••• Von Sabine Bretschneider
WIEN. Nach mehr als zwei Jahren Pandemie ist der Arbeitsmarkt von Rekordarbeitslosigkeit in Rekord-Beschäftigungsniveau gekippt. Dennoch können Hunderttausende offene Stellen nicht besetzt werden. Läutet die Diskrepanz zwischen Arbeitsplätzen und Arbeitsuchenden goldene Zeiten für Schulungsanbieter ein? medianet führte dazu und zu einigen anderen virulenten Themen ein Gespräch mit Franz-Josef Lackinger, Geschäftsführer des BFI Wien.
Am 16. März 2020 ging die Republik in den ersten Corona-Lockdown. Quasi über Nacht musste auch Wiens größtes Institut in der beruflichen Kompetenzförderung – 35.000 Menschen besuchen jährlich die Kurse, Seminare und Lehrgänge des BFI Wien – die Konsequenzen daraus ziehen. Eine dramatische Zäsur. „Alles war plötzlich anders”, sagt Franz-Josef Lackinger. „Wir haben uns allerdings schon lange vor der Pandemie mit Fragen des Distance Learning und der Digitalisierung beschäftigt – und tatsächlich innerhalb von zwei Tagen auf Homeoffice und Distance Learning umgestellt. Es hat sich gelohnt, dass wir schon investiert hatten. Den Rest erledigte das hohe Kreativitätsniveau unserer Beschäftigten.”
Geblieben sei ein „riesiger Know-how-Schub – bei Kunden und Beschäftigten”. Das Ende des Präsenzunterrichts werde dadurch jedoch nicht eingeleitet: „Der soziale Kontakt ist und bleibt wichtig.” Feedback, individuelle Beratung und Begleitung seien essenziell.
Die Schere am Arbeitsmarkt
Mit der Kluft zwischen offenen Stellen und Arbeitsuchenden, so der BFI Wien-Chef, „mit dieser Bipolarität werden wir leben lernen müssen”. Am Arbeitsmarkt seien Qualifikationen gefragt, die viele Arbeitsuchende nicht erfüllen. In Wien gebe es derzeit beispielsweise etwa 1.000 vorgemerkte Arbeitslose, die aus der IT kommen. Dennoch und trotz hohen Bedarfs seien sie nicht sofort vermittelbar. Oft, meint Lackinger, sind schlicht die Qualifikationen veraltet: „Die Antwort ist in der Regel: Bildung.”
Grüne Perspektiven
Mit der Klimakrise rücken die sogenannten Green Jobs in den Vordergrund. „Dahinter stecken oft ganz traditionelle Berufe”, erklärt Lackinger. „Tischler bzw. Tischlerin war immer und wird auch in Zukunft ein sehr nachhaltiger Beruf sein. Oder Solartechnik, Klimatechnik … Es braucht gut ausgebildete Techniker und Technikerinnen, Mechatroniker, Elektrotechnikerinnen, Klima- und Lüftungstechniker. Green Jobs per se wird es nicht geben. Es wird darum gehen, den Fokus auf diese Dinge zu legen.”
Um aus dem Techniker einen Solaranlagentechniker zu machen, dafür gebe es dann ergänzende Spezialmodule.
Projekt „Coders.Bay Vienna”
Im Bereich IT und für dessen steigenden Fachkräftebedarf wurde im Vorjahr die Coders.Bay Vienna des BFI Wien ins Leben gerufen: Binnen sechs Monaten werden Arbeitsuchende, nach entsprechendem Assessment, zu Softwareentwicklern bzw. System- und Netzwerktechnikern ausgebildet – ein niederschwelliger Einstieg. Dabei gehe es nicht darum, das Curriculum eines ganzen Studiums in wenige Monate zu packen, sondern um „solide Coder und Netzwerktechnikerinnen, die unmittelbar nach der Ausbildung in Projekten einsetzbar sind”. Die Wirtschaft begrüßt diesen Zugang: 70% der Absolventinnen und Absolventen werden vom Fleck weg engagiert.
Vor Kurzem wurde eine AMS-geförderte „Applikationsentwicklung – Coding”-Lehre für Erwachsene gestartet; außerdem beginnt im Herbst für ausbildungshungrige Privatpersonen der erste berufsbegleitende FullStack-Developer-Diplomlehrgang.
Smarte KI-Ideen
Wer IT sagt, muss heute auch KI sagen: „Der Begriff ‚Intelligenz' gefällt mir in diesem Kontext nicht. Es geht wohl eher um maschinelles Lernen”, gibt der Bildungsexperte zu bedenken. „Wo die Reise hingeht, ist schwer abzuschätzen. Es gibt Überlegungen, Chatbots in der Beratung einzusetzen oder mittels Logarithmen Bildungsangebote zu empfehlen.” Aber: Wenn man Lern- und Lesegewohnheiten überwache und speichere, müsse man auch datenschutzrechtliche Bedenken diskutieren. Lackinger: „Es ist, insbesondere auch im öffentlichen Bildungswesen, ein heiklerer Bereich als beim Online-Shopping: Landet das alles dann bei Google oder bei der Wiener Bildungsdirektion? Was nicht passieren darf, ist, dass wir in Europa vorsichtig sind und alle Daten nach Amerika schicken.” Dinge wie Virtual Reality seien in der technischen Ausbildung am BFI Wien schon im Einsatz: Schweißroboter helfen dabei, eine Schweißnaht – material- und kostensparend – zuerst einmal virtuell zu üben.
Jobkiller Automatisierung?
Werden uns Roboter irgendwann die Arbeit wegnehmen? Lackinger: „Man kann hier nur aus der Vergangenheit extrapolieren. Wenn es dazu führt, dass wir nicht mehr 50 Kilo schwere Zementsäcke durch die Gegend schleppen müssen oder händisch Gruben ausheben, dann ist es ja gut. Aber man muss gleichzeitig darauf schauen, dass man die Menschen, die das bisher gemacht haben, entsprechend qualifiziert, damit sie auch in einer neuen Berufswelt eine sinnvolle Tätigkeit finden.”
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Redaktion TV: Andy Marada