Wenn der Postmann klingelt
MARKETING & MEDIA sabine bretschneider 21.10.2016

Wenn der Postmann klingelt

Aus der Verknüpfung von Neuromarketing und Big Data-Analyse entsteht der Superkonsument.

Leitartikel ••• Von Sabine Bretschneider

WERBUNG WIRKT. Anlässlich der Wiener Tourismuskonferenz wurde der neue Auftritt der Tourismusmarke Wien vorgestellt. Werbemotto: „Wien – Jetzt. Für immer” (nachzulesen auf Seite 24 dieser Ausgabe). Die Instrumente hinter dem neuen Auftritt kommen, so gab man bekannt, aus dem „Neuromarketing”, den „Erkenntnissen der modernen Gehirnforschung”.

Kurz zur Wiederholung: Entscheidungen beruhen großteils auf unbewusst ablaufenden Prozessen. Gefühl schlägt Ratio, der Konsument bleibt im Ungewissen bezüglich seiner eigenen dem Entscheidungsprozess zugrunde liegenden Motivationsfaktoren. Subtil. Spannend. Und höchst manipulativ, wenn's denn funktioniert.
Aufregend wird die Sache, wenn wir diese Erkenntnisse mit den aus der Analyse der sogenannten Big Data gewonnenen Ergebnissen verknüpfen. Ein kurzer Ausflug in den eCommerce: Amazon hat schon 2014 ein Patent beantragt und erhalten, dass darauf abzielt, Pakete abzuschicken, bevor sie überhaupt jemand bestellt hat – „Anticipatory Shipping” nennt sich diese Herangehensweise. Amazons Algorithmen sind schon dermaßen ausgefeilt, dass der Händler als Superforecaster auftreten und die Waren ohne lästige Lieferzeit verschicken könnte. Ganz ohne Lieferzeit, wohlgemerkt. In diesem unseren Zeitalter der Gratisretouren klingt der Ansatz nicht völlig unausgegoren.
Der wirklich revolutionäre Ansatz im Marketing hieße im konkreten Fall – die smarte Verschränkung von Neuromarketing und Forecasting vorausgesetzt –, dass der Tourist schon unterwegs nach Wien ist, bevor er noch weiß, dass er überhaupt verreisen wollte. Und während ihn die Ankunft in Schwechat noch grübeln lässt, ist das Hotelzimmer gebucht, und das Rahmenprogramm läuft an.
Eine Konsequenz dieser werblichen Konzepte könnte eine Gefährdung der volkswirtschaftlichen Stabilität sein – durch eine überbordende Tendenz zum Privatkonkurs und die rapide sinkende Erscheinungsfrequenz am Arbeitsplatz. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

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