„Dumpstere nicht aus Not, sondern zum Zweck”
RETAIL natalie Oberhollenzer 13.03.2015

„Dumpstere nicht aus Not, sondern zum Zweck”

Essen aus dem Mist Ein Mülltaucher erzählt, wie und warum er sich seine Lebensmittel nachts aus den Tonnen fischt

Der Wiener Ludwig U. ist immer wieder überrascht, wie viel intakte Lebensmittel weggeworfen werden.

Wien. Die Wiener nennen es „Mistkübelstierln”, unter den Jüngeren haben sich die Begriffe Dumpster Diving oder Containern durchgesetzt. Sich Lebensmittel aus dem Müll der Supermärkte zu holen, wird nicht immer aus der Not heraus praktiziert. Viele tun es schlichtweg, weil es zweckmäßig ist. So wie Ludwig U., der vor sieben Jahren mit dem Containern angefangen hat.

„Ich mache es, weil es möglich ist. Weil so viel gutes Zeug weggeworfen wird”, sagt er. Immer wieder geht der 28-Jährige nachts in die Müllräume bestimmter Supermärkte, schnürt einen Mistsack nach dem anderen auf, wühlt sich durch und fischt allerhand brauchbare Lebensmittel heraus. Diesmal sind Fruchtjoghurts dabei, bei denen bloß die Verpackung ein wenig verbeult ist, Paprika („bei den Tricolore braucht nur eine schlecht sein, dann schmeißen sie gleich alle weg”), verpackte, abgelaufene Kräuter, die noch in Ordnung sind, Spaghetti und, fast jedesmal, Bananen. „Wenn ich bestimmte Produkte finde, dann freue ich mich wie über Weihnachten”, sagt Ludwig. Ihm macht es richtig Spaß, in den Säcken herumzuwühlen. Den anfänglichen Ekel hat er schnell überwunden. Vielmehr ist er immer wieder überrascht, wie viel intakte Lebensmittel weg-geschmissen werden.

Die Vielfalt liegt im Müll

Eierpackungen, bei denen eines aufgesprungen ist, fertige Brötchen, die ohne letschertes Salatblatt noch richtig gut schmecken, Obst und Gemüse je nach Saison, nicht selten sind auch exotische Südfrüchte dabei. „Man ernährt sich mit der Methode viel abwechslungsreicher als ob man einkaufen würde. Oft findet man Dinge, die man sich nie ins Wagerl legen würde: ausgefallene Käsesorten oder bestimmte Gemüsearten.” Nur Fisch und Fleisch würde er sich nicht aus den Kübeln holen. Erstens, weil er Vegetarier ist, und zweitens, weil solches Essen gefährlich sein kann, wenn es ungekühlt irgendwo herumliegt. Auch auf Trauben verzichtet er: „Die nehmen eigenartigerweise den Müllgeschmack sehr stark auf.”In der Regel geht Ludwig allein Dumpstern, manchmal noch mit einer anderen Person. „Bei mehr als zwei Leuten ist man sich in den kleinen Müllräumen nur im Weg.” Das Wühlen und Aussuchen selbst kann schon gut eine Stunde in Anspruch nehmen. Immerhin wird jeder Sack inspiziert und nachher wieder zusammengeschnürt und in die Tonne geworfen. „Das ist mir wichtig, dass ich alles wieder sauber hinterlasse. Ich will nicht provozieren”, erklärt er den Ehrenkodex der Dumpster Diver.

Gut vernetzte Szene

Manchmal stößt er dennoch auf Widerstände. „Es kommt vor, dass Mitarbeiter Verpackungen nochmal extra aufreißen und Putzmittel darüberschmieren”, erzählt der Wiener. Doch auch die Seinesgleichen haben sich organisiert: In einer Gruppe im Internet halten sich die Containerer regelmäßig auf dem Laufenden; unterrichten die anderen darüber, bei welchen Märkten es Probleme gibt und wo weniger. Das wichtigste Accessoire eines Dumpsters ist der Generalschlüssel, der einem den Zutritt zu den Müllräumen der Supermärkte verschafft. Der Schlüssel ist in der Szene recht einfach zu besorgen, wenngleich nicht immer auf legalem Wege (s. Substory). Das ist Ludwig aber schnuppe. Im Gegenteil: Er freut sich darüber, dass er letztens sogar seine Mutter dazu gebracht hat, Sachen aus Mistkübeln mitzunehmen.

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