„Verhalten geht über Demografie”
© Dialogschmiede/Katharina Axmann Photography
MARKETING & MEDIA Gianna schöneich 29.09.2017

„Verhalten geht über Demografie”

CEO Jürgen Polterauer und COO Werner Schediwy von der Agentur Dialogschmiede im Interview.

••• Von Gianna Schöneich

WIEN. Die Dialogschmiede führt mit Standorten in Wien, Berlin und Zürich Echtzeit-Kommunikation über die Grenzen hinaus; seit 2013 ist sie Dialogagentur des Jahres (DMVÖ-Dialogmarketingpreis Columbus). Im Inter­view sprachen CEO Jürgen Polterauer und COO ­Werner Schediwy.

medianet: Herr Polterauer, Ihre Agentur Dialogschmiede steht für Realtime Behavioral ­Marketing. Erläutern Sie doch kurz, worum es sich dabei handelt.
Jürgen Polterauer: Wir waren eine der ersten Agenturen, die vor circa fünf Jahren in diesen Geschäftsbereich eingestiegen sind. Realtime Behavioral Marketing bedeutet grob gesagt, die Facetten menschlichen Verhaltens im Kontext des Konsums zu erforschen und zu dokumentieren. Wir betreuen hier zahlreiche Handelskunden. Wir setzen auf Technologiepartner wie beispielsweise IBM und besitzen verschiedene Zertifizierungen, um auf allen großen Plattformen Realtime Behavioral Marketing anbieten zu können.

medianet:
Systeme wie IBM Watson sind allerdings gerade für größere Unternehmen gedacht …
Polterauer: Das ist richtig. Das birgt für kleinere Unternehmen große Herausforderungen. Um eine solche Cloud zu betreuen, bedarf es der Analysten oder Experten im Journey Management. Es braucht eine große Menge von Daten, die eben in Echtzeit zur Verfügung gestellt werden. Viele Unternehmen können diesen Anforderungen allein organisatorisch nicht entsprechen. Neue Lösungen benötigen neue Skills, und das ist die Herausforderung. Wir haben selbst Softwares und Lösungen entwickelt, die auf viele Automatisierungen setzen und somit vieles vereinfachen. Wir arbeiten sehr integriert, gründen Abteilungen in Unternehmen oder fungieren als externe Mitarbeiter; dadurch hat sich unser Tätigkeitsfeld ­natürlich geändert.

medianet:
Die Dialogschmiede hat sich sogar stark verändert.
Polterauer: Wir haben uns gefragt, wie müssen wir sein, um mit dem, was wir tun, auch noch morgen gut abgedeckt zu sein. Das ist in Europa schon sehr einzigartig – Agenturen sind eher veränderungsresistent, solange der Rubel rollt. An uns sind viele Technikvertreter herangetreten und haben uns gefragt, ob wir nicht auch in anderen Ländern für sie tätig sein können. Wir sind also in den letzten zwei Jahren in Europa ganz schön herumgekommen und haben kleine Projekte umgesetzt – in London haben wir zum Beispiel einen Innovationspreis für eine WhatsApp-Anwendung gewonnen.

medianet:
Sie haben Ihr Geschäftsgebiet in die gesamte D-A-CH-Region ausgeweitet und Niederlassungen in Berlin und Zürich gegründet. Dabei war es um die Dialogschmiede immer etwas ruhiger.
Polterauer: Wir waren in der ­Öffentlichkeit immer stark zurückhaltend. Seit über zehn Jahren hat die Dialogschmiede ein gutes Wachstum, wir sind gut situiert im Markt, haben uns aber nie aggressiv verhalten. Wir wurden aber oft weiterempfohlen, und daraus resultierte u.a. die Gründung von Dialogschmiede Berlin im Frühjahr, und in Zürich haben wir die Aktiengesellschaft ‚Wissenberater AG' mit 51% übernommen. Was wir in Österreich erreicht haben, bauen wir in der D-A-CH-Region nun aus. Wir haben ein Commitment abgegeben: Wir wachsen jetzt.

