••• Von Dinko Fejzuli
WIEN. Welche Bedeutung Nachrichtenmedien für das demokratische Zusammenleben haben, zeigt sich in Krisen- oder gar Kriegszeiten besonders deutlich. Das globale Forschungsprogramm „Media for Democracy Monitor” untersucht in 18 Ländern weltweit die Leistungsfähigkeit der führenden Nachrichtenmedien, gemessen an 30 Demokratie-Indikatoren.
Nun liegt die dritte Welle der Untersuchung vor, und medianet bat Universitätsprofessor Josef Trappel, Leiter des Fachbereichs Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg und Gesamtleiter der Studie, zum Interview.
medianet: Herr Trappel, ein Ergebnis der Studie zeigt, dass Nachrichtenmedien zwar verloren haben, aber trotz digitaler Konkurrenz breit genutzt werden und im Kampf gegen Desinformation unverzichtbar sind. Was hat die Studie noch ergeben?
Josef Trappel: Der Media for Democracy Monitor ist der Versuch, mit sozialwissenschaftlichen Methoden festzuhalten, was die führenden Nachrichtenmedien eigentlich für die Demokratie leisten. Wir interessieren uns in erster Linie dafür, wie Nachrichten zustandekommen und ob eben dieses Zustandekommen der Nachrichten den demokratischen Standards entspricht. Wir machen keine Inhaltsanalyse, das wäre die andere Variante. Wir fragen uns etwa: Arbeiten Journalisten in einer Art und Weise, dass man sagen kann, es sei demokratiezuträglich oder nicht.
Diese dritte Welle zeichnet sich dadurch aus, dass in den vergangenen zehn Jahren seit der zweiten Welle die Digitalisierung die Medienlandschaft grundlegend verändert hat und wir zu Beginn vermutet haben, dass die Medien massiv an Leistungsfähigkeit verloren haben – schließlich sind mit den digitalen Plattformen neue Konkurrenten aufgetreten.
medianet: Die Studie ist länderübergreifend. Welche Auffälligkeiten gab es hier und inwiefern hängt die Bedeutung der Nachrichtenmedien vom Reifegrad einer Demokratie ab?
Trappel: Wir haben uns auf reife oder fortgeschrittene Demokratien beschränkt. In anderen Staaten, wo der demokratische Prozess erst begonnen hat, ist die Lage wahrscheinlich anders. Es waren allerdings Länder darunter, und das ist schon interessant, die schon lange als demokratisch gelten, aber relativ schlecht abschneiden.
medianet: Welche etwa?
Trappel: Australien ist eine gefestigte Demokratie und funktioniert auch von den Institutionen sehr gut, aber die Medienlandschaft ist dort so hoch konzentriert, dass es für die demokratische Willensbildung problematisch wird. Es gibt eine sehr hohe Medienkonzentration, und das ist aus Sicht einer Demokratie natürlich problematisch.
medianet: Wenn Australien schon so schlecht abschneidet: Wie sieht es dann erst in Ländern wie Polen oder Ungarn aus?
Trappel: Die beiden Genannten waren nicht Teil der Studie, weil sie noch junge und nicht gefestigten Demokratien sind. Für die Untersuchung solcher Länder hätte wir ein anderes Instrument einsetzen müssen. Dort können die Medien nicht frei arbeiten. Oft ist es nicht deren Entscheidung, wie sie über Nachrichtenvorgänge berichten, sondern es ist stark staatlich gelenkt – und deswegen kann man ihnen das nicht zum Vorwurf machen.
medianet: Um welche Staaten, die in der Untersuchung waren, muss man sich echte Sorgen machen?
Trappel: Unter den 18 Ländern war eine Demokratie, die keine mehr ist: Hongkong. Als wir mit der Untersuchung begonnen haben, war Hongkong tatsächlich aus Mediensicht ein freies Land. In Hongkong konnten Journalisten bis 2019 tun und schreiben, was sie wollten, es gab keine Verfolgung. Dann kamen die Proteste, und die Zentralregierung in China hat die bürgerlichen Freiheiten entfernt. Jetzt ist Hongkong innerhalb von zwei Jahren in einen Status gerutscht, wo tatsächlich keine Pressefreiheit mehr herrscht. Das geht unglaublich schnell und das sollte auch uns eine Warnung sein.
medianet: Und wie hat Österreich abgeschnitten?
Trappel: Unter den 18 Ländern aus allen Kontinenten, bis auf Afrika, ließen sich vier Kategorien bilden. In der besten Gruppe sind die skandinavischen Länder und auch Großbritannien. In der unteren Mittelklasse sind Länder wie Portugal oder interessanterweise auch die Schweiz zu finden, und Österreich spielt in der oberen Mittelklasse mit.
Die Social Media-getriebene Welle an Desinformation hat auch uns erfasst und findet auch in kleineren einheimischen Medien Resonanz. Im Vergleich zu den anderen Ländern verfügt Österreich aber über einen gut ausgebildeten Berufsstand an Journalisten und Journalistinnen, nicht zuletzt auch im öffentlichen Rundfunk.
medianet: Welche anderen Veränderungen im Zeitverlauf zeigt die Studie noch auf?
