Von Speed-Factorys & ­helfenden Handschuhen
© Pro Glove
INDUSTRIAL TECHNOLOGY 27.11.2015

Von Speed-Factorys & ­helfenden Handschuhen

Warum ein technologischer Wandel wie der Richtung Autonome Systeme immer auch einen sozialen Wandel beinhaltet.

••• Von Sarah Behrens

Immer häufiger erledigen autonome Systeme in maschineller Selbstorganisation menschliche Arbeit. Dabei zeichnet sich nicht nur die industrielle Fertigung durch einen immer höher werdenden Grad an Automatisierung aus, auch das Alltagsleben ist zunehmend von intelligenten Maschinen beeinflusst und geprägt. Roboter können zeitintensive Aufgaben von der Organisation des Haushalts bis zur Planung des Tagesablaufs übernehmen. Doch was bedeutet das in Zukunft für den Menschen, privat wie auch beruflich? Welchen Einfluss hat die technologische Weiterentwicklung autonomer Systeme, wie Roboter oder intelligente Assistenten, auf das persönliche Umfeld des Menschen und die Gesellschaft insgesamt?

Der Roboter – dein Freund und Helfer

Anders als in der industriellen Fertigung geht es in der Robotik nicht nur um die Automatisierung bestimmter Aufgaben, die zuvor Menschen erledigt haben. Mittlerweile werden Roboter speziell darauf ausgerichtet, Dienstleistungen für den Menschen zu erbringen oder seinen Handlungsspielraum zu erweitern. Roboter halten damit immer stärker Einzug in unser Umfeld und dienen nicht mehr nur der Unterhaltung. Besonders in der Alten- und Krankenpflege, die die Auswirkungen des demografischen Wandels und der einhergehenden Zunahme pflegebedürftiger Personen zu spüren bekommt, nehmen Roboter verstärkt eine unterstützende Rolle ein. Einen für den Einsatz in Pflegeheimen ausgerichteten Roboter bietet z.B. das Fraunhofer Institut mit dem Care-O-Bot 4. Dieser erkennt die Bewohner des Pflegeheims und erinnert sie unter anderem daran, regelmäßig zu trinken, und bringt Getränke selbstständig zum Platz. Darüber hinaus bieten neue technologische Entwicklungen eine Optimierung der Leistungsfähigkeit des Menschen, so beispielsweise der sensorbasierte Handschuh ProGlove des Münchener Unternehmens First-Mile (im Bild rechts). In der industriellen Produktion eingesetzt, ermöglicht der Handschuh, Barcodes auszulesen oder Temperaturen oder Stromspannungen zu messen und so dem Träger schneller, akkurater und somit effizienter zu arbeiten.

Selbstständig dazulernende Roboter

Roboter stoßen durch immer komplexer werdende Aufgaben an ihre Leistungsgrenzen. Im direkten menschlichen Umfeld müssen sich situativ anpassen. Um diesen Bedingungen gerecht zu werden, gilt es, Roboter mit einer Software auszustatten, die ihnen ermöglicht, selbstständig dazuzulernen. Sie ziehen Erfahrungen aus vorher programmierten und ausgeführten Lösungen und übertragen diese auf ähnliche Situationen. Durch den Zugriff auf speziell entwickelte Datenbanken sind sie auch in der Lage, ihnen bislang unbekannte Aufgaben zu meistern. Die im Rahmen des Projekts Robo Brain von der Cornell University in den USA erstellte Datenbank gibt beispielsweise ­Robotern die Möglichkeit, Informationen über den Umgang mit Gegenständen und ­Situationen abzurufen und Handlungsmuster zu erlernen. Je intelligenter Roboter werden, umso menschenähnlicher werden sie und umso komplexere Aufgaben werden sie in Zukunft übernehmen.

Verändertes Verständnis von Mobilität

Autonome Systeme werden sich zukünftig besonders stark im Straßenverkehr zeigen. Sind es zunächst Fahrassistenzsysteme, die Autofahrer entlasten und leichtere Aufgaben wie das Anfahren im Stau oder das Einparken übernehmen, werden langfristig autonom agierende Systeme das Steuer komplett übernehmen. In den Niederlanden entwickelt das Unternehmen Stichting Connekt fahrerlose Minibusse mit Elektroantrieb als öffentliche Transportmittel. Die „WEpods” transportieren bis zu sechs Personen und erreichen eine Geschwindigkeit von 25 Stundenkilometern. Die Minibusse können per App gebucht werden und werden mittels Videoverbindung aus einer Zentrale überwacht.

Das Verständnis von Mobilität wird sich in den nächsten Jahren aufgrund der Automatisierung grundlegend ändern. Die Übertragung von Aufgaben an autonome Systeme bietet Raum für Freizeit- und Arbeitsmöglichkeiten. Die Einzugsgebiete der Großstädte werden sich weiter ausdehnen, da der Weg zur Arbeit in einem autonomen Fahrzeug zum Beispiel durch Schlafen oder Arbeiten genutzt werden kann. Autonome Systeme verändern so nicht nur die Mobilität, sondern die Gesellschaft als Ganzes durch Zeitgewinne und eine damit verbundene Steigerung der Lebensqualität.

