Status quo-Report zur „abgesandelten” Republik
© APA/Herbert Neubauer
PRIMENEWS 02.10.2015

Status quo-Report zur „abgesandelten” Republik

„Am gravierendsten drückt der Reformstau auf unsere Standortqualität”, wiederholt WKO-Präsident Christoph Leitl sein Mantra.

••• Von Sabine Bretschneider

WIEN. Zwar wurde des Wirtschaftskammerpräsidenten geflügelte Wendung des „abgesandelten” Standorts längst von den Entwicklungen in der Flüchtlingskrise überholt, aber die jüngsten Daten zu Konjunktur und Wettbewerbs­fähigkeit der Alpenrepublik sind eine Zwischenbilanz wert.

Ganze 22 Indizes allein zur Feststellung von Österreichs „Competitveness” etwa hat die Abteilung Wirtschaftspolitik der Wirtschaftskammer in ihrem aktuellsten Kompendium „Monitoring Report 2015” („Austria in International Rankings”) zusammengetragen. In 14 davon ist Österreich in den letzten Jahren abgestiegen, nur in dreien ging es bergauf – konkret im International Business Compass von BDO und Hamburgischem Weltwirtschaftsinstitut, im Government Debt-Index von Eurostat und im Bruttosozialprodukt- (Gross National Income) Ranking der Weltbank. Das ist gesamtheitlich betrachtet keine Auszeichnung.

Krisenmanagement reicht nicht

Die aktuellsten Daten zur Kompetitivität kommen vom Genfer World Economic Forum (WEF), das uns diesen Mittwoch eine Hiobsbotschaft übermittelte: Im neuesten Wettbewerbs-Ranking verlor die Republik zwei Plätze und liegt nun unter 140 untersuchten Ländern auf dem 23. Rang (siehe Tabelle). Das entspreche „dem in den letzten Jahren beobachteten Wachstumsrückstand”, teilte dazu Wifo-Chef Karl Aiginger mit. Der WEF-Index aggregiert 114 Indikatoren, aufgeteilt auf 12 Säulen der Wettbewerbsfähigkeit, und greift dabei auf volkswirtschaftliche Daten sowie Umfrageergebnisse aus einer „Executive Opinion Survey” (durchgeführt vom Wifo) zurück.

Bei den 12 Säulen der Wettbewerbsfähigkeit hat Österreich vor allem beim „Makroökonomischen Umfeld” eingebüßt (-12), was die derzeitige Wachstumsschwäche und Budgetentwicklung widerspiegelt. Weiters verliert Österreich u.a. bei „Finanzmarktentwicklung” vier Plätze, was auf Unsicherheiten und Finanzierungsschwierigkeiten für Unternehmen hinweist.

Die Wurzeln aller Probleme

Aigingers Tipp an die Regierung: „Nach Jahren des Krisenmanagements sollte wieder verstärkt die Standortqualität in den Mittelpunkt der österreichischen Wirtschaftspolitik rücken.” Hilfreich könnte dabei ein Blick über die Grenze sein – denn einmal mehr hat die Schweiz das Ranking gewonnen. Der wichtigste Wirtschaftspartner Österreichs, Deutschland, hat es immerhin auf Platz vier geschafft. „Andere Länder zeigen es vor: Wir müssen an den Wurzeln der Probleme ansetzen, am Arbeitsmarkt, im Bildungssystem, in der Verwaltung und bei den Pensionen”, kommentierte Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner die WEF-Ergebnisse. Die Steuerreform sei „ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung” gewesen, weitere müssten folgen. „Stichtag für die Bildungsreform ist der 17. November”, hielt er fest.

Diese „verhängnisvolle Entwicklung ernst zu nehmen”, rät die Industriellenvereinigung – „vor allem angesichts der Tatsache, dass die stetig steigenden Arbeitslosenzahlen gleichsam das direkte Ergebnis und die logische Folge jenes Abwärtstrends darstellen”. Besonders bezeichnend sei das schlechte Abschneiden Österreichs in den Kategorien „Effizienz des Arbeitsmarktes” (Platz 40) und „Flexibilität der Lohnfestsetzung” (139). Die schlechten Werte sind Wasser auf die Mühlen der Industrie, die sich eben gegen Ideen zur Einführung einer sechsten Urlaubswoche – Zankapfel in der Herbstlohnrunde der Metaller – zur Wehr setzt.

Gute Daten aus der Industrie

Am Dienstag hatten die Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS für ein atmosphärisches Hoch gesorgt: Sie ließen verlauten, dass die Wirtschaft endlich wieder an Schwung gewinnt (siehe Grafik). Heuer werden 0,7% reales Wachstum erwartet; für 2016 ist der Optimismus noch größer: Das Wifo rechnet dann mit 1,4% BIP-Plus, das IHS mit 1,6%. Allerdings ist das Phänomen der angekündigten Erholung, die dann nicht stattfindet, inzwischen leider auch ein allzubekanntes. Am Mittwoch etwa kolportierten die ORF-Radios milliardenschwere Sonderbelastungen für den Staatshaushalt durch die steigende Zahl an Asylbewerbern.

„Am gravierendsten drückt der Reformstau auf unsere Standortqualität”, wiederholte Wirtschaftskammerpräsident Leitl sein Mantra anlässlich der WEF-Zahlen. „Und einmal mehr kann man nur die Forderung nach echten und einschneidenden Schritten bei Strukturreformen erneuern.” Die Kernbereiche der Strukturprobleme seien bekannt: Arbeitsmarkt, Pensionssystem, Bildung, Bürokratie und Verwaltung.
Gute Nachrichten kommen von den Ökonomen der Bank Austria: Sie orten für Österreichs Indus­trie im September eine Trendwende nach dem schwachen August (siehe Tabelle). Die Betriebe verbuchten jetzt so starke Zuwächse an Neu- und Folgeaufträgen wie letztmals vor mehr als eineinhalb Jahren, schreiben die UniCredit Bank-Austria-Volkswirte. Der Jobrückgang der letzten Monate wurde fürs Erste gestoppt. Wermutstropfen: Von de Schwellenländermärkten könnten Dämpfer ausgehen.
Bank-Austria-Chefökonom Stefan Bruckbauer kommt nach den September-Umfragewerten zum Schluss, dass die heimische Industrie zu Beginn des Herbsts von der Erholung in Europa profitieren kann. „Wir gehen davon aus, dass die heimische Industrie im Jahr 2015 ein Produktionswachstum von rund zwei Prozent real erreichen kann.” Der Bank Austria Einkaufsmanagerindex jedenfalls ist im September auf 52,5 Punkte gestiegen, die Kennzahl erreichte damit den höchsten Wert seit eineinhalb Jahren. „Die österreichische Industrie kann damit zum Wachstumstempo der Eurozone im September aufschließen”, befand Bruckbauer.

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