Agieren Supermärkte am Kundenwunsch vorbei?
© APA/dpa-Zentralbild/Jens Wolf
RETAIL christian novacek 31.03.2017

Agieren Supermärkte am Kundenwunsch vorbei?

Linzer Marktforschungsunternehmen Whitebox befragte 1.100 Konsumenten über ihre Wünsche.

••• Von Christian Novacek

Die wahren Fundstücke einer Studie liegen mitunter im Detail: „Ich wünsche mir, dass es im Supermarkt ein Gemüse/Obstregal gibt, wo alle regionalen bzw. österreichischen Produkte angeboten werden und das auch sehr deutlich erkennbar ist. Mit einem Slogan in Richtung geringe Transportkosten, kurze Transportwege, ökologischer Fußabdruck, Förderung der heimischen Landwirtschaft”, antwortet ein vom Linzer Marktforschungsunternehmen Whitebox befragter Konsument auf die Frage nach seinem dringlichsten Kundenwunsch. Die Befragung der Österreicher von Whitebox zu ihren Einstellungen und Wünschen beim täglichen Lebensmitteleinkauf erfolgte im Februar – und lieferte überraschende, teils unerwartete Ergebnisse. Wobei der Lebensmittelhandel als Nr. 1-Adresse für regionale und landwirtschaftliche Produkte gut ankommt – für mehr als die Hälfte (55%) bietet er eine ausreichende Angebotspalette. Allerdings ist die Gemeinschaft der Unzufriedenen gleichfalls unübersehbar: 35% sind teils-teils und acht Prozent eher nicht zufrieden mit dem, was ihnen der Supermarkt vorsetzt.

Leben neben dem LEH

Ergo gibt es den nicht ganz lauten, aber dennoch wahrnehmbaren Wunsch nach alternativen Bezugsquellen abseits des klassischen Lebensmittelhandels. Mehr Angebots- und Distributionsvielfalt ist gefragt – und hinter den Potenzialen, die sich hier auftun, steht eine monetär aufgeschlossene Kaufbereitschaft: „Rund 80 Prozent aller Österreicher sind bereit, für österreichische Produkte vom Bauernhof mehr zu bezahlen”, erläutert Daniela Höllerbauer, Geschäftsführerin von Whitebox. Sie führt weiter aus: „Das Einkaufen auf Märkten wie dem Naschmarkt, dem Brunnenmarkt oder Karmelitermarkt hat in Wien mit 20 Prozent Bedeutung einen rund drei Mal so großen Stellenwert wie in Restösterreich.”

Wobei das übrige Österreich in Sachen Greifbarkeit von frischem Obst & Gemüse oder auch Bauernspeck oder Eiern der Bundeshauptstdt nicht unbedingt nachhinkt: Dort füllen halt die Direktvermarkter, also zumeist die Bauern selbst, die regionale Lücke aus, welche die Supermärkte derzeit noch offen lassen.
Eher unerwartet: Die Präferenzen bei der Frische sind nicht nur beim Gemüse stark ausgeprägt (für 68% wichtig); noch vor der Frischmilch brauchen Herr und Frau Österreicher offenbar das frische Ei. Ganz schnell – an zweiter Stelle der Nennungen – fiel den Befragten Fleisch als landwirtschaftliches Produkt ein. Sichtlich ist die Erdung hierzulande gegeben, und man ahnt durchaus, dass ein Chicken Nugget bei McDonald's dereinst im Hühnerstall beheimatet war.

Ärgernis Foodwaste

Die beiden wichtigsten Themen im Zusammenhang mit dem Einkauf von Lebensmitteln sind die Wegwerf-Thematik Foodwaste und das Informationsbedürfnis hinsichtlich Herkunft und Herstellung. Beide sind in der sogenannten Top-2-Box, welche die sehr wichtigen und wichtige Nennungen summiert, mit je über 90% überdimensional ­präsent.

