Warum wir nur im Fußball auf internationalem Niveau sind
© AIC/Daniel Novotny
PRIMENEWS 12.02.2016

Warum wir nur im Fußball auf internationalem Niveau sind

Hannes Androsch spannt im medianet-Interview den Bogen von der Bildung über Industrie 4.0 bis zur aktuellen Flüchtlingsproblematik.

••• Von Reinhard Krèmer

WIEN. Hannes Androsch ist keiner, der sich ein Blatt vor den Mund nimmt. Im medianet-Exklusiv­interview sagt der Industrielle und bekennende Sozialdemokrat, wo die Stellschrauben in der Republik dringend nachgezogen werden müssen, und spannt den Bogen von der Bildung über Industrie 4.0 bis zur aktuellen Flüchtlingsproblematik.

medianet:
Welche Mängel orten Sie im Bildungssystem, wer ist Ihrer Ansicht nach dafür verantwortlich – und wie wirkt sich das auf die Wirtschaft aus?
Hannes Androsch: Alle Mängel aufzuzählen, würde den Rahmen unseres Interviews sprengen. Ich greife daher nur ein Beispiel heraus, an dem sich aber die ganze Dramatik unserer Situation, aber auch die Verantwortungslosigkeit unserer Bildungspolitik ablesen lässt: Jedes Jahr verlassen Tausende junge Menschen die Pflichtschulen, wovon rund 30 Prozent nicht hinreichend lesen, schreiben und rechnen können und daher zu keinem Abschluss kommen und zu keiner Lehre befähigt sind. Das sind dann die Arbeitslosen, die Sozialhilfeempfänger von morgen. Schon jetzt über 80.000! Seit Jahren. Junge Menschen ohne Chance auf ein selbstbestimmtes Leben, ohne Zukunft.

Während in der globalisierten Welt über die wachsende Intelligenz der Maschinen und deren Folgen diskutiert wird, dümpeln wir noch immer im Bildungssystem Maria Theresias herum … Selbst die erst jüngst groß angekündigte Bildungsreform der Bundesregierung blieb wiederum im Kompetenzstreit Bundesregierung – Landeshauptleute und Lehrergewerkschaft stecken.


medianet:
Wie ließe sich der Abstieg Österreichs stoppen?
Androsch: Seit dem Start des Volksbegehrens 2011 ist die Diskussion um die Notwendigkeit einer umfassenden Bildungsreform nicht mehr verstummt. Dutzende Organisationen, Elternverbände, Bildungsexperten bis hin zu Rechnungshof und Industriellenvereinigung fordern: ‚Wir brauchen eine Bildungsrevolution'.

medianet: Die aber nicht kommt …
Androsch: Die Zukunftsorientierten, Vorausschauenden, sich um die Chancen von Jugend und Österreich Sorgenden in Regierung, unter den Landeshauptleuten – ja, auch solche gibt es! – oder im Parlament können sich trotz großer Anstrengungen nur im Trippelschritt gegen die hartnäckigen Blockierer vorwärts bewegen.

Aktuell wird treffend das Ergebnis der Bildungsklausur folgendermaßen zusammengefasst: ‚So wurde die Blechdose trotz einiger positiver Ansätze wieder einmal nur ein Stück – ein kleines Stück – weitergekickt.'
Im Fußball konnten wir inzwischen weitestgehend an das internationale Niveau aufschließen: Durch Modernisierung der Ausbildung und des Trainings, gezielter Talenteförderung und Stärkung der Leistungsbereitschaft.


media
net: Welche Maßnahmen sollten die Regierenden zur Stützung der Wirtschaft setzen?
Androsch: Wir erleben derzeit – weltweit – den Beginn der vierten industriellen Revolution; ‚Big Data' nennen es die Experten, Wissenschaftler und Fachjournalisten. Was noch vor Kurzem Science Fiction war, wird explosionsartig unseren Alltag bestimmen, unsere Arbeitswelt verändern: Industrie 4.0 führt zu Arbeit 4.0. Das heißt: Maschinen werden intelligenter, autonomer, selbststeuernd und selbstlernend werden. Sich dagegen angstvoll zu widersetzen, erinnert an den Aufstand der Weber gegen die Webstühle.

