WIEN. Roswitha Hasslinger, die Doyenne der heimischen Marktforschung, hat ein Buch geschrieben. medianet bat sie zum Interview.
medianet: In Ihrem Buch ‚Wer schießt schon auf Marktforscher?' sind ein paar sehr berührende, witzige, aber auch ernste Erinnerungen zu finden. So im Zeitverlauf: Wo verorten Sie die größten Veränderungen in der Marktforschung?
Roswitha Hasslinger: Die meisten der über 30 Episoden spielen in den 80er-, 90er-Jahren und sind damit ein Spiegel einer Art Zeitgeschichte der Marktforschung. In dieser Zeit haben sich auch sehr große Veränderungen abgespielt. Meine Generation ist nicht mit Computern aufgewachsen, wir haben in der Schule mit Taschenrechnern gerechnet und wussten noch, was ein Rechenschieber ist. Es war faszinierend, diese rasante technische Entwicklung mitzuerleben, und wir waren auch da oft Pioniere und haben z.B. den ersten Sprachcomputer für Tiefeninterviews ausprobiert. Das Experiment ist gescheitert, die Interviewerjobs waren gesichert.
Es gab auch kein Studium, das direkt berufsbildend war, wir kamen aus vielen verschiedenen Bereichen – Psychologie, Kommunikationswissenschaft, BWL, Statistik/Mathematik …Das war aber für die Vielseitigkeit der Branche sehr gut.
medianet: Sie hatten das Glück, oftmals in der Rolle des Pioniers sein zu können. Wo sehen Sie heute die Pioniermöglichkeiten?
Hasslinger: Die liegen meiner Meinung nach in einer sinnvollen Kombination von interdisziplinären Ansätzen und Tools. Im Basisbereich der Markt- und Meinungsforschung kann man nicht mehr viel erfinden – Statistiken bzw. mathematische Formeln verändern sich nicht –, nur rechnen muss man es nicht mehr selber. Verschiedene Skalenformen, Fragetechniken – verbale und nonverbale –, all das wird schon lang eingesetzt.
Die große Herausforderung der Mafo heute ist die Fähigkeit des vernetzten Denkens und Analysierens. Schlagwort ‚Big Data' – was bedeutet das für uns? Wie können wir aus Algorithmen berechnete Erkenntnisse mit klassischen Erhebungen verknüpfen und so mehr noch aussagekräftigere Daten generieren. Technische Entwicklungen wie Beobachtung der Befragten über Webcams, Codierung der Mimik, Gestik, der Blickverläufe, etc. – das sind sehr interessante Möglichkeiten, die die ‚Umfrageforschung' um innovative digitale Elemente bereichern.
medianet: In Wahlzeiten werden Marktforscher für vermeintlich falsche Vorhersagen geprügelt; schaut man sich die Zahlen dann ex post an, liegen sie meist ja nicht sehr falsch. Woher kommt dieses verschobenen Bild in der Öffentlichkeit?
Hasslinger: Weil man Scheingenauigkeiten kommuniziert. Sowohl die Samplegrößen als auch die daraus resultierenden Schwankungsbreiten werden, wenn überhaupt, klein und fast verschämt angegeben.
Die Öffentlichkeit erwartet Vorhersagen, die kann Meinungsforschung aber nicht statistisch abgesichert liefern, vor allem in Zeiten des volatilen Wählerverhaltens. Jede Umfrage ist eine aktuelle Momentaufnahme ,– je näher dem Wahlakt, umso wahrscheinlicher. Prognosen sind Schätzungen auf Basis seriöser Umfragedaten mit viel Fingerspitzengefühl – und das hatten und haben einige Marktforscher.
Das Marktforscher-‚Bashing' ist ja in den letzten zehn Jahren schon eine Art Sport der Medien geworden, die davor um mehr oder weniger Geld diese Umfragen bestellt und publiziert haben. In der Marketingforschung akzeptiert man weit größere Abweichungen, hat allerdings selten ein ‚Wahlergebnis' auf zwei Kommastellen, mit dem man die vorher erhobenen Daten vergleicht.