Ein Plädoyer für digitales Vertrauen
© dpa/Friso Gentsch
Der Konsument hat per DSGVO heute mehr Rechte als je zuvor – auf Widerspruch, Löschung, Auskunft … Dennoch bleiben Auswertung und Verwendung personenbezogenen Daten ein kontroversielles Thema.
MARKETING & MEDIA Chris Radda und Sabine Bretschneider 22.03.2019

Ein Plädoyer für digitales Vertrauen

Im Gespräch mit DMVÖ-Präsident Anton Jenzer und Dialogschmiede-CEO Jürgen Polterauer.

••• Von Chris Radda und Sabine Bretschneider

Die Informationskampagne der WKO zur Datenschutzgrundverordnung DSGVO war die größte seit der Euro-Einführung”, erzählte kürzlich Robert Bodenstein, Spartenobmann Information und Consulting in der Wirtschaftskammer. Seine Zwischenbilanz: „99,9 Prozent der Betriebe haben richtig gehandelt.” Bisher seien nur fünf Strafen ausgesprochen worden – mit einem Strafrahmen von bis zu 4.800 €. Dabei hatte die Sache mit der EU-Datenschutzgrundverordnung so hektisch begonnen. Als sie am 25. Mai 2018 in Kraft trat, reagierten viele Unternehmen panisch, Last-Minute-Anwälte wurden engagiert, sogar Aufträge abgelehnt, wenn ein Unternehmer nicht abschätzen konnte, wie weit er sich damit eventuell schon ins illegale Eck hinauslehnte.

medianet befragte DMVÖ-Präsident Anton Jenzer, CEO/ Geschäftsführer VSG Direktwerbung GmbH + digiDruck GmbH, und Dialogschmiede-CEO Jürgen Polterauer zur Bilanz von 300 Tagen DSGVO. „Die DSGVO hat viel bewirkt”, sagt Polterauer. „Sie hat den Betroffenen, den Kunden, den Konsumenten, mehr Rechte zugeschrieben. Das ist auch gut so und das muss so sein.” Problematisch sei aber, dass das Thema in den letzten eineinhalb Jahren nur mit Halbwissen beleuchtet, skandalisiert und stigmatisiert worden sei. „Weil es in der öffentlichen Wahrnehmung etwas ‚Schlechtes' ist”, so Polterauer. „Weil alles, was wir nicht verstehen, Angst macht. So wie die Menschen vor dem ersten Zug Angst gehabt haben und vor dem ersten Auto.” Und diese negative Stimmung werde „von Medien, von Populisten, von Anwälten geschürt”.

Branche begrüßt die DSGVO

Sieben Prozent Rückgang im Direktmarketing verzeichnete die Werbebilanz 2018 des Focus-Instituts. Eine Auswirkung der DSGVO? „Ich kann als Unternehmer, der europaweit tätig ist, nur sagen, dass wir ein saftiges Wachstum hingelegt haben”, erklärt Polterauer.

„Die Focus-Analyse”, ergänzt Jenzer, „wird zwar fundiert gemacht, aber es werden dabei einige Dinge ausgeklammert. Was wir etwa unter personalisierter Onlinewerbung – E-Mails, etc. – verstehen, wird von Focus nicht separat ausgewiesen. Zudem wird der B2B-Sektor gar nicht erfasst. Enthalten ist in diesen Zahlen nur die gedruckte personalisierte Werbung im B2C-Bereich.”
Die Branche schwanke zwischen Verunsicherung und Abwarten – im Sinne von „Ich weiß nicht genau, was ich noch tun darf, also warte ich einmal ab”, oder, „um es etwas bösartiger zu formulieren”, so Jenzer: „Schauen wir uns an, was die anderen machen und was denen passiert. So ein negatives Szenario beflügelt natürlich nicht unbedingt die Branche.”
„Gutes datenbasiertes Marketing”, sagt Polterauer, „bedeutet immer auch eine Auflagenreduktion – und Focus macht genau das, einen Auflagencheck.” Man versuche aber ganz bewusst, eben nicht allen alles zu schicken. „Einer der Vorteile von datenbasiertem Marketing ist, dass wir sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch viel effizienter agieren. Je mehr wir per Datenmanagement ein Unternehmen in die Lage versetzen, überhaupt auf Daten basiertes Marketing machen zu können, desto eher ist es in der Lage, Auflagen und damit Streuverluste zu minimieren.”
„Deswegen wird die DSGVO von der Branche auch begrüßt”, so Jenzer. „Das mag manche überraschen, ist aber so. Die Branche tut alles – ich spreche jetzt von der heimischen Wirtschaft –, um diese DSGVO umzusetzen. Umso seltsamer ist, dass ausgerechnet die heimischen Unternehmen jetzt die Prügelknaben sind.” Die Auswertung und die Verwendung personenbezogener Daten werde per se pauschal verteufelt. Das sei „populistisch” und angesichts der globalen Digitalisierung „ziemlich weltfremd”.

„Verteufeln bringt nichts”

Polterauer: „Da werden Einzelfälle konspirativ aufgegriffen. Es geht dabei nicht darum, ob Unternehmen tatsächlich etwas falsch machen, sondern es wird vorverurteilend angenommen, dass, wenn Daten im Spiel sind, nicht sauber gearbeitet wird. Das ist fatal. Wir prügeln jeden Tag auf die ‚Digitalisierung' ein, aber letzten Endes hängt vom Glasfaserkabel bis zum Smart Home längst alles damit zusammen. Eines ist klar: ‚Weggehen' wird die Digitalisierung nicht mehr.” Es stelle sich somit nicht die Frage, ob das jetzt gut oder schlecht ist, sondern: „Wie wird es gemacht?”.