medianet:
Jetzt ist die Dialogschmiede Silver-Businesspartner von IBM; das haben Sie allein durch Ihre Cloud-Servies erreicht.
Polterauer: Ja allerdings. Wir sind jetzt ‚Preferred Partner' von IBM für die D-A-CH-Region, weil wir eben auch überall Companies haben. Wir waren schon immer technisch interessiert – wir hatten schon 2012 einen Prototypen zur Gesichtserkennung; bei der Vorstellung dessen fragten uns Handelskunden, ob wir geisteskrank sind … Wir bilden verschiedenste technische Plattformen ab, auch die Abteilungen Strategie Consulting und Datentechnik, wir besitzen auch immer noch die Kreation – wir wollen Kunden alles anbieten können.

medianet:
Sie haben sich neu aufgestellt und neue Personen an Bord geholt.
Polterauer: Richtig, zum Beispiel Werner Schediwy. Er verfügt über 25 Jahre strategische Marketingerfahrung und war u.a. Marketingleiter bei Raiffeisen und Bank Austria. Er hat die Struktur der Dialogschmiede komplett auf den Kopf gestellt, weil er eben gewohnt ist, in ­größeren Prozessen zu denken.

medianet:
Und wie sieht die neue Struktur aus?
Werner Schediwy: Wir arbeiten jetzt in agilen Teams, in denen die Mitarbeiter noch mehr Selbstverantwortung übertragen bekommen. F dialDie Zeit ist vorbei, in denen die Chefs immer alles besser wissen. Unsere Anforderungen sind derart vielfältig geworden, dass diese Aufgaben nur aus allen drei Blickwinkeln gemeinsam gelöst werden können: Beratung, Programmierung und Kreation.

medianet:
Häufig müssen Sie auch in der Organisationsentwicklung tätig werden.

Polterauer: Wir beeinflussen Menschen mit unserer Form des Marketing, damit sie die richtigen Entscheidungen treffen. Aus diesen Entscheidungen ergeben sich für Unternehmen neue Businessmodelle, die eine neue Organisation bedürfen. Daraus ergeben sich wiederum neue Ideen, neue Innovationen – wir designen und setzen das um. Wir beeinflussen Menschen und letztlich Businessmodelle. Die Kreation schwingt überall in irgendeiner Form mit.

medianet:
Bei der Arbeit mit Daten drängt sich immer auch die Frage nach Datenschutz auf.
Polterauer: Wir haben seit Beginn des Jahres einen Datenschutzbeauftragten. Das ist ein wichtiges Thema – man kann das nicht mehr einfach nebenbei mitmachen.
Schediwy: Bei vielen IT-Lösungen starten wir in der Testphase Hackerangriffe auf uns selbst, um z.B. offene ‚backdoors' rechtzeitig zu erkennen. Das ist mittlerweile ein Standardprozedere bei uns.

medianet:
Es herrscht das Vorurteil, ‚Big Data' sei auch nur etwas für die großen Unternehmen.
Polterauer: Laut Definition können nur 50% der Unternehmen tatsächlich Big Data machen. Wir sprechen von Smart Data. Man muss sich überlegen, wie personalisierte, unternehmeneseigene Daten auch außerhalb meines Universums gewinnbringend eingesetzt werden können.
Schediwy: Unsere Theorie ist, dass Medienplanung in Zukunft ganz anders aussehen wird. Es ist ein veraltetes Konzept, eine Zielgruppe zu einer Primetime zu buchen. Wir können heute schon einzelne Spots an verschiedene Menschen aussenden – das Problem ist, die TV-Stationen sind nicht bereit dafür. Die alte Welt hat ihre Bequemlichkeit, und nicht für jeden bringt die Dynamisierung Vorteile.
Polterauer: Wir wollen außerdem dem programmatischen Buchungsansatz entgegenwirken. Programmatisch bedeutet heute ‚billig'. Wir können Algorithmen so schreiben, dass sie jeder Person ganz ideal Werbung ausspielen, und das wird von uns qualitativ viel höher gesetzt. Wir erhöhen Conversation Rates und sorgen dafür, dass ein Unternehmen am bestehenden Kontakt mehr verdient. Wir glauben, dass ein Unternehmen eine Information besitzt, und der Kunde holt sich, was er davon braucht. Wir sagen: Verhalten geht über Demografie. Das ist ein Umdenken und für uns ein bisschen missionarisch; wir wollen neue Perspektiven bieten.

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