Alle müssen den Marken ins Netz gehen können
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MARKETING & MEDIA Redaktion 26.01.2024

Alle müssen den Marken ins Netz gehen können

Alena Spitzer und Sergiy Masalitin von der BBDO Group erläutern den Weg zur digitalen Barrierefreiheit.

••• Von Britta Biron

 

Seit dem 23. Juni 2021 müssen Websites und mobile Anwendungen öffentlicher Stellen innerhalb der EU barrierefrei sein, ab dem 28. Juni 2025 gilt der European Accessibility Act auch für digitale Produkte und Dienstleistungen von Unternehmen der Privatwirtschaft. Das betrifft unter anderem Smartphones, Modems, E-Reader, Spielkonsolen, Bankomaten und Fahrkartenautomaten, E-Banking und E-Ticketing, Videotelefonie oder Online-Messenger-Dienste. medianet hat mit Alena Spitzer und Sergiy Masalitin von der BBDO Group, zu der die Wiener Kreativagenturenmarken BBDO Wien und DDB Wien gehören, über den Status quo in Sachen Barrierefreiheit sowie Herausforderungen und Strategien beim Abbau digitaler Hürden gesprochen.


medianet:
Barrierefreiheit wird meist in Zusammenhang mit der Generation 70+ sowie Personen mit körperlichen oder kognitiven Einschränkungen gebracht, aber Hürden gibt es im Internet oft auch für digital fitte und technisch gut ausgestattete Personen …
Sergiy Masalitin: Eine Barriere kann etwa die Umgebung darstellen – grelles Sonnenlicht macht es zum Beispiel schwierig bis unmöglich, etwas am Smartphone-Display zu lesen, ein hoher Geräuschpegel bzw. ein ­Umfeld, in dem man den Ton nicht einschalten kann, schließt die Nutzung von Audio-Inhalten zumindest temporär aus. Weiters ergeben sich Barrieren durch unterschiedliche Aus­bildungsniveaus und unterschiedliche Hintergründe, was Nationalitäten und Sprachen betrifft.

medianet:
Sonnenlicht und Lärm sind Faktoren, die von den Website-Betreibern oder App-Anbietern nicht beeinflusst werden können. Anders die technische Ausstattung der User durch eine entsprechende Optimierung für unterschiedliche Endgeräte und die Art und Weise, wie die digitalen Inhalte aufbereitet sind.
Alena Spitzer: Das ist ein wesentlicher Punkt und da setzen wir bei der BBDO Group auch aktiv an. Das heißt, wir schauen, dass wir die Inhalte, die wir mit unseren Kunden veröffentlichen, so gestalten, dass sie für möglichst alle Menschen zugänglich sind, egal in welchem Umfeld oder in welcher Situation sie sich befinden …
Masalitin: … und unabhängig davon, ob es sich um ein neues Projekt handelt, für das die Website erst entsteht, oder eine bereits existierende Website, die modifiziert werden muss, damit sie barrierefrei wird.

medianet:
In welchem Fall ist Barrierefreiheit leichter zu erreichen? Bei einem neuen Projekt oder wenn es um die Adaption bestehender Inhalte geht bzw. spielt da die Branche eine Rolle?
Masalitin: Das lässt sich pauschal nicht sagen. Es gibt unterschiedliche Seiten und unterschiedliche Informationsstrukturen. Unsere Empfehlung ist auf jeden Fall, das Thema Barrierefreiheit gleich von Beginn bei der Konzeption einer Website zu berücksichtigen.