„Ein Beispiel: 2020 wird es so sein, dass jeder Mensch seine sogenannte digitale Aura mit sich trägt”, so Polterauer, „geschätzte 2,5 GB an persönlichen Daten, genomische, optische, Gesundheitsdaten … Und als Konsument wird der Mensch sich entscheiden, zu welchem Zweck und wofür diese Daten verwendet werden.” Ob uns das jetzt gefalle oder nicht, „Daten sind die Zukunft – und diese Entwicklungen zu verteufeln, erzeugt für uns einen massiven Wettbewerbsnachteil. Die meisten Entwicklungen finden derzeit nicht in Europa statt, sondern in China, in den USA. Europa kann sich dem aber nicht entgegenstellen, wir brauchen konkurrenzfähige Produkte.”

Den Nutzen kommunizieren

Letztlich müsse man Mittel und Wege finden, um heimische Wirtschaftstreibende in die Lage zu versetzen, auf gesetzes­konforme Art und Weise innovative Produkte zu entwickeln. Das sei auch der einzige Schutz davor, dass die Daten ins Ausland abwandern, wo die Gesetze nicht so streng gehandhabt werden.

Jenzer: „Die DSGVO hat im Sinne der informationellen Selbstbestimmung die Rechte der Betroffenen deutlich gestärkt. Jeder kann für die Verwendung seiner Daten seine Einwilligung geben oder eben auch nicht. Es gibt darüber hinaus ein Recht auf Widerspruch, auf Löschung oder auf Auskunft. Die Konsumenten, also wir alle, können selbst bestimmen.” Aber der Wissensstand darüber sei oftmals zu gering.

„Absurde” Kommentare

Daran seien auch manche Medienberichte nicht unschuldig, sagt Jenzer: „In der DSGVO ist eindeutig festgeschrieben, dass gedruckte, auf postalischem Weg zugestellte personalisierte Werbung nicht der vorherigen Zustimmung der Empfänger bedarf. Dennoch sind in der Vorweihnachtszeit in den Medien einige Berichte erschienen, in denen ernsthaft die Frage diskutiert wurde, ob Unternehmen ihren Kunden eine Weihnachtskarte schicken dürfen, ohne davor deren Zustimmung einzuholen – eines von mehreren Beispielen, das zeigt, wie absurd teilweise mit dem Thema umgegangen wird.”

Es gehe vielmehr darum, neben der Entscheidungsfreiheit jedes Einzelnen, inwiefern er an der Digitalisierung teilhaben will, auch die Vorteile für den Betroffenen aufzuzeigen.
„Wir müssen digitales Vertrauen schaffen”, postuliert Polterauer. „Wir müssen Transparenz schaffen und dafür sorgen, dass die technologischen Entwicklungen hier vonstattengehen und auch in der heimischen Wirtschaft bleiben.” Den Konsumenten wiederum müsse man aufklären, erklären, wo der Nutzen liegt – und wie man von seinen Rechten sinnvoll Gebrauch macht. Und ja, das müsste schon in den Schulen beginnen.
Retargeting etwa sei ein gutes Beispiel für irreführende Annahmen: Die Annahme, dass der Konsument beim Retargeting getrackt wird, sorge regelmäßig für Aufsehen. Jetzt sei es aber so, erzählt Polterauer, dass jegliche Beschwerde, die in puncto Re­targeting von Kunden einlange, sich darum dreht, dass es schlecht gemacht wurde. Jemand, der eben einen Staubsauger gekauft hat, will nicht weiter mit Werbung für Staubsauger belästigt werden. Wenn dem Kunden in Folge die entsprechenden Staubsaugerbeutel angeboten werden, dann passt die Kommunikation.

Sorge um die Datensicherheit

Dasselbe gelte für Kundenkarten, ergänzt Jenzer: Natürlich kennt das Unternehmen dann Name und Konsumverhalten des Kunden, andererseits kann das Unternehmen erst dann bedarfsgerechte Angebote machen, von denen der Kunde tatsächlich profitiert.

In Wahrheit hätten die Menschen ja auch keine Angst vor dem Datensammeln, so Polterauer, sondern sie sorgen sich um die Datensicherheit. Da müsse die Wirtschaft mithelfen und das Rückgrat haben, sich hinzustellen und zu sagen: „Wir wissen, es ist nicht alles gut, was gemacht wird, aber wir bemühen uns.” Der Konsument wiederum müsse sich die Frage gefallen lassen, ob es ihm lieber ist, „wenn die Entwicklungen hier stattfinden, wo wir Mitsprache und Kontrollmöglichkeiten haben, wo der Datenschutz vorbildlich ist – oder eben woanders, wo der Datenschutz kein so großes Thema ist”. Jenzer: „Datenschutz und personalisiertes Marketing schließen sich nicht aus. Die DSGVO-konforme Verwendung von personenbezogenen Daten bringt Vorteile – sowohl den Unternehmen als auch insbesondere den Konsumenten.”
Daten, so Polterauer abschließend, seien die Währung des Konsumenten in der heutigen Wirtschaft – und erfolgreiche Unternehmen stellen eine Win-win-Situation und einen Mehrwert für beide Seiten her.

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