Ein Traum von China und Design
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RETAIL Redaktion 03.11.2023

Ein Traum von China und Design

Barbara Seidelmann, Managing Director und Gründerin von 5 Star Plus Retail Design, über eine wenig bekannte Disziplin.

••• Von Oliver Jonke und Georg Sohler

Retail Design ist in Österreich nicht wirklich bekannt. Oftmals geht es beim Design von Verkaufsräumen oder Messeständen in erster Linie um funktionelle und leistbare Lösungen. Die Ästhetik dahinter, die Überlegungen, was ein Verkaufsraum über eine Marke aussagt oder aussagen kann und soll, tritt in den Hintergrund. „Marken müssen authentisch sein, um sich stark zu präsentieren”, weiß Barbara Seidelmann, Gründerin und Managing Director von 5 Star Plus Retail Design. Unternehmen müssen den eigenen Wert kennen – einfach nur Produkte zu verkaufen, das sei zu wenig: „Eine Brand muss wissen, wo sie in den nächsten fünf Jahren hin will und wie das dargestellt werden soll.”

Seidelmanns Unternehmen bietet genau dieses Service an, mit langer Erfahrung. Retail Design ist die Schnittstelle von Marketingstrategie und Innenarchitektur. „Das heißt, wir erstellen Konzepte für Shops, Restaurants, Messestände und Events und setzen sie um”, erklärt sie im Interview mit media­net-Herausgeber Oliver Jonke.

Anruf aus Fernost

Um heute wieder in Europa zu sein und für international bekannte und erfolgreiche Kunden wie UGG, Swatch oder Volkswagen diese Retail Design-Ideen umzusetzen, brauchte es aber einige Zeit und eine durch Zufälle geprägte Geschichte. Grundsätzlich gilt: „Ich bin ein Mensch mit viel Energie, der sich viel für internationale Ansichten, Aspekte und Kulturen interessiert. Ich hatte immer den Drang, Neues zu erleben und zu lernen.” Und das zieht sich durch.

In Wien in den 1980er-Jahren in eine kreative Künstlerfamilie hineingeboren, gingen ihre Schwester und sie bei den Nachbarn ein und aus. Diese stammten aus Taiwan und sind heute noch gute Bekannte. „So kam ich sehr früh mit chinesischer Kultur, Kulinarik und Lebensweise in Kontakt”, erinnert sie sich zurück. „Wir waren als Teenager auch in Taiwan. Das hat mich beeindruckt, es war bunt, vielfältig und inspirierend.” Doch zunächst führte sie ihr Weg in die andere Richtung. Gegen Ende des Studiums der Internationalen Betriebswirtschaft an der Universität Wien verbrachte sie einige Zeit in Spanien. Dort manifestierte sich der Wunsch, nach China zu gehen. Zurück in Wien, schrieb sie Bewerbung um Bewerbung, erhielt aber keine Antwort. Da sie auch Arabisch lernte, entschloss sie sich, sich etwas näher der Heimat zu bewerben. Zwei Tage nach einer Job-Zusage der deutschen Außenhandelskammer in Casa-blanca klingelte das Telefon: Siemens, Zweigstelle Peking.

Erfahrung sammeln

Für den deutschen Technologieriesen war sie im Knowledge- und Innovation Management des Mobiltelefonbereichs tätig. Die Sparte wurde letztlich abgestoßen, Seidelmann verblieb bei Siemens, um Joint Ventures bei der Prozessintegrierung zu unterstützen. Ein wichtiger Puzzlestein, wenn auch persönlich unbefriedigend: „Ich kam mir vor wie ein kleines Rädchen in einem großen System, konnte die Resultate meiner Arbeit nicht sehen, bin mir verloren vorgekommen.”

Da kam eine Stellenausschreibung von Frey Wille in Hongkong zum richtigen Zeitpunkt. Dort, so vermutete sie, könne sie ihr Arbeitsprinzip „Hands-on” ausleben. Das Schmuck- und Accessoire-Unternehmen nahm sie unter Vertrag und schickte sie wieder zurück nach Peking. Mit – noch – ausbaufähigem Chinesisch sollte sie in der Metropole die Shops der Franchisepartner der Reihe nach übernehmen und eigene Stores eröffnen: „Ich habe am Anfang alles allein gemanagt, auch Behördenwege zu Bank und Finanzamt. Nach und nach haben wir die Shops übernommen und ich habe neue Leute eingestellt und eingeschult. Es waren spannende Jahre und so bin ich in den Retail-Bereich gekommen.” Mit dem hochklassigen Arbeitgeber war alles angerichtet.

Kreativ sein

Bei Siemens hat sie viel über Prozesse und Marketingstrategien gelernt, bei Frey Wille über Retail Operations, das Eröffnen und Betreiben von Shops und das Marketing. „Weil ich eben aus einer kreativen Familie komme, war ich zu dem Zeitpunkt die Einzige, die in einem Büro gearbeitet hat und nicht künstlerisch tätig war. Dieser kreative Aspekt hat mir immer gefehlt”, meint sie. Das in Wien abgebrochene Architekturstudium nahm sie im Bereich Innenarchitektur während der Zeit bei Frey Wille wieder auf, um auch die kreative Seite in ihrer Arbeit zu stärken.

