••• Von Paul Hafner
Bei der recht kurzfristig einberufenen Pressekonferenz der selbstständigen Kaufleute geht es ungewohnt emotional zu. Christian Prauchner, Bundesobmann des Lebensmittelhandels in der WKÖ und seit 27 Jahren Spar-Kaufmann, hält es nicht mehr am Sessel, er „muss aufstehen” – und spricht zunächst von der „großen Wertschätzung”, die man 2020 in der Branche widerfahren habe, als man zu den „Helden der Pandemie” erklärt worden sei. Zwei Jahre später drohe den Helden der Pandemie nun der (wirtschaftliche) Exitus: Die Kombination aus drastischen Preissteigerungen, die man „gar nicht vollumfänglich an die Konsumentinnen und Konsumenten weitergibt”, und „explodierenden Energiekosten” lasse Hunderte Nahversorger in „massive wirtschaftliche Bedrängnis geraten”.
Nah&Frisch-Geschäftsführer Hannes Wuchterl ergänzt: „Vor wenigen Monaten waren wir ,kritische Infrastruktur' – das, was jetzt passiert, ist die Zerstörung der kritischen Infrastruktur.” Verschwinde das kleine Lebensmittelgeschäft, verschwinde in vielen Orten auch das Angebot an Postdienstleistungen – man stehe „nicht nur vor einer großen wirtschaftlichen Herausforderung”, es handle sich um eine „gesellschaftliche Bedrohung für das Leben am Land, wie wir es heute kennen”. Selbstständige Lebensmittelhändler in kleinen Gemeinden seien „oft auch der letzte soziale Treffpunkt, den die Menschen in diesen Dörfern noch haben”. Sein Appell: „Es ist genug geredet worden. Die Politik muss endlich ins Handeln kommen. Wir brauchen jetzt sehr, sehr schnelle Lösungen und Hilfen.”
Rote Zahlen unausweichlich
Um zu veranschaulichen, wie ernst die Lage ist, rechnet Prauchner vor: Heuer würde die Stromrechnung für seine drei Betriebe in Niederösterreich 131.000 € ausmachen, 2023 kommen nach aktueller Kalkulation 499.000 € auf ihn zu – die Mehrkosten von 368.000 € bedeuten für Prauchner statt einer Gewinnerwartung von rund 150.000 € einen Verlust von 218.000 €. „Diese Preise sind nicht mehr verdienbar. Die Helden werden sterben”, resümiert Prauchner.
Einen Schritt weiter geht Wolfgang Benischko, Vizeobmann des Lebensmittelhandels und Nah&Frisch-Kaufmann: „Meine Perspektive ist, dass ich – nach zwanzig Jahren als selbstständiger Kaufmann – mit Schulden in Pension gehen muss.” Sollte sich keine Lösung abzeichnen – eine Senkung des Strompreises oder schnell greifende Hilfs-pakete –, werde er mit 31. Demember zusperren.
Kein Säbelrasseln
„Wir werden Ende 2023 über 1.000 Gemeinden in Österreich haben, die keinen Nahversorger mehr haben”, prognostiziert Andreas Haider, Eigentümer und Geschäftsführer der UniGruppe. Fünf seiner 70 Unimarkt-Franchisenehmer hätten bereits ihre Verträge gekündigt – mangels wirtschaftlicher Perspektive. Das Nahversorgersterben hat also längst begonnen.
Mit einer Gewinnmarge von „durchschnittlich einem Prozent” bewegt sich der LEH am unteren Ende der Umsatzrentabilitätsskala des Einzelhandels; den Anstieg der Stromkosten schätzt Christof Kastner, geschäftsführender Gesellschafter der Kastner Gruppe und ebenfalls Vizeobmann des Lebensmittelhandels, von rund einem auf über vier Prozent – „das kann sich nicht mehr ausgehen”. Vielen Kaufleuten stelle sich somit die Frage: „Gehe ich in Insolvenz – oder bin ich rechtlich im Eck, Stichwort fahrlässige Krida”?
LEH-Landschaft
Die Zahl der von selbstständigen Kaufleuten betriebenen Standorte in Österreich, die über die Handelshäuser Adeg, Nah&Frisch, Spar, Unimarkt und Sutterlüty organisiert sind, beläuft sich auf 1.600 Geschäfte, die Zahl der dort Beschäftigten auf 14.500 Mitarbeiter. Hinzu kommen 2.500 unabhängige (= nicht über Handelsorganisationen strukturierte) Einzelhändler, u.a. Greißler und Bio-Läden.
„Wenn es nicht bald zu wirksamen Unterstützungsmaßnahmen kommt, werden viele dieser insgesamt mehr als 4.000 selbstständigen Kaufleute für immer schließen”, warnt Prauchner vor der „dauerhaften Vernichtung der über Jahrzehnte hinweg etablierten Nahversorgungsstruktur”, die gerade im ländlichen Bereich sehr wichtig sei.
„Dann kommt der Tsunami”
„Wenn einem Unternehmer die Perspektive fehlt, stellt sich zwangsläufig die Sinnfrage: Warum soll ein Kaufmann weiter sein eigenes Geschäft betreiben, wenn ein Jobwechsel – als Angestellter mit fünf Wochen Urlaub, maximal 40 Stunden Arbeitszeit, ein 13. und 14. Gehalt – lukrativer ist? Wenn wir nicht bald Signale von der Regierung bekommen, dass hier das Unternehmersein noch Sinn macht, kommt der Tsunami”, schlägt Haider Alarm
„Wir wissen, in Österreich gibt es 600 Gemeinden, die derzeit keinen Nahversorger mehr haben – keinen Bäcker, keinen Fleischer und auch keinen Kaufmann. Ich traue mich hier und heute zu behaupten: Wenn keine entsprechende Unterstützung kommt, werden wir Ende 2023 deutlich über 1.000 Gemeinden haben, die keinen Nahversorger mehr haben”, schließt Haider.
Die Uhr tickt
Um ein drohendes Nahversorger-Massensterben abzuwenden, brauche es deren Vertretern zufolge dringend Zugang zu leistbarer Energie: „Wir sprechen uns für die zügige Umsetzung einer Strom- und Gaspreisbremse für Unternehmen nach deutschem Vorbild auch in Österreich aus”, fasst Prauchner zusammen. Bezahlen Betriebe „von vornherein leistbare Preise für Energie”, erspare man sich ein „kompliziertes, nachträgliches Zuschussmodell, welches die Liquiditätssituation insbesondere der kleineren Betriebe völlig außer Acht lässt”.