••• Von Anne M. Schüller
Menschen lieben es, ihre Geschichten mit anderen Menschen zu teilen. Vor allem dann, wenn wir emotional berührt werden, erzählen wir gern. Social Sharing nennt man das in der Sprache des Web. Es dient – neben dem Teilen – auch dem Ordnen von Gefühlen. Negative Gefühle lassen sich mildern, indem wir über sie reden, man verschafft sich hierdurch Erleichterung; positive Gefühle hingegen können verstärkt und verlängert werden, wenn man über sie spricht. Inhalte mit geringem emotionalem Wert werden kaum mit anderen geteilt, wohingegen stark emotionalisierende Inhalte sehr oft geteilt werden. Auf diese Weise können Anbieter wie aus dem Nichts in aller Munde sein. Dies passiert vor allem dann, wenn man Content als Geschichte erzählt.
Geschichten übersetzen Informationen in Emotion. Sie ziehen uns geradezu magisch in ihren Bann. Sie erhöhen die Glaubwürdigkeit, denn sind sehr viel einprägsamer als Zahlen, Daten und Fakten. Wenn meisterlich erzählt, dann haben sie eine unglaubliche psychologische Kraft. Sie machen neugierig und fesseln die Aufmerksamkeit. Sie lockern auf und entspannen. Sie wecken das Gefühl von Vertrautheit. Sie sprechen das Vorstellungsvermögen an und aktivieren. Sie machen sogar komplizierte Zusammenhänge verständlich. Und sie steigern die Überzeugungskraft. Sie fördern das Zuhören, das Verstehen, das Behalten und das Zustimmen, ohne zu bedrängen. Zudem machen Geschichten die Unternehmen und ihre Mitarbeiter auch menschlicher.
Wirksamer als Zahlen und Daten
Gehirnforscher glauben, dass jeder Denk- und Entscheidungsprozess von inneren Bildern begleitet wird, die unser Hirn in einem unaufhörlichen Schöpfungsprozess konstruiert. Er wird gespeist aus Wahrnehmungsbildern, die unsere Sinne den Hirnwindungen schicken, aus den Erinnerungsbildern früherer Erlebnisse und aus inneren Vorstellungsbildern. Gute Verkäufer und spannende Marken setzen mit ihren Erzählungen ein wahres Kopfkino in Gang. Marketingleute nennen das Brain Scripts. „Wir alle suchen nach unserer eigenen Geschichte; die Brain Scripts, die Geschichten der anderen, helfen uns dabei”, sagt der Mediendramaturg Christian Mikunda. Gute Geschichten sind solche, die wir leicht dechiffrieren können, weil sie ein uns bekanntes Muster zeigen – wie etwa der Mythos von „David gegen Goliath” oder das „Aschenputtel-Syndrom”.
Ach, wenn das die verkopften, zahlenfixierten Manager doch nur endlich verstehen würden: Menschen lassen sich lieber durch Geschichten verführen als durch sachliche Darstellungen und nüchterne Fakten. Zwar sind Dashboards und vollgeexcelte Powerpoint-Präsentationen populär, doch es ist äußerst unprofessionell, andere hierüber gewinnen zu wollen. Der US-amerikanische Wissenschaftler und Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat übrigens experimentell nachgewiesen, dass nicht derjenige die Deutungshoheit erlangt, der die besten Argumente zusammenträgt, sondern derjenige, der die stimmigste Story erzählt. Der wahre Profi bringt also seine Botschaft über gut gewählte Beispiele, bunte Anekdoten und kluge Metaphern rüber.
Ein schönes Beispiel dafür, von Petra Sammer in ihrem Buch „Storytelling” erzählt, ist die Einführung des Philips Wake-up-Light-Weckers. Er imitiert einen Sonnenaufgang und ermöglicht so ein sanftes Aufwachen. Zahlreiche Studien hatten die gesundheitlichen Vorteile dieses Leuchtweckers belegt, doch die vorgetragenen rationalen Argumente interessierten nur mäßig. Das Gerät wurde zum Flop. So entschloss sich Philips zu einer Neueinführung, diesmal mit einer Geschichte namens „The Arctic Experiment”. Sie handelt von den Bewohnern von Longyearbyen, der nördlichsten Stadt der Welt. Verschiedene Videos zeigten, wie der Leuchtwecker ihnen hilft, die viermonatige Polarnacht zu überstehen. Diese Version weckte zunächst das Interesse der Presse – und danach stieg der Umsatz des Geräts um 20 Prozent.
Also dann: Welche Geschichten erzählt man sich über Sie, Ihre Produkte, Ihre Firma? Und wer erzählt diese Geschichten wem, warum, in welcher Situation, in welcher Form wie oft weiter? Woher stammen diese Geschichten, wer hat sie gemacht? Wie und wo suchen und finden Sie schöne Geschichten, die Ihre Kunden schon jetzt ganz ohne Ihr Zutun erzählen? Und wie gewinnen Sie Kunden dazu, Ihnen begeistert von Erlebnissen mit Ihrer Firma zu berichten, die Sie im Empfehlungsmarketing einsetzen können?
