Wien/Luzern/Zug. Wirtschaftlich schwierige Zeiten sind meist auch keine guten für die Hersteller feiner Uhren. Wie sehr die Corona-Pandemie die Branche aus dem Takt gebracht hat, zeigt die aktuelle Statistik des Verbands der Schweizer Uhrenindustrie. Zwischen Jänner und September wurden 3,62 Mio. mechanische Uhren im Wert von 9,35 Mrd. CHF exportiert, das entspricht einem Minus gegenüber dem Vorjahr von 31,5 bzw. 25,2%.
Zwar schneiden Modelle in der oberen Preisklasse tendenziell besser ab als die im unteren Segment, und in China, dem größten Markt, zeigt sich mittlerweile wieder ein Plus. Viel positiver wird die Lage dadurch aber auch nicht. Denn bei dem Zuwachs in China darf man nicht vergessen, dass dafür in den Marken-Boutiquen und Juweliergeschäften in Europa und den USA die kaufkräftigen Shoppingtouristen aus dem Reich der Mitte fehlen – und damit ein wesentlicher Umsatzfaktor.
Neugeschäft im Minus
Die Swatch Group meldete für das erste Halbjahr einen Umsatz von 2,197 Mrd. CHF, was einem Minus von 43.4% zum selben Zeitraum des Vorjahres entspricht. Beim LVMH-Konzern weist die Uhren- und Schmucksparte am Ende des dritten Quartals mit 2.266 Mrd. Euro einen Rückgang von rund 30% zur Vergleichsperiode 2019 aus. Ein Blick in den Halbjahresbericht von Richemont macht deutlich, dass Uhren (–33% auf 1,747 Mrd. Euro) von der Pandemie deutlich härter betroffen sind als Schmuck (–13% auf 2,253 Mrd. Euro).
Ein wesentlicher Grund liegt darin, dass der E-Commerce, der in vielen anderen Luxussegmenten wie Kleidung, Accesssoires oder Kosmetik das Minus im stationären Handel zumindest teilweise kompensieren konnte, noch recht unterentwickelt ist. Erst in den letzten Jahren haben einige große Uhrenhersteller diesen Bereich forciert.
Starker E-Commerce
Dass sich hochpreisige Zeitmesser gut über das Netz verkaufen lassen, zeigen Unternehmen wie Chrono24, Chronext, Watchfinder oder Watchbox. Sie konzentrieren sich auf einen Sektor, der von den Herstellern und dem Uhrenfachhandel bisher weitgehend ignoriert wurde, seit einigen Jahren aber einen echten Boom erlebt: den Sekundärmarkt. Der verzeichnet laut Boston Consulting Group ein jährliches Plus von rund acht Prozent – auf derzeit ca. 16 Mrd. Euro – und ist damit doppelt so rasch gewachsen als der Primärmarkt.
Möglich auch, dass der Secondhand-Sektor noch viel größer ist – grobe Hochrechnungen kommen auf rund 450 Mrd. Euro. Nachdem die Schweizer Hersteller allein zwischen 2013 und 2019 (allesamt keine Rekordjahre) mechanische Uhren im Wert von 104 Mrd. CHF exportiert haben und man annehmen kann, dass ein Teil der Uhren seit dem ersten Verkauf mindestens ein Mal den Besitzer gewechselt hat, und berücksichtigt man noch die Ware, die über Live- und Online-Auktionen umgeschlagen wird, erscheint ein mittlerer dreistelliger Milliardenwert nicht mehr übertrieben.
Klar ist aber, dass der Handel mit Uhren aus Vorbesitz krisenfester ist als jener mit Neuware.
Bei der Uhren-Auktion von Phillips Anfang November in Genf wurde ein Umsatz von 23,5 Mio. Euro erzielt. Ein signifikanter Unterschied zu den Ergebnissen in Vor-Corona-Zeiten zeigt sich nicht. Auch bei Christies lief das Geschäft mit Pre owned-Zeitmessern trotz Pandemie gut. In Hongkong kommen am 28. November 228 Modelle, darunter viele außergewöhnliche Sammlerstücke und Raritäten von Patek Philippe und Audemars Piquet, mit einem Gesamtschätzwert zwischen 13 und 25 Mio. Euro unter den Hammer.
Auktionen im Hoch
Sorgen, dass man auf alten Luxusuhren sitzen bleibt, macht man sich auch im Dorotheum nicht. „Entgegen der anfänglichen Befürchtung bemerken wir eine stärkere Nachfrage als davor”, sagt Günter Eichberger, Uhrenexperte des Wiener Auktionshauses. Gefragt seien nach wie vor Modelle von Topmarken wie Patek Philippe, IWC, Audemars Piguet, Omega, Vacheron Constantin und natürlich Rolex.
Rund 200 solcher Exemplare kommen am 27. November unter den Hammer, darunter eine Datocompax Ref. 4768 „Jean Claude Killy” mit Chronograph in Gold aus der Zeit um 1950. Die auf 12.000 bis 18.000 Euro taxierte Uhr wurde nach dem französischen Skirennläufer und sechsfachen Weltmeister sowie dreifachem Olympiasieger benannt.
