preise. Die Anbieter versuchen, die geringeren Absatzmengen durch höhere Verkaufspreise zu kompensieren, um den negativen Auswirkungen auf Umsatz und Gewinn entgegenzuwirken. Darüber hinaus ist der Suezkanal nicht der einzige globale Schifffahrtsengpass, der unter Druck steht. Der Panamakanal arbeitet derzeit mit reduzierter Kapazität, da der Wasserstand aufgrund einer historischen Dürre niedrig ist und die Anzahl der Schiffe, die den Kanal passieren können, begrenzt ist. Derzeit können nur 18 statt durchschnittlich 36 Schiffe pro Tag den Kanal passieren.

medianet:
Wie könnte man diese Entwicklung eindämmen?
Deutschbauer: Ein Faktor, der ökonomisch gegenläufig wirkt, sind die vielen neuen Schiffe, die während der Pandemie bestellt wurden und nun ausgeliefert werden. Vor dem Konflikt im Roten Meer haben diese neuen Schiffe und damit mehr Kapazitäten zu einem Einbruch der Frachtraten geführt.

Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem die Kapazitäten ausreichen, aber nur knapp. Aber obwohl die letzten fünf Wochen zu einem deutlichen Anstieg der Frachtraten geführt haben, sind wir noch weit von den Frachtraten während der Pandemie entfernt. Solange die Konflikte andauern, gilt es für uns bei Dachser, die Lieferketten bestmöglich am Laufen zu halten. In diesen Zeiten ist es noch wichtiger, eng und transparent mit Partnern und Kunden zusammenzuarbeiten, um trotz aller Herausforderungen weiterhin eine möglichst effiziente und zuverlässige Transportplanung gewährleisten zu können.


medianet:
Was passiert, wenn der Konflikt noch länger andauert?
Deutschbauer: Sollte der Konflikt noch Monate andauern, wird das vor allem die europäischen Verbraucher treffen. Rund ein Fünftel des Verkehrs durch den Suezkanal besteht aus dem Transport von Rohöl und raffinierten Ölprodukten, entweder per Schiff oder über die Sumed-Pipeline durch Ägypten. Eine vollständige Unterbrechung der Öllieferungen durch den Kanal würde eine erhebliche Störung darstellen und wahrscheinlich die Rohölpreise und damit die Energiepreise in die Höhe treiben.

medianet:
Wie hat sich die Logistik grundsätzlich in der Luft- und Seefracht verändert? Wohin wird die Reise gehen?
Deutschbauer: Allein die Pandemie und die Handelskonflikte, verbunden mit weltweiten Lieferengpässen, haben die Luft- und Seefracht stark beeinflusst. Planbarkeit und Resilienz entlang der Lieferkette sind relevanter geworden. Zudem gewinnen nachhaltige Transportlösungen und die Digitalisierung auch in der Luft- und Seefracht stärker an Bedeutung. Bei Dachser werden wir geschäftsfeldübergreifend weiterhin signifikant in Digitalisierung und Automatisierung sowie Klimaschutzmaßnahmen investieren, um auch in Zukunft unsere Services mit überzeugender Qualität anbieten zu können.

Dachser ist davon überzeugt, dass wesentliche Impulse für unser künftiges Wachstum aus dem Asien- und Nordamerika-Geschäft kommen werden. Über die vergangenen Jahre hat Dachser weltweit ein gutes Luft- und Seefrachtnetz aufgebaut, das das Unternehmen nun mit dem leistungsstarken europäischen Landverkehrsnetz eng verzahnt, um unseren Kunden eine ganzheitliche Lösung für weltweite Stückgut-Services zu bieten.


medianet:
Inwiefern kann Künstliche Intelligenz die Luft- und Seefracht voranbringen?
Deutschbauer: KI hat das Potenzial, viele Bereiche der Luft- und Seefracht zu verbessern. Sie kann Prozesse nicht nur effizienter, sicherer und kostengünstiger gestalten, sondern auch einen wichtigen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Wie? Indem sie den Treibstoffverbrauch von Flugzeugen und Schiffen drastisch reduziert. KI nutzt Echtzeitdaten, um optimale Flug- und Routenprofile für jedes Transportmittel zu erstellen. Dabei berücksichtigt sie komplexe Faktoren wie Wetterbedingungen, Verkehrsdichte, Hafenkapazitäten und Lieferzeiten. So kann sie beispielsweise die beste Geschwindigkeit, Höhe und Flugbahn für jedes Flugzeug berechnen, um den Luftwiderstand und den Kraftstoffverbrauch zu minimieren.

KI kann auch den Güterumschlag, die Lagerung und die Verladung im Hafen optimieren. Sie kann Daten aus Kameras, Sensoren und RFID-Tags analysieren, um die Position, den Zustand und den Inhalt jeder Fracht zu verfolgen. Sie kann auch die Kommunikation zwischen Hafenmitarbeitern, Reedern, Logistikern und Behörden verbessern, indem sie Dokumente analysiert, prüft und den gesteuerten Austausch beschleunigt. Das alles kann nicht nur Zeit, Geld und Ressourcen sparen, sondern auch die Umweltbelastung verringern.


medianet:
Immer öfter ist in der Logistik von ‚Digital Twins' zu hören? Sind die digitalen Zwillinge auch bei Dachser Thema?
Deutschbauer: Digitale Zwillinge sind virtuelle Spiegelbilder der realen Welt. Sie sind eine bahnbrechende Innovation für die zukünftige Lieferkette und kommen in allen Logistikbereichen zum Einsatz, weil sie Zeit sparen und die Qualität erhöhen können. Dachser hat in den vergangenen Jahren zwei übergreifende digitale Zwillinge im Lkw-Transport und im Umschlaglager entwickelt und umgesetzt. In der Luft- und Seefracht sind sie bei Dachser bisher noch nicht im Einsatz.

Generell können mit digitalen Zwillingen einzelne Objekte wie Fahrzeuge oder Gebäude, aber ebenso komplette Prozesse, beispielsweise in Produktionslinien, Lagern oder auch interkontinentalen Transportnetzwerken dargestellt werden, was insbesondere für die Luft- und Seefracht von Interesse ist. Mit digitalen Zwillingen kann man Lieferungen und Prozesse virtuell in Echtzeit verfolgen und mögliche Störungen sofort erkennen und beheben. Mit Prescriptive Analytics kann man sogar vorbeugende Maßnahmen vorschlagen oder automatisch umsetzen, um unerwünschte Situationen zu vermeiden. Das funktioniert, in dem durch Prescriptive Analytics die Echtzeit-Daten eines digitalen Zwillings für eine Simulation und Bewertung zukünftiger Zustände und Ereignisse genutzt werden.

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