Wien/Paris. Produktpiraterie ist kein neues Problem. Markenartikelhersteller praktisch aller Branchen schlagen sich damit schon seit Langem herum und können der Flut von Fakes trotz wachsender Anstrengungen nicht Herr werden. Ganz im Gegenteil: Die Fälscherbranche floriert besser denn je.
Laut einer von der Europäischen Beobachtungsstelle für Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums gemeinsam mit dem Europäischen Patentamt kürzlich veröffentlichten Studie stieg der Wert der weltweit gehandelten Fakes von 461 Mrd. USD im Jahr 2013 auf 509 Mrd. USD im Jahr 2016 – ein Plus von mehr als zehn Prozent.
Boomende Branche
Der Global Brand Counterfeiting Report kommt für 2017 für alle Produktgruppen auf einen Gesamtwert von 1,2 Bio USD. Der Wert von gefälschten Luxusartikeln aus den Bereichen Kleidung, Handtaschen, Schuhe, Kosmetik und Uhren wird auf 98 Mrd. € beziffert. Zum Vergleich: Der Gesamtumsatz des LVMH-Konzerns betrug in diesem Jahr umgerechnet 47,6 Mrd. USD, also knapp halb so viel.
Allein über das Internet wurde gefälschte Luxusware im Wert von 30,3 Mrd. € vertrieben, Tendenz steigend. Denn E-Commerce ist nicht nur bei den Konsumenten beliebt, sondern auch bei den Produktfälschern. Sie nutzen sogar eigene Webshops, die sich zum Beispiel als Outlet-Stores tarnen, aber auch offizielle Shopping-Plattformen.
Shopping-Plattformen …
Wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dort statt eines vermeintlichen Marken-Schnäppchens eine billige Kopie zu bekommen, weiß Rainer Will, Geschäftsführer des Österreichischen Handelsverbandes, nach Dutzenden Testkäufen: „Wir haben bei AliExpress Sneakers, T-Shirts und Pullover von namhaften Marken bestellt und auf ihre Echtheit geprüft. Das Ergebnis war eindeutig: Fast alle Produkte waren gefälscht, wie uns von Herstellerseite bestätigt wurde.”
Dass die chinesische Shopping-Plattform jetzt als neuen Service eine Echtheitsgarantie für ausgewählte Artikel bietet, mache die Sache nicht besser: „Werbung mit der Echtheit der angebotenen Ware ist irreführend, da es eine Selbstverständlichkeit sein sollte, nur Originalwaren zu liefern.”
… sind Fake-Hotspots
Auch bei Amazon kann der Kunde nicht sicher sein, Originalware zu bekommen. Lange hat der Onlinegigant das Problem kleingeredet und darauf verwiesen, dass man ohnehin mit allen Mitteln gegen Fakes vorgehe. Dass das bisher nicht sonderlich erfolgreich gewesen ist bzw. die Produktpiraterie deutlich größere Ausmaße hat, zeigt eine Mitteilung an die US-Börsenaufsicht. In dieser gab Amazon erstmals Probleme mit gefälschten und gestohlenen Artikeln zu, die von externen Anbietern über den Marketplace – auf diesen Sektor entfallen bereits 52% der gesamten Amazon-Umsätze – verkauft werden.
Tatsächlich betrifft das Problem aber auch Amazon selbst. Laut Apple waren 90% der bei Testkäufen direkt bei Amazon gekauften Akkus Fälschungen. Schätzungen von The Counterfeit Report, einer US-Verbraucherschutzorganisation, sind 13% aller auf Amazon gehandelten Waren Fakes.
Leichtes Spiel für Fälscher
Das im März gelaunchte Project Zero hat – wenn auch das Konzept gut ist – kaum das Zeug, die Fake-Flut auf Amazon einzudämmen.
Dabei handelt es sich einerseits um eine Software, mit der Markenhersteller Fälschungen auf Amazon identifizieren und entsprechende Angebote gleich selbst löschen können, andererseits um ein System, in das die Inhaber alle relevanten Informationen zu ihrer Marke und ihren Produkten eingeben, um die Effektivität der von Amazon schon jetzt verwendeten Anti Fake-Tools zu verbessern.
Der dritte Bereich von Project Zero ist, dass Markenprodukte schon bei der Herstellung mit einer speziellen Amazon-Seriennummer versehen werden; die Kosten dafür belaufen sich, abhängig von der Produktionsmenge, auf einen bis fünf Dollar-Cent pro Stück.
Allerdings steht Project Zero nicht allen Herstellern zur Verfügung, sondern nur jenen handverlesenen, die Amazon selbst ausgesucht und dazu eingeladen hat. Außerdem werden die Aktivitäten der Teilnehmer – vor allem hinsichtlich des Löschens von Fakes – von Amazon streng überwacht. „Um Missbrauch zu verhindern”, wie es heißt.
Social Shopping …
Dass jetzt auch die Sozialen Netze zunehmend als Shoppingkanäle genutzt werden – allein auf Instagram kaufen und verkaufen jeden Monat 130 Mio. User –, kurbelt das Geschäft mit Fake-Luxus noch zusätzlich an. Eine von dem Datenanalyseunternehmen Ghost Data in Zusammenarbeit mit den Bilderkennungs-Experten von LogoGrab im heurigen April durchgeführte Untersuchung identifizierte 56.769 Fälscher-Accounts, bei einer ähnlichen Studie 2016 waren es „nur” 20.892. Und die Fälscher sind mit 64 Mio. Posts pro Monat (2016 waren es 14,5 Mio.) höchst aktiv. Knapp die Hälfte der Fälscher (43%) sitzt – wenig überraschend – in China.
… verstärkt das Problem
Mit moderner Software ist es zwar recht einfach, Markenfälschungen in Onlineshops zu identifizieren; problematisch ist es dagegen für die Rechteinhaber, sie schnell aus dem Verkehr zu ziehen. Löschanträge werden von den Plattformen eher lax behandelt und Daten für die rechtliche Verfolgung der Fälscher nicht herausgegeben.
Durch die Verlagerung des Fake-Geschäfts ins Internet und die damit wachsende Flut von Kleinsendungen per Post und Paketdienst stehen auch die Zollbehörden im Kampf gegen die Fälscher zunehmend auf verlorenem Posten.
Dazu kommt noch erschwerend das mangelnde Unrechtsbewusstsein der Konsumenten. Eine im Sommer 2018 durchgeführte Umfrage von Marketagent.com zeigt, dass die von Markenverbänden und Unternehmen gesetzten Maßnahmen zur Sensibilisierung der Verbraucher kaum fruchten.
Über die Hälfte der befragten Österreicher gab an, bereits Plagiate gekauft haben, 30% taten es sogar bewusst, und ein Viertel würde sicher bzw. wahrscheinlich bei einem chicen Fake wieder zugreifen. Besonders beliebt sind Bekleidung (55,3%), Handtaschen (32,2%), Sonnenbrillen (29,6%), Uhren (26,3%) und Schuhe (25,7%). Der im Vergleich zum Original günstige Preis ist mit 60% der wichtigste Faktor, der zum Kauf von Fälschungen verlockt.
Auch unsere deutschen Nachbarn haben – etwa beim Shoppen im Urlaub – keine Berühungsängste mit Plagiaten. Im Vorjahr wurden bei Zollstichproben von Urlaubern allein Kleidung und Accessoires im Wert von mehr als 130 Mio. € konfisziert.