Dass Foodwaste unseren Alltag so kräftig verwüstet, liegt nicht zuletzt an der Aktionspolitik des Lebensmittelhandels. Lock-angebote wie „1 plus 1 gratis” oder 25 Warengruppenrabatte führen zu einer Bevorratung, die dem Verzehr jedenfalls weit voraus ist – am Ende des Tages wird weggeworfen. Das schlechte (eigene) Verhalten bleibt aber von den Konsumenten nicht unreflektiert: Dass Wissen um die eigene Unvernunft evoziert Ärger und schlechtes Gewissen. Auch AMA-Chef Michael Blass, der vor Kurzem die Frische­einkaufsgewohnheiten mit der RollAMA unter die Lupe genommen hat, hält die Aktionspolitik des LEH in diesem Punkt für wenig zielführend: „All die Aktionsaktivitäten führen aus unserer Sicht nicht zu einem Wechsel der Einkaufsstätten.” Und genau der sollte doch via Preisaktion erreicht werden? Oder ist es tatsächlich anders, und der LEH will seine Kunden optimalst in eine Wegwerfgesellschaft inte­grieren – die Antwort dazu liegt wohl im Graubereich, der aber bei 1+1 gratis-Aktionen bei Gemüse – insbesondere: Zucchini – schon längst eine dezente Rotfärbung verpasst bekommen hat.

No-Go Etikettenschwindel

Was für den Konsumenten in den letzten Jahren augenscheinlich an Wichtigkeit zugelegt hat – und jetzt, anlässlich der Whitebox-Studie, evident außerordentlich wichtig scheint (91% Top-2-Box-Nennungen) – ist der Informationsbedarf. Dem wird am Etikett gesetzlich definiert ausreichend nachgegeben, mitunter aber in Schriftgrößen, die kaum entzifferbar und in Sprachcodes (Stichwort: E-Nummern), die im Stegreif nicht dechiffrierbar sind.

Kurzum: „Bezüglich Aufklärungsarbeit ist noch gewaltig Luft nach oben”, ist Whitebox- Studienautorin Sabine Postlmayr überzeugt. Regionalität und Frische gehen in keinster Weise mit Etikettenschwindel einher, missbrauchtes Vertrauen wird zuverlässig mit Ignoranz bestraft, oder, wie Postlmayr es positiv ausdrückt: „Offene und ehrliche Informationen werden mehr als gefordert.”
Betrachtet man lediglich die Nennungen der Top-Priorität, sieht man überdies, dass Frauen den Informationsbedarf über unsere Lebensmittel gleichauf mit der Wegwerfproblematik an erster Stelle haben. In LEH und Lebensmittelindustrie ist das Thema ebenfalls heftig durchgekaut. Die Industrie will einer von der EU angedachten Ampelverordnung (rot, gelb und grün gekennzeichnete Produkte, wobei die Farbe auf den jeweiligen Fett- und Zuckergehalt hinweist)zuvorkommen. Sie kennzeichnet teils in eigenhändiger Selbstdarstellung, wobei sich die ebenso auf die Eigenwilligkeit der jeweils betroffenen Portionsgrößen bezieht. Der Handel will in der Angelegenheit auch nur ungern Farbe bekennen – und verweist auf die Mündigkeit des Konsumenten; diese Mündigkeit würde man ihm in Form der vereinfachten Lebensmittelampel eher absprechen. Wie man es dreht und aus welchem Blickwinkel heraus auch immer betrachtet: Klar ist (und das belegt die aktuelle Whitebox-Studie): Am vorhandenen Informationsbedürfnis des Konsumenten wird sich nicht unseriös vorbeirudern lassen.

Saisonal einkaufsfreudig

Regionalität, Saisonalität und free from … folgen den beiden Hauptthemen. Österreicher kaufen in der Umgebung – in der Region, in der sie leben. Was früher eine No na-Kondition war, steht heutzutage für das wachsende Bewusstsein für saisonale Produkte; im Vergleich zu früher ist es enorm gewachsen. Man schätzt auf der einen Seite die Angebotsvielfalt der Landwirtschaft und andererseits hat man sich davon verabschiedet, Spargel, Marillen oder Erdbeeren ganzjährig auf dem Einkaufs­zettel haben zu wollen.

