Eurovision 2015: Was aus Werbesicht geblieben ist
© ÖW/Christian Jungwirth
MARKETING & MEDIA Dinko Fejzuli und René Ach 13.05.2016

Eurovision 2015: Was aus Werbesicht geblieben ist

Jetzt in Stockholm, vor einem Jahr in Wien: Österreich Werbung-Chefin Petra Stolba über damalige Erwartungen und die heutige Bilanz.

••• Von Dinko Fejzuli und René Ach


WIEN. Ganz Europa blickt dieser Tage zum 61. Eurovision Song Contest nach Stockholm. Genau vor einem Jahr standen Österreich und Wien im Mittelpunkt des Eurovision-Treibens und der damit einhergehenden prestigeträchtigen Vorteile. Vor allem aus touristischer Sicht profitierte Österreich. Welchen Werbewert das zweitgrößte TV-Ereignis nach dem Superbowl hat, lässt sich jedoch nur schwer beziffern.

medianet hat die Geschäftsführerin der Österreich Werbung (ÖW), Petra Stolba, zum Interview getroffen und nachgefragt, was von dem Ereignis – ein Jahr später – noch geblieben ist.

 

medianet: Frau Stolba, ein Jahr nach dem ESC in Wien – welchen Impact hatte das letztjährige globale TV-Ereignis aus Ihrer Sicht auf das Tourismus-Land Österreich und speziell für Wien?
Petra Stolba: Neben der unmittelbar erzielten Wertschöpfung durch die Tausenden Besucher vor Ort konnten mit der TV-Übertragung über 200 Millionen Zuseher in Europa, Australien und auch erstmals in China erreicht werden. Diese sahen nicht nur eine einzigartige Live-Show, sondern auch ein vielfältiges und modernes Österreich – und spürten die Begeisterung, mit der das Motto ‚Building Bridges' umgesetzt wurde. Konkret für Wien als weltoffene Metropole mit ihrer Kernkompetenz in Sachen Gastfreundschaft und als Welt­musikhauptstadt war der ESC, der in so vielen Ländern rund um den Globus übertragen wird, vom Werbewert her quasi unbezahlbar. Hier haben alle Verantwortlichen die Chancen, die sich für Österreich nach dem Sieg von Conchita Wurst geboten haben, erkannt und das Beste – auch für den Tourismus – herausgeholt.

medianet:
In welcher Art und Weise lässt sich ein Event wie der ESC marketingtechnisch am besten nutzen? Ist es Image-Aufbau, die Erhöhung der ‚Markenbekanntheit' oder ist er eher zur Positionierung der Marke Österreich ­geeignet?
Stolba: Ein derartiger Event steigert nicht nur die Bekanntheit eines Gastgeberlands, sondern hat auch Einfluss auf das konkrete Image. Zusätzlich zu den unmittelbaren Wertschöpfungseffekten, die eine solche Großveranstaltung mit sich bringt, sehen wir zwei Ebenen, die sich positiv auf das Image ­Österreichs auswirken: Die professionelle und sympathische Gastgeberfunktion sowie ein spannendes und zeitgemäßes Bild von Österreich, von dem nicht nur der Tourismus, sondern der gesamte Standort im Sinne eines Brückenbauers profitiert. Die Marke ­‚Urlaub in Österreich' besetzt übrigens in ihrem Markencharakter u.a. die Werte Kreativität und Lebensfreude. Der ESC brachte auch eine einmalige Möglichkeit, konkrete Maßnahmen zu setzen, die auf diese Markenwerte einzahlen.