medianet: Laut der WebAIM-Analyse vom Vorjahr weisen rund 96 Prozent der untersuchten Websites – immerhin eine Million – mehr oder weniger große Mängel auf. Andere Studien kommen zu ähnlich ernüchternden Ergebnissen. Wie schätzen Sie den Status quo in Sachen Barrierefreiheit generell ein?
Spitzer: Also grundsätzlich ist es so, dass wir auch jetzt teilweise ganz von vorne anfangen müssen. Es gibt zwar viele Unternehmen, bei denen Barrierefreiheit ein wichtiges Thema ist und bei Projekten vom Start an mit eingeplant und berücksichtigt wird, gleichzeitig gibt es aber auch viele Webseiten, die noch nicht mobile Endgeräte optimiert sind. Wir haben also noch einen weiten Weg zu gehen und dabei nehmen wir unsere Kunden aber bei der Hand und beraten Schritt für Schritt, was alles in diesem Bereich möglich ist.

medianet:
Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe, dass es beim Abbau digitaler Barrieren noch so viel Luft nach oben gibt?
Spitzer: In Bezug auf die Geschichte der Menschheit ist das Internet relativ neu und ein Raum, den wir alle erst kennenlernen. Derzeit sehen wir, dass das Web – obwohl scheinbar allgegenwärtig – eben nicht für alle gleichermaßen zugänglich ist. Es ist schade, dass diese Erkenntnis erst jetzt entstanden ist – man möchte ja glauben, dass wir Gleichberechtigung und Inklusion längst schon ganz selbstverständlich mitdenken. Aber ich finde es auf jeden Fall gut, dass wir jetzt damit anfangen. Ich erlebe unsere Kunden als sehr offen und innovativ und bin überzeugt, dass wir gemeinsam auf einem guten Weg sind und eine Vorreiterrolle einnehmen können.
Masalitin: Der finanzielle Aspekt spielt beim Abbau digitaler Hürden natürlich auch eine Rolle. Unternehmen müssen Geld verdienen und das bedingt eine Priorisierung bei der Aufteilung der verfügbaren Budgets. Aber wir merken, dass die Gesellschaft und auch die Unternehmen viel sensibilisierter für das Thema sind, und unser Fokus liegt auch sehr stark darauf, unsere Kunden in diese Richtung zu entwickeln und zu beraten. Denn Barrierefreiheit ist gleich Benutzerfreundlichkeit.

medianet:
Es geht also nicht allein darum, körperlich und kognitiv eingeschränkten Personen – laut Statistik Austria etwa 18 Prozent der Bevölkerung – die digitale Teilhabe zu erleichtern, sondern um bessere Usability für alle Zielgruppen und damit generell einen wirtschaftlichen Vorteil.
Masalitin: Es zahlt sich auf jeden Fall aus, so früh wie möglich in diese Themen einzusteigen. Eine Vorreiterrolle steigert die Reputation und das Marken-image und im Endeffekt auch den Umsatz.
Spitzer: Vor allem hat man 2025, wenn die neue Richtlinie in Kraft tritt, die Möglichkeit, schon die nächsten Schritte nach vorne zu gehen und zu sagen: Gut, wir haben die gesetzlichen Auflagen erledigt und vielleicht sogar noch ein paar Fleißaufgaben gemacht. Was können wir jetzt verbessern?

media
net: Sie haben vorhin Sprachbarrieren erwähnt. Abgesehen von der jeweiligen Landessprache und Englisch sind andere Sprachen auf den Websites, Social Media-Kanälen oder Blogs von Unternehmen derzeit eher die Ausnahme, obwohl für viele natürlich auch Personen mit fehlenden oder geringen Deutsch- und Englisch-Kenntnissen potenzielle Kunden sind. Und die sogenannte einfache Sprache ist ja auch keine Universallösung.
Spitzer: Wir leben in einem sehr diversen Land mit vielen unterschiedlichen Nationalitäten und Kulturen und das sollte sich auch im Internet widerspiegeln. Ich hätte natürlich sehr gerne, dass die Webseiten all unserer Kunden in möglichst vielen Sprachen verfügbar sind. Aber da sind wir wieder beim Kostenthema. Die Identifizierung eventuell relevanter Sprachen ist sehr schwierig. Zu untersuchen, wer auf einen Banner klickt, bringt nichts, denn wer in Österreich lebt, hat auch eine österreichische IP-Adresse. Wir versuchen immer dahingehend zu beraten, dass es mehr als Englisch und Deutsch gibt bzw. auch andere Sprachen mit einzubinden. Aber das ist nicht immer möglich. Doch es ist eine Frage der Zeit und unsere Aufgabe als Experten und Expertinnen, an diesem Thema dranzubleiben.
Masalitin: Dabei spielt auch die Technik eine wesentliche Rolle. Ein Beispiel dafür ist etwa, dass bei manchen Geräten bereits in den Browsern Google Translate integriert ist und damit die Möglichkeit der automatischen Übersetzung besteht. Unsere Aufgabe ist es, die Inhalte so zur Verfügung zu stellen, dass sie für solche Übersetzungs-Systeme bzw. auch Screenreader lesbar sind. Dass etwa Bilder und Infografiken mit erklärenden Texten hinterlegt sind, oder dass Texte, die in Bilder integriert sind, parallel auch als auslesbares Duplikat vorhanden sind.

