••• Von Christian Novacek
Peter Schnedlitz, Vorstand des Instituts für Handel & Marketing an der WU Wien, hat einen scharfen Blick für die aktuellen Entwicklungen im Handel. Ihm zufolge darf man der Digitalisierung im Handel durchaus mit etwas mehr Unaufgeregtheit begegnen; im Onlinehandel seien indes verkündete, große Erfolge mit Vorsicht zu genießen – gewinnen würden in dem Business eher nur die Top 10.
medianet: Herr Professor Schnedlitz, wird die Handelslandschaft durch die Digitalisierung umgepflügt?
Peter Schnedlitz: Die Digitalisierung wird unseren Alltag beeinflussen, so auch den Handel. Die permanente Aufgeregtheit, die über den Handel verbreitet wird, gibt aber nicht die Alltagsrealität wieder. Von den zwei Metro Future Stores in Deutschland, zu denen Tausende von Managern hinpilgerten, ist praktisch bis auf Electronic Shelf Labelling nichts geblieben. Man stelle sich einmal vor, die Händler hätten in den letzten Jahrzehnten alles umgesetzt, was ihnen die Lobbyisten der Technologiekonzerne und sogenannte Experten geraten haben: Sie hätten Millionen mit RFID in den Sand gesetzt. Sie hätten in nutzlose Instore-Medien investiert. Sie hätten viel Geld mit ihrem Online-Store verloren – wir alle erinnern uns noch an die Insolvenz von Libro.
medianet: Wie lautet daher Ihr Ratschlag für die Branche?
Schnedlitz: Ich rate den Händlern dringend davon ab, namhaftes Geld in Drohnen, 3D-Drucker, Smart Refrigerator oder gar Delivery Roboter und Beacons zu investieren. Selbst ‚Mass Customization' ist teuer und bringt nur in Nischenmärkten etwas. Letztlich weiß heute niemand, was die Digitalisierung konkret im Handel verändern wird.
medianet: Ist denn nicht gerade jetzt die Zeit reif für neue Handelsformate? Haben ggf. die Diskonter ihr Selbstverständnis zu sehr in Richtung Supermarkt abdriften lassen?
Schnedlitz: Unsere Diskonter haben in den letzten Jahren unglaubliche Erfolgsstories geschrieben, die sich auch weltweit sehen lassen können. Noch haben alle ein klares Profil. Das muss aber nicht auf Dauer so bleiben. Wenn mit allen Mitteln versucht wird, den Marktanteil zu halten oder gar auszubauen, kann es zu einer Erosion der Profile kommen.
medianet: Was war rückblickend für Sie die wichtigste Entwicklung im Handelsjahr 2018?
Schnedlitz: Nur die Top 10 gewinnen im Online-Handel. Das Prinzip ‚The Winner takes it all' schlägt unbarmherzig zu. Schon ab dem Platz 10 im Umsatz-Ranking sind die Erfolge selten. Bei den kleinen Händlern schaut es schlimm aus. Ich suche ständig nach echten ‚Role Models' für den mittelständischen Handel, leider vergeblich.
medianet: Welcher Trend wird sich in 2019 fortsetzen?
Schnedlitz: Convenience, Innovation und Nachhaltigkeit werden weiter die Treiber der Handelsentwicklung bleiben. Ob der Online-Handel den Durchbruch im FMCG-Feld und im Frische-Markt schafft, kann derzeit nicht zustimmend beantwortet werden. Ich sehe eher Anzeichen dafür, dass meine vor rund zehn Jahren formulierte Konvergenzhypothese zutrifft. Je mehr sich Online um die letzte Meile kümmert und Frische-Artikel liefern will, desto ähnlicher wird es dem konventionellen stationären Handel. Da bleibt nur die Kooperation mit bestehenden Filialisten oder der Aufbau eines neuen Filial- und Lagernetzes; Letzteres ist allerdings vollkommen unrealistisch.
medianet: Im Onlinehandel gibt es zunehmend Initiativen gegen Amazon. Ist der Onlineriese in seiner Expansion noch kontrollierbar?