Ein Sonderbudget des Wirtschaftsministeriums in der Höhe von 900.000 Euro ermöglichte zahlreiche Aktivitäten, um den 60. Eurovision Song Contest in Wien optimal für den Tourismusstandort und Österreich insgesamt zu nutzen. Auf der Website www.austria.info/esc standen in den Wochen vor dem ESC moderne österreichische Künstler aus ganz Österreich im Mittelpunkt, deren Inhalte auch international breit über Facebook, Newsletter und die Pressearbeit gestreut wurden. Die ÖW lieferte als Partner des ORF Impulse für eine spannende und zeitgemäße Darstellung des Urlaubslands ­Österreich und stellte den mehr als 1.700 Medienvertretern und Bloggern Material in jeder Form für die Rundumberichterstattung zur Verfügung. Zusätzlich nutzte die ÖW den Event auch als Netzwerkplattform und lud gemeinsam mit WienTourismus rund 110 internationale Reiseveranstalter und Top-Medienkontakte aus dem Reise- und Lifestyle-Bereich aus 20 Ländern von 20. bis 24. Mai nach Österreich ein. Neben dem Song Contest-Finale in der Wiener Stadthalle wurde dieser Gruppe ein facettenreiches Programm inklusive kulinarischer und kultureller Aspekte geboten, um ihnen vor allem auch die junge und vielfältige Musikszene in Österreich näherzubringen. Ein eigens geshootetes Song Contest-Sujet ‚Building Bridges' zeigt ‚Walzerkönig' Johann Strauss Sohn Rücken an Rücken mit seinem modernen Gegenstück Julia Lacherstorfer, einer aufstrebenden Violinistin, die traditionelle Musik neu interpretiert. Dieses Sujet kam am Flug­hafen Wien und am dortigen Tower großflächig zum Einsatz und hieß die internationalen Teilnehmer und Besucher des Song Contest mit der Marke Urlaub in Österreich willkommen.
Nachhaltige Effekte erwarteten wir uns auch durch die Begeisterung der internationalen Gäste, vor allem der über 1.700 anwesenden Medienvertreter und Blogger. Das Medienzentrum in der Wiener Stadthalle, das von der ÖW mit großflächigen Sujets aus allen Bundesländern und einer Naturlounge ausgestattet wurde, kam ebenso gut an wie die Austria Guides, die persönlich und individuell Geschichten über Österreich erzählten.


medianet:
Aus der Sicht der Geschäftsführerin der ÖW: Ist der ESC ein werblicher Glücksfall, oder kann da auch einiges schiefgehen?
Stolba: Auf alle Fälle ein Glücksfall. Wie oft hat man sonst die Möglichkeit, über 1.700 Medienvertreter und Blogger gleichzeitig in Österreich begrüßen zu können? Diese waren Großteils zwei Wochen in Wien und haben in dieser Zeit unzählige Beiträge aus und über ­Österreich verfasst. Viele sprachen vom professionellsten und gleichzeitig sympathischsten Song Contest aller Zeiten – diese positiven Eindrücke werden sie mit nach Hause nehmen und weitertragen. Dieser Erfolg war nur durch das professionelle Zusammenspiel aller Beteiligten möglich – vom ORF und der EBU als Veranstalter über die Location in der Wiener Stadthalle bis hin zu den 800 Freiwilligen, um nur einige zu nennen. Dank ihnen allen konnten wir uns als professionelles, sympathisches und innovatives Gastgeberland präsentieren.

medianet:
Im Vorfeld wurde viel über die hohen Kosten des Events debattiert. Wie stehen diese, auch jetzt im Nachhinein, in Bezug mit dem daraus resultierenden Werbewert?
Stolba: Der Werbewert dieser Veranstaltung und der begleitenden Berichte über Österreich und Wien als Austragungsorte übersteigt sicherlich bei Weitem die Investments. Wir sehen hier unmittelbare Effekte in Form von Medienberichten, die nicht nur die Veranstaltung, sondern auch das Lebensgefühl in Wien und Österreich thematisiert haben. Die gesamte Medienberichterstattung zu Österreich bzw. Wien in Verknüpfung mit dem ESC ist nicht erfasst, doch haben der WienTourismus, der Presse- und Informationsdienst der Stadt Wien und der ORF in Kooperation Studien erstellen lassen, von denen eine zumindest Auskunft über die diesbezügliche Online-Berichterstattung im Ausland gibt. Laut ihr erschienen im Zeitraum 1. Mai bis 14. Juni in 116 Ländern 35.822 Online-Artikel, die auf Wien in Zusammenhang mit dem ESC Bezug nahmen.

medianet:
Gibt es trotzdem Zahlen, die den Werbewert irgendwie beziffern können?
Stolba: Die Österreich Werbung verfügt diesbezüglich über keine Zahlen. Die Werbewertberechnung von IHS ging im Vorfeld von geschätzten 100 Millionen Euro aus. Noch wertvoller, wenn auch nicht genauer quantifizierbar, ist allerdings die nachhaltige und langfristige Wirkung einer derartigen Veranstaltung und der weltweiten Berichterstattung. Österreich war über einen Zeitraum mehrerer Wochen in den Köpfen vieler Menschen. Und wenn diese jetzt oder im nächsten Jahr ihren Urlaub planen, erinnern sie sich – und sagen, da sollte ich wieder einmal hin­fahren.