Ein persönlicher Assistent für jedermann

Anders als Roboter haben intelligente Assistenten nicht die Aufgabe, Aufgaben vollständig zu übernehmen, sie bieten vielmehr eine Unterstützung beim Ausführen diverser Aufgaben. Diese Art von autonomen Systemen basiert auf reiner Software. Sie begleitet uns zukünftig unauffällig in jeder Minute und wird zum natürlichen Bestandteil vieler Endgeräte. Als persönlicher Assistent auf Messen und Veranstaltungen agiert die Smartphone-App WeBeam des gleichnamigen kanadischen Start-ups. Die App zeigt, welche Personen sich ebenfalls auf der Veranstaltung befinden und gibt Informationen zu Beruf und Interessen. Dabei werden Übereinstimmungen markiert und mögliche interessante Gesprächspartner identifiziert. Kontaktinformationen können einfach über Bluetooth ausgetauscht werden.

Durch Sprachsteuerung wird die Interaktion zwischen Mensch und Maschine immer natürlicher und fügt sich in den Alltag der Menschen nahtlos ein. Um einer realen Gesprächssituation möglichst nahe zu kommen, erhalten intelligente Assistenten häufig eine Stimme oder sogar ein Gesicht. Die Sprachsteuerung, die heute auf Mobilgeräten Anwendung findet, wird künftig bei vielen weiteren Eingabegeräten eingesetzt. Smart Home-Lösungen ermöglichen, Befehle an Haushaltsgegenstände in natürlicher Sprache weiterzugeben und so etwa das Licht zu dimmen oder die Kaffeemaschine einzuschalten. Amazon bietet mit dem Heimsystem Echo eine virtuelle Assistenz namens Alexa, die z.B. Auskunft über das Wetter gibt oder Musik auf Abfrage abspielt; die dabei zum Einsatz kommende Spracherkennungstechnologie Alexa Voice Service (AVS) steht nun auch Entwicklern für den Einbau in weitere Geräte zur Verfügung. Damit wird die Vernetzung von Alltagsgeräten immer präsenter.

Autonome Maschinen in Smart-Factorys

In der Industrie entstehen Smart Factorys, in denen Maschinen und Produktionsprozesse miteinander vernetzt sind. Diese nächste industrielle Revolution wird als Industrie 4.0 bezeichnet. Cloudbasierte Plattformen verbinden dabei alle industriellen Anlagen und sollen deren Überwachung und Wartung optimieren. In der Produktion kommunizieren die Maschinen untereinander und bestimmen autonom, wann welche Maschine den nächsten Fertigungsschritt tätigt. Eine automatisierte Fabrik für molekulares Farming haben beispielsweise Forscher des Fraunhofer-Instituts in den USA aufgebaut. Die Fabrik dient der zeitsparenden und groß angelegten Herstellung von Impfstoffen. Pflanzen wachsen in Behältern mit Hydrokulturen aus Mineralwolle, wobei Licht, Wasser und Nährstoffe automatisch ausgegeben werden. Darüber hinaus ermöglicht die Industrie 4.0 eine Produktion, die in der Lage sein kann, individuelle Einzelfertigungen zu automatisieren und so zu Preisen der Massenfertigung anzubieten. Einen Ausblick in eine Zukunft, in der Nutzer Fertigungsaufträge an Maschinen übermitteln und personalisierte Produkte erhalten, gibt die robotische Installation Robochop. Auf der diesjährigen Cebit konnten Nutzer Robochop aktiv ausprobieren. Dabei konnten sie über eine Web-App Vorlagen für Sitzmöbel erstellen, die ein Industrieroboter daraufhin aus Hartschaumwürfeln produzierte. Doch auch in den so entstehenden cyber-physischen Systemen wird der Mensch weiterhin eine wichtige Rolle spielen, denn die automatisierten Prozesse werden von hochqualifizierten Mitarbeitern bedient und überwacht. Langfristig verspricht die Industrie 4.0, die Produktion aus den asiatischen Massenfabriken zurück nach Europa zu holen. Diese nächste Welle der Automatisierung vernichtet Arbeitsplätze, sagen die einen. Eine indirekte Besteuerung von nichtmenschlicher Arbeit sichert der Gesellschaft eine Automatisierungsdividende und damit die zukünftige Rente, sagen die anderen.

Und die Akzeptanz?

Insgesamt zeigt sich, dass die Weiterentwicklung autonomer Systeme besonders großes Potenzial in Bereichen besitzt, in denen es an Personal mangelt – wie in der Alten- und Krankenpflege. Das Verständnis von Mobilität ändert sich durch die Automatisierung ebenfalls und ermöglicht die Steigerung der Lebensqualität. Im persönlichen Alltag werden intelligente Assistenten durch die Einbettung in Alltagsgegenstände immer präsenter. Bei allen technischen Möglichkeiten bleibt die Akzeptanz der Nutzer aber das ausschlaggebende Kriterium für den Erfolg der eingesetzten Technolo­gien. Neben einer unterstützenden Funktion müssen sie auch den Anwender zufrieden stellen, um sich langfristig durchzusetzen.

Sarah Behrens ist als Junior Product Managerin bei Trendone tätig.

BEWERTEN SIE DIESEN ARTIKEL

TEILEN SIE DIESEN ARTIKEL