Alt, aber gefragt
Watchbox gab etwa für das erste Halbjahr 2020 ein Umsatzplus von 25% bekannt. Insgesamt wurden auf dem Portal von Jänner bis Juni über 16.000 Transaktionen getätigt, wobei der durchschnittliche Verkaufspreis einer Gebrauchtuhr von 12.000 auf 18.000 USD anstieg. Der höchste Wert einer in diesem Zeitraum verkauften Uhr betrug mehr als 600.000 USD.
Chrono24, wo aktuell mehr als 480.000 Uhren von privaten und gewerblichen Anbietern rund um den Globus im Angebot sind und im Vorjahr Deals im Wert von 1,7 Mrd. USD abgewickelt wurden, verzeichnete zu Beginn der Pandemie zwar kurzfristig einen Rückgang von rund 20%, mittlerweile liegt man bereits um 13% über dem Prä-Corona-Niveau. Auch bei Chronext reduzierte sich laut dem im Spätsommer präsentierten Pre owned-Report von WatchPro der Traffic zu Beginn des Lockdowns im März um 15%, aber schon ab April ging es wieder deutlich nach oben und Chronext-CEO Philipp Man zeigte sich durchaus zuversichtlich, dass 2020 eines der stärksten Jahre werden könnte.
Sichere Sachwerte
Eine steigende Nachfrage nach Nobeluhren aus zweiter Hand sieht Reinhold Frey, Gesellschafter der Timelounge, die ein stationäres Geschäft in Wien sowie einen Online-Store betreibt: „Kunden suchen Sachwerte, und die Luxus-Uhr hat sich schon während der Wirtschaftskrise als krisensicher und äußerst lukratives Investment erwiesen, ganz besonders die Modelle von Rolex und Patek Philippe. Speziell Stahlmodelle sind gesucht, da sie verhältnismäßig erschwinglich, tragbarer und neu nur mit langen Wartezeiten zu bekommen sind. ”
Die zunehmende Konkurrenz am Markt sieht er gelassen: „Wir sind in der komfortablen Lage, auf eine Vielzahl von Stammkunden zurückgreifen zu können, die nicht nur den außergewöhnlichen Zustand unserer Ware schätzen, sondern auch die Atmosphäre und persönliche Beratung vor Ort. Außerdem sind wir im After Sale- Service jedem Online-Händler um Längen voraus.”
Nachhaltiger Konsum
Ähnlich sieht auch Robert Bargello, der in Baden ein Spezialgeschäft für exklusive Uhren und Schmuckstücke aus zweiter Hand betreibt, die aktuelle Lage: „Die großen Onlineportale machen den Preis der Secondhand-Uhren transparent und bestimmen ihn unweigerlich mit. Natürlich ist die Konkurrenz in den letzten Jahren größer geworden, allerdings haben wir viele Stammkunden und letztlich zählt nicht nur der Preis.”
Er ist überzeugt, dass Corona einen positiven Effekt hat: „Man merkt deutlich, dass viele Kunden ihr Geld investieren bzw. ausgeben wollen. Derzeit werden mehr schwere Golduhren nachgefragt.”
Auch bei Bucherer, seit etwas mehr als einem Jahr im Pre owned-Geschäft, ist man zufrieden: „Generell haben immer mehr Menschen Interesse an schönen Uhren. Vintage-Uhren mit einer Geschichte stehen ganz hoch im Kurs. Während des Lockdowns hatten die Menschen sicherlich mehr Zeit, um sich mit Themen, die sie interessieren, zu beschäftigen – insofern haben wir eine steigende Nachfrage beobachtet”, erklärt Julien Rossier, Deputy Boutique Manager bei Bucherer.
Das Luzerner Uhren- und Schmuckunternehmen betreibt für die Certified Pre-owned-Uhren einen Onlineshop sowie in einigen Boutiquen spezielle Abteilungen; die jüngste wurde kürzlich in Wien eröffnet (mehr dazu auf Seite 14).
Von den Big Playern ist Bucherer bisher der einzige Anbieter am Gebrauchtmarkt, wird aber möglicherweise in absehbarer Zeit Konkurrenz aus den eigenen Reihen bekommen. So mehren sich etwa die Gerüchte, dass zum Beispiel Breitling an einem Konzept für eine eigene CPO-Schiene arbeitet.
Das wäre durchaus sinnvoll, vor allem in Zeiten, in denen das Neugeschäft nur schleppend läuft. Ein weiterer Grund liegt im Verhalten der nachwachsenden Kundengruppen: Während die Baby Boomer der Gebrauchtware ziemlich skeptisch gegenüberstehen – vielleicht, weil man schlechte Erfahrungen mit der Kleidung von älteren Geschwistern, die man „auftragen” musste, gemacht hat –, sehen die Millennials und die Generation Z die Sache mehrheitlich positiv. Dabei spielen das wachsende Umweltbewusstsein und das steigende Interesse an einem nachhaltigen Lebensstil eine wichtige Rolle.
Preisvorteil
Ein weiterer Grund, der besonders jüngere Käufer zu Secondhand-Uhren greifen lässt, sind die im Vergleich zur Neuware deutlich günstigeren Preise. Und wer sich eine Patek Philippe, Audemars Piguet oder Rolex ums Handgelenk schnallen möchte, der hat als Neukunde bei einem der handverlesenen Konzessionäre ohnehin kaum Chancen, auch nur auf die oft lange Warteliste zu kommen.