 

medianet: Texte als Bilder anzulegen, klingt für IT-Laien widersinnig.
Masalitin: Zu Beginn der Internet-Ära war das technisch nicht anders möglich und bei Newslettern ist es noch heute oft der Fall.

medianet:
Heißt das im Umkehrschluss, dass die technische Weiterenwicklung auch den Abbau digitaler Barrieren erleichtert?
Masalitin: Barrierefreiheit im Sinne von Benutzerfreundlichkeit ist bis zu einem gewissen Grad integraler Bestandteil der Weiterentwicklung von Hard- und Software sowie bei der Ausbildung von Web-Entwicklern. Technisch ist schon vieles möglich; in welchem Umfang das dann auch genutzt wird, hängt – wie schon erwähnt – von der Priorisierung und den Budgets ab …
Spitzer: … und auch davon, was man unter Barrierefreiheit genau versteht und wie man sie misst.

medianet:
Ein wichtiger Hinweis. Zwar umfassen die Web Content Accessibility Guidelines eine Reihe von Kriterien in den Bereichen Wahrnehmbarkeit, Bedienbarkeit, Verständlichkeit und Robustheit, eine allgemeingültige Definition für Barrierefreiheit gibt es aber nicht.
Spitzer: Ich glaube, dass es auch 2025 noch keine endgültige Definition geben wird, weil immer wieder Sonderfälle auftreten werden. Barrierefreiheit ist ein Work in Progress, das Internet entwickelt sich sehr dynamisch. Es ist daher wichtig, dass wir Rahmenbedingungen schaffen, in der Gesetzgebung aber flexibel bleiben, regelmäßig evaluieren um Verbesserungspotenzial zu erkennen und alles, was technisch und wirtschaftlich möglich ist, sukzessive auch umsetzen. Generell glaube ich, wir bewegen uns alle in die richtige Richtung.

medianet: Es gibt Tools, um die Barrierefreiheit von Websites und Apps zu testen. Die können aber die Beurteilung durch Fachleute bzw. auch praktische Tests durch Userinnen und User, die vor allem von digitalen Hürden betroffen sind, nicht ersetzen.
Masalitin: Nein, es sind wir Menschen, die entscheiden, was eine digitale Barriere ist und welche Priorität ihre Beseitigung hat. Man muss mit den Menschen, die digitale Services nutzen, sprechen und ihre Wünsche und Erwartungen berücksichtigen.

medianet:
Eine perfekte Lösung ist angesichts der Komplexheit des Themas, der Dynamik der digitalen Welt und der knappen Zeit vermutlich unmöglich. Sollte man lieber in Etappen vorgehen, Barrierefreiheit im Einzelfall und individuell definieren, sich zuerst auf die Basics, wie ausreichende Farbkontraste, für Übersetzungs- und Screenreader-Tools lesbare Texte, konzentrieren und diese bestmöglich umsetzen, bevor man sich um eventuelle Erweiterungen und Verbesserungen kümmert?
Spitzer: Ich glaube, dass es momentan auch nicht anders möglich ist.

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