Wie gute Geschichten aufgebaut werden
Gut gemachte Geschichten werden aus der Perspektive des Helden erzählt. Das ist in aller Regel der Kunde. Der Beginn ist dabei essenziell, denn da fragen wir uns: Hat das was mit mir zu tun? Ist die Antwort „Ja” und das Ganze für uns relevant, hören wir weiter zu. Ist es für uns ohne Bedeutung, schaltet unser Hirn einfach ab. Menschen lieben Helden vor allem dann, wenn sie über sich hinauswachsen, weil sie damit ein hehres Ziel verfolgen. Idealerweise folgt der Erzählstrang also einer sogenannten Heldenreise. Diese führt entlang eines Spannungsbogens von einer suboptimalen Ausgangslange über Hindernisse und Blockaden, Irrungen und Wirrungen oder Qualen und Beinaheabstürze zu einem glorreichen Ende. Unternehmen, Produkte und Mitarbeiter fungieren dabei als Helfershelfer, als treue Gefährten oder nützliche Geister, die zwar im Hintergrund bleiben, ohne die die Transformation allerdings nicht gelingt. Beim Aufbau können Sie sich an Märchen orientieren. Sie haben folgendes Muster: Was war am Anfang (= das Problem, der Zweifel)? Wer (= der Held) tat was (= die gute Tat) mit wessen Hilfe (= die gute Fee)? Wo lauerten Gefahren (= das Abenteuer, das Hindernis, der Gegenspieler)? Wie ging das Ganze aus (= der Sieg, das Happy End)?
Das Grundmodell einer typischen Heldenreise, das der amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell entwickelt hat, hat zwölf Etappen in zwei Akten:
1. Akt: die alte Welt. Eine Situation, die suboptimal ist. Die Ahnung, dass es da draußen etwas Besseres gibt. Schwellenhüter versuchen, den Aufbruch aufzuhalten. Die Begegnung mit einem Mentor, der Mut macht und Wege aufzeigt. Das Überschreiten der Schwelle ins Neuland.
2. Akt: die neue Welt. Prüfungen, Gegenspieler und Verbündete tauchen auf. Der Tag des Showdowns rückt näher. Der Entscheidungskampf findet statt. Der Sieg wird errungen. Der Rückweg wird angetreten. Die Verwandlung zeigt erste Früchte. Das Ziel ist erreicht.
Transmedial erzählen
Moderne Geschichten werden heutzutage transmedial, also über verschiedene Medien hinweg, erzählt. Dies schließt Fotoserien und Videos mit ein. Zuhörer und -schauer sind dabei nicht länger auf die Funktion des passiven Konsumenten beschränkt, sie können sich vielmehr aktiv und schöpferisch einbringen. Dies tun sie, indem sie den Fortlauf einer Geschichte mitgestalten, sich angebotenes Hintergrundmaterial beschaffen oder zumindest kommentieren, voten und sharen.
Zudem sind die ausgewählten Geschichten mediengerecht aufzubereiten: Auf der eigenen Website wird die Langversion der Story erzählt; auf Facebook wird sie verkürzt oder in Häppchen verteilt; auf Instagram wird sie reichlich mit Bildern garniert. Und als Videoclip kommt sie bei YouTube & Co. beispielsweise wie ein rasanter Thriller daher. Schließlich sollten je nach Zielgruppe unterschiedliche Facetten einer Geschichte hervorgehoben werden: Der Einkäufer einer Maschine braucht eine andere Geschichte als der Fertigungsleiter. Ein Junggeselle interessiert sich für andere Details als ein stolzer Familienvater. Und einen Kenner faszinieren andere Finessen als einen Neuling.
Den Geschichtenfundus verbreiten
Wer nichts mehr zu sagen hat, gerät schnell in Vergessenheit. Und selbst die beste Geschichte bewirkt nichts, solange sie im Dunkeln schlummert. Holen Sie also laufend interessante Stories ans Licht, verpacken Sie sie gut und machen Sie sie öffentlich.
Nutzen Sie dazu alle Kommunikationsmittel, um Geschichten zu platzieren: in Stellenanzeigen, im Intranet, auf eigenen Social-Media-Präsenzen, in Newslettern, in Prospektmaterial, im Geschäftsbericht, in Referenzmappen, in Präsentationen, bei Jahrestagungen oder auf dem Messestand.
Sie sollten sich in Reportagen finden, in Employer-Branding-Broschüren, im Internet, auf fremden Social-Media-Präsenzen, in Mailings, in Imagebroschüren, in Kundenzeitschriften, in Imagefilmen, in Vorträgen, auf Ausstellungen, auf Events und selbst in Büchern.