Denn vor allem auf den Shop-Baustellen war ihr aufgefallen, dass Retail Design nicht nur in Österreich weitgehend un­bekannt ist, sondern auch in China. Design wurde im Retail schlicht mit Engineering gleichgesetzt.
Mit ihrer kreativen Arbeitsweise sollte sich das ändern, ihr schnell wachsendes Netzwerk führte dazu, dass ihre neu gegründete Firma nach und nach mehr Aufträge bekam.

Große Kunden

Was letztlich im Juni 2012 mit Pro bono-Aufträgen begann, hat sich mittlerweile zu einer großen Firma entwickelt. 5 Star Plus Retail Design hat Niederlassungen in Wien, Peking, Shanghai und Hongkong. Neben den eingangs erwähnten Marken gibt es einerseits mit Coca-Cola oder Burberry große Player aus dem Premiumsegment, aber auch mittelständische Unternehmen im Portfolio. „Einen (Innen-)Architekten findet man schnell, aber es geht um die konkreten Marketingziele. Unser Schwerpunkt ist es, Strategien zu entwickeln”, führt sie aus. Mehr Sichtbarkeit, bessere Verkäufe oder eine Neupositionierung – das analysiert sie mit ihrem Team und daraus folgen dann Designs für einen Flagship-Store bis hin zur Strategie für eine neu zu schaffende Untermarke.

So hat man beispielsweise für UGG die komplette Shop-Strategie für die Kids-Linie designt – ein gutes Beispiel dafür, wie die Arbeit nun abläuft: „Der Ausgangspunkt war: Das sind Geschäfte, wo Eltern mit Kindern in den Shop kommen. Welche Umgebung braucht es, damit viel gekauft wird?”, erzählt sie. „Da muss das Kind zufriedengestellt und beschäftigt werden. Also gibt es Entertainmentbereiche, wo der Nachwuchs auf niveauvolle Art unterhalten wird oder etwas lernen kann”, zeigt sie das Wichtigste, die Kundenzentrierung, auf. Letztlich muss die gesamte Umgebung so interessant sein, dass das Kind zurückkommen möchte: „So beginnt man, skaliert das Konzept auf alle Größenordnungen und Bereiche, von Flagship, über Boutique bis Shop-in-shop.” Daraus ergibt sich eine Designrichtlinie. Größere Kunden übernehmen diese nach der Eröffnung der ersten Shops „inhouse”. Dass es da auch schon einmal hektisch zugehen kann, illustriert eine Anekdote eines chinesischen Restaurantbetreibers.

Von heute auf morgen

Es wird dem einen oder anderen wohl die Kinnlade herunterfallen, wenn er hört, wie schnell Seidelmann für die Restaurantfirma Xibei umsetzte. Im Juli 2021 entschloss sich der Eigentümer, fünf neue Untermarken für die als Fleisch- und Nudelanbieter bekannten Gastronomiebetreiber zu launchen. Deadline: 15. September, aber 2021.

Innerhalb von fünf, sechs Wochen mussten Design, Shop und auch Produkte stehen: „Als ich das hörte, dachte ich nicht, dass das geht. Bei uns dauert eine derartige Entwicklung mindestens zwei Jahre. Wir hatten zwei Wochen, um die Konzepte zu entwickeln und die technischen Pläne zu zeichnen. Normalerweise braucht man dafür ein paar Monate.” (Gut bezahlte) Überstunden an allen Ecken und Enden führten dazu, dass die Deadline eingehalten wurde – ein echter Erfahrungswert.

China verstehen

Mit dem wachsenden chinesischen Markt und ihren eigenen, mittlerweile perfekten Sprachkenntnissen konnte sich 5 Star Plus Retail Design etablieren. Somit betreut man mittlerweile Firmen mit Background in Fernost und aus Europa. „Wir arbeiten auch mit österreichischen KMU, auch Coffeeshop-Marken, Fashion oder im Accessoire-Segment”, sagt sie. „Wir haben auch Kunden im industriellen Bereich, etwa für Equipment oder im Automotive-Bereich.” Alles stets auch mit einem internationalen Touch. Doch sie will auch ihre eigene Profession weiterentwickeln: „Es geht um das Verständnis, was Retaildesign ist.”

Am Anfang des Kundenkontakts steht übrigens oft der Vertrieb, „weil sie sehen, dass etwas nicht funktioniert. Hauptansprechspartner während des Projekts und verantwortlich ist dann meistens die Marketingabteilung, da Retail Design-Projekte für das Markenerlebnis und das Image wesentlich sind.

Ab in die Zukunft

Genau diese Schnittstelle(n) sollen mit Retail Design miteinander verbunden werden. Doch Barbara Seidelmann hat nicht nur das Jetzt im Blick, sondern auch bereits die Zukunft. So beschäftigt man sich einerseits mit Künstlicher Intelligenz: „Wir versuchen, die verfügbaren Tools für uns so einzusetzen, dass wir Mehrwert an Kunden generieren können. Mehr Kreativität, mehr Verrücktheit.”

Und dann gibt es natürlich das bestimmende Thema unserer Zeit: „Ich beschäftigte mich stark mit Nachhaltigkeit und möchte das in den nächsten Monaten umsetzen. Viele der bisherigen Lösungen bringen einen hohen Materialverschleiß mit sich, etwa im Messebereich. Ich will nachhaltigere Lösungen. Wie das aussehen wird, werden wir in einem Jahr wissen.” Auch dieses Thema begann mit einem Traum – und wird in der Realität enden.

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