Saurer Süßstoff

Mit 75% Wichtigkeit ist das Thema Zusatzstoffe – beziehungsweise, welche Inhaltstoffe nicht enthalten sind – sehr stark im Konsumentenbewusstsein verankert. Mediale Dauerbombardierung in Sachen Schädlichkeit spezieller Inhaltstoffe hallen beim Konsumenten in passabler Lautstärke nach. Der damit einhergehende Konsumentenwunsch nach natürlichen Zutaten sollte laut Whitebox durchaus zur ehrlichen, authentischen Produktion von Lebensmitteln führen. „Diejenigen, die diese Trends erkennen, werden am Ende des Tages die Nase vorn haben”, ist Höllerbauer überzeugt.

Über 50% Bedeutung in der Top-2-Box erreichen die Bereiche klimaschonende Produktion und kurze Transportwege sowie Bio. Aus Sicht der Marktforschung ist man mit derartigen Prozentwerten aber bereits in einer stark zielgruppendifferenzierenden Betrachtungsweise. Ebenso verhält es sich mit Präferenzen für Vollkornprodukte oder vegane Produkte, die in ihren jeweiligen Kernzielgruppen Bedeutung besitzen, darüber hinaus aber kaum. Bei Trends stehen Güte­siegel laut Whitebox-Interpretation etwas im Hintergrund – zurückzuführen sei dies unter Umständen auf die Verwirrung bezüglich zu vieler Gütesiegel am Markt. AMA-Chef Michael Blass sieht dabei das AMA-Gütesiegel jedenfalls jenseits der Verwirrung: „Das AMA-Gütesiegel steht für Markenkraft und ist am Höhepunkt seiner Entwicklung. Es hat das erreicht, was ein Gütesiegel bestenfalls erreichen kann.”

Alternativen zum Supermarkt

Mit 84% nimmt der Einkauf im Supermarkt die beherrschende Position ein. Spannend wird indes die Beurteilung alternativer Vermarktungsschienen. Die Aussage der Nicht-Wiener, auf Bauernmärkten, in Spezialgeschäften oder direkt beim Bauern zu kaufen, fällt aufgrund ihrer unmittelbaren Nähe zu den ruralen Leckerlis naturgemäß schwerer ins Gewicht als in Wien. Dort wiederum stellt beim Einkauf auf Märkten der Slogan „Wien ist anders” seinen Wahrheitsgehalt unter Beweis. Drei Mal mehr geben hier die Wiener an, auf ihren Märkten wie dem Naschmarkt, Brunnenmarkt oder Karmelitermarkt einkaufen zu gehen, als in den anderen Bundesländern.

Potenzial eCommerce?

Das Online-Geschäft mit Lebensmitteln rangiert – im ­Übrigen ebenso realitätsnah wie visionsfern – in der Whitebox-Studie mit 1.100 online Befragten (mehr Frauen als Männer) an letzter Stelle. Allerdings ist der eCommerce in manche Warengruppen so weit vorgedrungen, dass Gewürze, Wein, Geschenkboxen, alkoholfreie Getränke und Teigwaren zusehends (und mit guten Prozentwerten versehen) online bestellt werden. Hinzu kommt der Convenience-Aspekt: Bierkisten nach Hause geliefert bekommen, ist leichter als selber zu schleppen. Künftig wird diese Convenience an Bedeutung zulegen.

Nicht zuletzt hat die Marktperformance anderer Branchen einen Weg gewiesen: Wer hätte gedacht, dass Mode oder Schuhe – die man anprobieren muss, die passen müssen – verstärkt online nachgefragt werden und zum ernstzunehmenden Mitbewerb für den stationären Handel avancieren?
Das Verlangen nach alternativen Bezugsquellen neben dem Lebensmittelhandel wurde bei der offen gestellten Frage, wo man Frischeprodukte sonst noch herbekommt, dieserart illustriert: Acht Prozent nannten die Zustellung ihrer Bio-Kiste, Obst- und Gemüse-Kiste, etc. Eher erstaunlich war der Hinweis auf Selbstversorgung aus dem eigenen Garten oder Balkon – sowie der Einkauf auf Lebensmittelmessen.

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