medianet:
Hat man sich da im Vorfeld mehr erwartet? Oder wurden die Erwartungen womöglich sogar übertroffen?
Stolba: Wir haben uns aufgrund des Song Contests keinen unmittelbaren Anstieg der Nächtigungen erwartet, der stärkere Nutzen liegt im Imagegewinn für das ganze Land. Der ESC war die ideale Chance, unser Land als weltoffen, musikbegeistert und modern zu präsentieren, was unser klassisches Image um eine kontemporäre Facette bereichert hat. Dadurch profitierte nicht nur der Tourismus, sondern der gesamte Standort. Mit keiner Marketing-Kampagne der Welt hätte man eine solche posi­tive Imageaufladung erzielen können.

medianet:
Kann man bereits sagen, ob und wie der ESC trotzdem Veränderungen in den touristischen Kennzahlen gebracht hat?
Stolba: Darüber lassen sich keine eindeutigen Aussagen treffen, da bei der Urlaubswahl viele Faktoren mitspielen. Allerdings zeigt sich zum Beispiel in Australien – einem sehr ESC-affinen Land, das 2015 erstmals am Bewerb teilnehmen durfte und vom Gastgeberland Österreich gleich 12 Punkte bekam – eine deutlich erhöhte Österreich-Begeisterung. So stiegen die Ankünfte aus Australien 2015 um 8,2 Prozent, die Nächtigungen sogar um 9,4 Prozent. Im März 2016 gab Conchita gemeinsam mit dem Sydney Symphony Orchestra vor 2.700 Besuchern ein Konzert ‚From Vienna with love' in der Oper von Sydney. Der staatliche Fernsehsender SBS nutzte dieses Konzert, um die diesjährige australische Teilnehmerin für den ESC 2016 in Stockholm, Dami Im, vorzustellen. Das Medienecho war bereits im Vorfeld enorm – mit über 140 Berichten im Online-, Print-, TV- und Radio-Bereich. Hier sehen wir schon eine nachhaltige Wirkung.

medianet:
Wie weit hat die ÖW in ihren Marketing-Aktivitäten an die weltweite Werbung anknüpfen können, die hier für Österreich durch den ESC möglich war?
Stolba: Österreich ist ein international anerkanntes Weltland der klassischen Musik, Geburtsort der Moderne und ein Land, das bis zum heutigen Tag hochwertige Kunst- und Kulturleistungen hervorbringt. Ob in der Hochkultur oder in der Volkskultur, Österreich kann als Tourismusland sein unermess­liches Kulturkapital eindrucksvoll einsetzen. Der Schwerpunkt im Marketing 2015 ‚Österreich.Treffpunkt Europas' ermöglichte ein optimales Ineinandergreifen der ohnehin geplanten und aufgrund des ESC zusätzlichen weltweiten Aktivitäten.

Wir als Österreich Werbung kommunizieren seit Längerem in unseren Kampagnen, dass Österreich nicht nur klassisch bzw. traditionell, sondern auch weltoffen und modern ist. Der Sieg Conchitas beim Song Contest und der ESC 2015 in Wien sind eindrucksvolle Belege, quasi ‚lebendige Beweise' dieser Aspekte der Markenpositionierung.


medianet:
Diese Woche steht Schweden und nicht mehr Österreich im Fokus. Lässt sich trotzdem sagen, wie lange so ein Event marketingtechnisch ‚nachhallt'?
Stolba: Auf einen konkreten Zeitraum lässt sich das nicht seriös einschränken. Wir haben aufgrund des ESC viele positive Rückmeldungen aus dem In- und Ausland bekommen. Zum einen durch den Sieg von Conchita Wurst im Jahr 2014 – der neben der Auszeichnung für eine erstklassige künstlerische Performance auch ein Zeichen für Toleranz und Akzeptanz in Europa war. Und mit dem ESC 2015, der neben einer professionellen und großartigen Veranstaltung mit ‚Building Bridges' auch eine Botschaft transportiert hat, die das Bild Österreichs künftig mitprägen wird.

Petra Stolba ist seit 2006 Geschäfts­führerin der ÖW. Ihr Vertrag läuft mit Ende Oktober 2016 aus, der Posten ist daher seit dem vergangenen Wochenende neu ausgeschrieben. Ob sich Stolba selbst nochmals bewirbt, ist derzeit nicht bekannt.

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