Trappel: Auffällig sind aus meiner Sicht die Kontinuitäten. Wir haben weiterhin ein Problem bei der Berücksichtigung von Frauen – sowohl in der Berichterstattung als auch in den Redaktionen selbst. Die Lage hat sich zwar an sich verbessert, aber nur auf der unteren Ebene der Journalistinnen, wo die Löhne etwas niedriger sind. Da gibt es eine ausgewogenere Geschlechterverteilung als weiter oben in der Hierarchie. Die zweite auffällige Kontinuität ist die Medienkonzentration; das damit verbundene Demokratieproblem ist längst erkannt, aber die Konzentration hat trotzdem nicht abgenommen, sondern sogar zugenommen.
medianet: Und der Einfluss der Digitalisierung?
Trappel: Mit der Digitalisierung hat sich die Medienkonzentration nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch auf globaler Ebene etabliert. Was jedoch besser geworden ist, sind internationale Kooperationen zwischen einzelnen Medienunternehmen. Das wäre vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen, dass der Standard etwa gemeinsam mit dem ORF in einer gemeinsamen Rechercheplattform zusammenarbeitet. Diese Kooperationen gibt es auch auf internationaler Ebene. Das ist deutlich besser geworden, obwohl weniger Mittel zur Verfügung stehen. Aber die Medien behelfen sich in der Wirtschaftskrise, indem sie mehr miteinander kooperieren.
medianet: Sie haben gesagt, dass die Digitalisierung den klassischen Journalismus bedroht. Hat aber Social Media nicht zu einer Verbreiterung der Berichterstattungsmöglichkeiten geführt?
Trappel: In den Sozialen Medien wird das aufgearbeitet, was seinen Ursprung bei klassischen Medien hat. Aber die Funktion des Agenda Settings liegt weiterhin bei den großen Nachrichtenmedien, die ja von den digitalen Plattformen multipliziert werden. Die digitalen Plattformen selbst generieren keine Nachrichten.
medianet: Bleiben wir beim Thema Facebook & Co. Gerade öffentlich-rechtliche Medien, die Content erzeugen, aber auch Medien wie Der Standard, Die Presse und Kleine Zeitung hadern immer mit dieser Frage und pendeln zwischen einer Freund- und Feind-Taktik bei der Frage, ob sie dort ihren teuer produzierten Content gratis zur Verfügung stellen sollen …
Trappel: Ich glaube, es ist für alle Medien notwendig, diese Plattformen zu bespielen, wenn sie bei jungen Menschen nicht in der Bedeutungslosigkeit verschwinden wollen. Die Frage ist eher, wie stark sich die eigene Marke dort noch abbildet.
Viele junge Menschen wissen gar nicht mehr, woher die Nachrichten kommen, die sie nutzen. Das ist existenzbedrohend für Medien verlegerischer Herkunft. Deshalb muss ein Deal gefunden werden mit den Plattformen, dass man dort erkennbar ausflaggt, woher die Nachrichten kommen, wer sie hergestellt hat und was die Quelle ist. Dafür gibt es im Moment noch zu wenig Bewusstsein.
medianet: Was sagt die Studie über die größten Gefahrenquellen für klassische Nachrichtenmedien und deren Funktion aus?
Trappel: Die größte Bedrohung ist eigentlich die ökonomische. Gibt es für die Finanzierung von Investigativjournalismus und den Redaktionen keine Mittel mehr, dann wird es auf Dauer für die klassischen Nachrichtenmedien schwer werden, eine demokratieverträgliche Berichterstattung zu erbringen. Die ökonomische Krise ist demnach bedeutender als die Krise des Journalismus selbst.
medianet: Gibt es Handlungsempfehlungen, wie man dieser Bedrohung entgehen kann?
Trappel: Wir kommen zu einem relativ klaren Ergebnis: Eine Mischfinanzierung aus unterschiedlichen Quellen ist für die Demokratie am besten – auch, weil es immer problematisch ist, wenn zum Beispiel ein Einziger dafür sorgt, dass es ein Medium überhaupt gibt. Denn diese Person kann dieses Medium auch auf Knopfdruck wieder abdrehen – siehe ServusTV und die damalige Drohung des Eigentümers, den Sender zuzusperren. Ein ausgewogener Mix aus unterschiedlichen Finanzierungsformen ist die beste Garantie für demokratietaugliche Medien. In Österreich bedeutet das etwa Werbefinanzierung, Subventionen, Sponsoring-Beiträge, Beiträge von den Usern selbst wie Paid Content oder Abonnements.
medianet: Dann gibt es aber auch noch den öffentlich-rechtlichen Bereich, der zu einem beträchtlichen Teil über Gebühren finanziert wird. Wäre ein Ausweg, um die Funktion von seriösen Nachrichtenmedien zu sichern, eine Art öffentlich-rechtliche Finanzierung? Bei der Wiener Zeitung gibt es so etwas über den Umweg der Pflichtveröffentlichungen ja in der Art schon.
Trappel: Das halte ich für problematisch, weil wir sonst an die Grenzen der Finanzierbarkeit in Österreich stoßen. Es ist notwendig, in Österreich einen privatwirtschaftlich funktionierenden Medienbereich zu haben. Nur eine Zeitung mit öffentlichen Mitteln zu finanzieren, wäre für die Vielfalt ungünstig. Besser ist, weiterhin eine Vielzahl an Medien zu haben, die alle bis zu einem gewissen Grad – als ein Mosaiksteinchen – öffentlich finanziert sind.
medianet: Frage zum Schluss: Wagen Sie einen Blick in die Zukunft der klassischen Medien?
Trappel: Ich bin notorischer Optimist. Und auch, wenn es immer jemanden geben wird, der behauptet, ‚die Medien' seinen gesteuert: Je größer die Krise ist, desto bedeutsamer sind die Medien für den allergrößten Teil der Bevölkerung.