••• Von Christian Novacek
Die Information des Handelsverbandes ist präzise: In Österreich ist der Handel nach Anzahl der Unternehmen (77.600) und Nettoumsatz (239 Mrd. €) der größte Wirtschaftssektor sowie mit 588.000 unselbstständig Beschäftigten der zweitgrößte Arbeitgeber. Im Einzelhandel sind derzeit 329.000 Personen tätig, davon allein 130.000 im Lebensmitteleinzelhandel. Die Top 100 Einzelhandelsunternehmen Österreichs erwirtschaften gemeinsam einen Umsatz von rund 36 Mrd. € – und damit mehr als die Hälfte des gesamten Einzelhandelsumsatzes in ganz Österreich.
Wirtschaftsfaktor LEH
Umsatzstärkste Branche ist der Lebensmitteleinzelhandel (LEH). Er steht mit 20,5 Mrd. € für 55% des Umsatzes der Top 100 Retailer – so hat es der Handelsverband heuer erstmals erhoben. Das Ranking der größten Händler des Landes wird ebenfalls von den „Big 4” des LEH – Rewe, Spar, Hofer und Lidl – angeführt.
„Diese Zahlen sind ein Beleg für die überragende Bedeutung des Einzelhandels und insbesondere des Lebensmitteleinzelhandels in Österreich”, sagt Handelsverbands-Geschäftsführer Rainer Will. Er liefert die griffigen Stichworte für die Bedeutungsaufladung: Versorger für die Konsumenten, Jobmotor, Ausbilder für die Mitarbeiter, Spender von Lebensqualität und nicht zuletzt verlässlicher Partner für die heimischen Landwirte sowie für die Produktions- und Verarbeitungsbetriebe entlang der Wertschöpfungskette.
Etwas differenziert ist zurzeit die Sache mit der Qualität der Lebensmittel: Österreichische Lebensmittel haben einen guten Ruf, sodass sie in über 185 Länder weltweit exportiert werden. Allerdings geht der aktuelle Trend in Richtung Angleichung an EU-Maßstäbe – die oft geringer gefasst sind als die Österreich-Standards.
Das Thema Eigenmarken sehen Händler naturgemäß anders als die Industrie: Für den einen ist es ein Innovations- und Wertschöpfungsbereich, für den anderen mitunter eine Wertschöpfungsblockade.
Gegessen wird offline
Spannend ist im Moment die Suche nach den richtigen Strategien zwischen den Polen Online und Offline. Unter dem Codenamen Kosmetisierung werden nicht nur Filialen aufgehübscht, manche werden komplett wegretuschiert. Overstoring ist ein Problem – und es wird in Zukunft nicht kleiner; jedenfalls dann nicht, wenn erträumte Onlineumsätze mit Lebensmitteln tatsächlich Realität werden sollten.
Konvergenz-Hypothese
Aber es gibt noch die Verlagerung in die Gegenrichtung, die hochinteressant dünkt. Handelsexperte Prof. Peter Schnedlitz von der WU Wien benennt sie als „Konvergenz-Hypothese”. Sie sagt: Je mehr sich der Online-Handel auf den Bereich Frische einlässt, desto mehr muss er sich strukturell dem stationären Handel annähern.
Das aktuelle Beispiel dafür liefert die Kooperation zwischen Amazon und Monoprix in Frankreich. Offen ist die Frage: Wer könnte sich wohl in Österreich dafür hergeben, seine Frischekompetenz mit Amazon-Gütesiegel zu versehen?