Die Erfahrung seither lehrt uns: Es wird nicht weniger Arbeit geben, es wird andere Arbeit geben, qualifiziertere. Daher gilt es, alle Bestrebungen auf Bildung, Ausbildung und Weiterbildung auszurichten. Ich kann nur immer wieder dringend davor warnen: Es wäre ein tödlicher Weg in die Sackgasse – das lehrt uns die historische Erfahrung –, wollten wir gegen Digitalisierung und Robotisierung zu mobilisieren versuchen. Im Gegenteil: Wir müssen alles unternehmen, um den Anschluss an die uns überholende Entwicklung zu finden. Wir brauchen eine Politik 4.0, weil Politik 0.0 Selbstmord bedeutet.


medianet:
Zur aktuellen Flüchtlingsproblematik: Könnte darin auch ein Nutzen für die Wirtschaft liegen? Wenn man an gebildete Zuwanderer denkt, an die Sicherung des Pensionssystems …
Androsch: Um 1900 lebten in Europa noch 19 Prozent der Weltbevölkerung – heute nur mehr sieben Prozent. Ohne Zuwanderung würde der Anteil der europäischen Bevölkerung auf vier Prozent absinken, Europa würde in der Bedeutungslosigkeit versinken.

Daher muss uns endlich klar werden, dass die Schwierigkeiten, die wir derzeit zu bewältigen haben, damit zusammenhängen, dass die Weltpolitik in Europa angekommen ist. Sich darauf vorzubereiten – durch eine gemeinsame Wirtschafts-, Sicherheits-, Außen- und Verteidigungspolitik –, hat Europa versäumt. Allein aus geopolitischen Gründen hätte zum Beispiel die Türkei längst als europäischer Staat Anerkennung finden müssen. Nur mit diesen Voraussetzungen wird es in Syrien, bzw. im gesamten Nahen Osten möglich sein, wieder Frieden herzustellen. Und das im Interesse unserer eigenen Sicherheit.


medianet:
Was ist Ihnen sonst zurzeit noch ein wichtiges Anliegen?
Androsch: Beide Regierungsparteien haben nahezu jede der letzten zwanzig Wahlen verloren, zuletzt die SPÖ Wien aber deutlich weniger als etwa zeitgleich die ÖVP in Oberösterreich. Die anderen Wahlen fanden zum Teil Jahre vor dem Flüchtlingsansturm bzw. dem Flüchtlingsdurchzug statt.

Somit hatten die Verluste wohl hauptsächlich andere Ursachen – wie etwa die Verschlechterung der Wirtschaftslage, die Verringerung der Wettbewerbsfähigkeit Österreichs, die zunehmende Schief­lage der öffentlichen Haushalte, die bestehende Reformunfähigkeit und Reformunwilligkeit, die ungehemmte Regulierungswut und Überbürokratisierung. Die beiden Regierungsparteien bekamen somit vor allem die Rechnung für Realitätsverweigerung und Zukunftsvergessenheit präsentiert.


medianet:
Was also muss jetzt passieren?
Androsch: Es müssen endlich Zukunftsperspektiven und Zukunftsorientierung geboten und die Bereitschaft zur mutigen und entschlossenen Umsetzung von überfälligen Reformen erkennbar werden.

Und wenn Sie mir zum Abschluss noch einen Ratschlag an unsere Generation der Zukunft ermöglichen, erlaube ich mir festzuhalten: Auf keinen Fall die Schule ohne erfolgreichen Abschluss verlassen. Das Gegenteil ist zukunftssichernd, also: Die bestmögliche Ausbildung anstreben, Erfahrungen sammeln, sich engagieren, sich kreativ und innovativ entfalten. Dazu gehört auch, die angepeilten Ziele beharrlich und mit Entschlossenheit zu verwirklichen.
Der Politik muss unentwegt abverlangt werden, der Bildungspolitik und Wirtschaftspolitik absolute Priorität einzuräumen. Diese sind unverzichtbare Grundlagen einer tragfähigen Sozialpolitik. Nur auf diesem Weg wird man den Menschen, vor allem den Jüngeren, Orientierung, Halt und Hoffnung geben. Und Vertrauen schaffen. Dann werden auch wieder Wahlen gewonnen werden können.

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