Gastkommentar ••• Von Anne M. Schüller
MÜCHEN. Im Italien des 15. Jahrhunderts gab es einen bemerkenswerten Schub an Prosperität. Ausgelöst wurde er von der Medici-Dynastie in Florenz, die die Besten ihres Fachs aus Philosophie, Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst und Design um sich versammelte, ihnen Freiraum für schöpferisches Handeln gab und ihnen die dafür erforderlichen Ressourcen zukommen ließ.
So bildete sich ein buntes Netzwerk vielfältigster Talente, die einander befruchten konnten. Es entstanden Stätten der Inspiration, der Kreativität, der Diversität, der Innovation, der Transformation und des Wachstums von epochaler Bedeutung. Der schwedisch-amerikanische Autor und Harvard-Absolvent Frans Johansson nennt dies den Medici-Effekt.
Im Gegensatz zur direktionalen Kreativität, bei der man der Richtung einer Grundidee folgt, verbindet intersektionale Kreativität zwei oder mehr unterschiedliche Konzepte miteinander. Sie entsteht vor allem an Schnittstellen und Knotenpunkten, dort also, wo sich Bahnen kreuzen. Im kleinen Stil passiert das bereits in der Kaffeeküche, beim Austausch auf Messen und Events, auch auf Barcamps und in Coworking-Spaces. In großem Stil entwickelt sich intersektionale Kreativität überall dort, wo Ökosysteme für Innovationen entstehen, in Technologiezentren, Innovationsparks und an den digitalen Hotspots der Welt.
Nächste Evolutionsstufe
Schnittstellen sind die dynamischsten Orte für Fortschritt und Wandel. Sie bieten beste Chancen für die Neuverknüpfung von Möglichkeiten. Sie erweitern, wie bei einer Straßenkreuzung, den Horizont und lassen neue Blickwinkel entstehen. So wird die zukünftige Businesswelt nicht länger ein Allerlei von Einzelanbietern sein, sondern eine Welt von Ökosystemen. Die Grenzen zwischen den Branchen fallen und ihr Zusammenspiel wird neu definiert. Inzwischen verbinden sich ganze Industrien miteinander, um fortan am Markt zu bestehen. Statt Mono-Produkten werden multiple Servicepakete um ein Kernleistungsversprechen herum zusammengestellt und von verschiedenen Anbietern gemeinsam erbracht. So werden Business-Ecosysteme zu einer nächsten evolutionären Stufe der Wirtschaft.
Business-Ecosysteme umkreisen die anvisierten Käufergruppen mit einer Auswahl von Produkten und Services, die von verschiedenen Anbietern stammen, jedoch aus Kundensicht ein perfekt aufeinander abgestimmtes Komplettangebot ergeben. In Analogie zu biologischen Ökosystemen – wie etwa Meeresbiotope – umfasst ein Business-Ecosystem also ein kollaboratives Netzwerk rechtlich autonomer, lose gekoppelter wirtschaftlicher Akteure, die einander ergänzen.
Komplette Produktwelten
Partnerschaften zwischen Unternehmen gab es natürlich auch früher; vor allem ging es um Kostenersparnisse oder die Erhöhung der Absatzzahlen. Business-Ecosysteme hingegen werden um die Bedürfnisse der Menschen herum entwickelt. Für vorausdenkende Unternehmer eröffnen unternehmensübergreifende Organisationsformate immense Möglichkeiten, einzigartige Komplettlösungen anzubieten. Die Fähigkeit, solche Systeme zu gestalten, zählt zu den Schlüsselkompetenzen der Zukunft. Wie hoch die Anziehungs- und Ertragskraft derartiger Systeme ist, zeigen frühe Protagonisten, wie etwa Apple, seit Jahren. Das Unternehmen aus Cupertino hat ein Universum geschaffen, aus dem eingefleischte Fans nie mehr desertieren.
Anne M. Schüller ist Managementdenkerin, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Ihr neuestes Buch: „Zukunft meistern – Das Trend- und Toolbook für Übermorgengestalter”.