Schnedlitz: Die Möglichkeit des globalisierten Handels hängt wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen. Das macht Prognosen schwierig. Selbst die Rechtswissenschaft ist darauf nicht vorbereitet. Amazon wird sich in Zukunft sicher mit einer genaueren Beobachtung abfinden müssen.
medianet: Andere Perspektive: Rewes Verbrauchermarktlinie Merkur hat sich aus dem Onlinegeschäft mit Lebensmitteln zurückgezogen. Ist das ein Alarmsignal derart, dass sich das Geschäftsmodell nicht rechnet?
Schnedlitz: Brüllend erfolgreich dürfte die Hauszustellung von Lebensmitteln in Österreich nicht sein. Seit mehr als fünf Jahren sprechen die führenden Händler von rund ein Prozent Umsatzanteil. Die Diskussion über Erträge wird weitgehend vermieden. Ich muss immer über die holprigen Erfolgsmeldungen zum Onlinehandel schmunzeln. Jüngst hat es folgende Schlagzeile gegeben: ‚Online wächst zehn Mal schneller als der stationäre Handel'. Rechnen wir ein Beispiel aus dem Lebensmittel-Handel durch. Zehn Prozent von 100 Mio. Euro im Online sind 10 Mio., ein Prozent von 20 Mrd. im stationären Handel sind 200 Mio. Euro. So kann man mit Zahlen Stimmung machen.
medianet: Wird der stationäre Handel in 2019 an Bedeutung verlieren?
Schnedlitz: Kurzfristig sehe ich weit und breit keine konkurrenzfähige Alternative. Der Amazon-Start in Deutschland verläuft äußerst schleppend. Langfristig kann aber natürlich etwas passieren. Ich frage mich auch, warum der traditionelle Versandhändler Otto/Quelle noch immer keine frische Lebensmittelzustellung anbietet, trotz aller hochtrabenden Ankündigungen. Wenn man heute auf der Otto-Versand-Seite ‚Lebensmittel' eingibt, erhält man als Treffer Pizza und Würstchen aus Holz für die Puppenküche …
medianet: Die Digitalisierung schreitet zügig voran, und der Checkout ohne Bezahlen an der Kasse findet immer häufiger Verwendung. Wie ist Ihre Sicht zum Thema? Wird die Digitalisierung zum Jobkiller im Handel?
Schnedlitz: Ich bin amüsiert, wenn Self-Checkout-Kassen als Digitalisierungsprojekt ‚verkauft' werden. Was ist daran digital, wenn ich nun selber die Aufgabe des Kassapersonals übernehmen muss? Allerdings habe ich in den Geschäften mit Selbstbedienungs-Kassen registriert, dass der ‚Smell of the Shop', also die Stimmung im Geschäft, schlechter wird. Kunden und Mitarbeiter sind genervt. Da gehe ich lieber zu den anderen Anbietern mit freundlichem Kassapersonal, das sich nicht nur als Regalschlichter versteht. Die Digitalisierung wird nicht das gesamte Personal verdrängen, sonst landen wir am Ende des Tages alle zusammen beim Online-Shopping. Die Online-Invasion ist eher schleichend. Man gewöhnt sich in einem ersten Schritt im Nonfood-Sortiment an Amazon, und der Lebensmittelkauf im Internet wird im Zeitverlauf niederschwelliger.
medianet: Wie sehen Sie aktuell die Preissituation im LEH?
Schnedlitz: Preisaktionen hat es im klassischen Handel schon immer gegeben. Der 30 bis 60 Prozent-Anteil der Preis-Promotions in Österreich ist aber nicht mehr gesund. Unsere Untersuchungen zeigen auch, dass die Kunden nach einer Preisaktion von vier Wochen den Aktionspreis als Kurantpreis verinnerlicht haben. Im Vergleich zu Deutschland werden wir nie ein Billigland werden. Dort gibt es eben die Mutter aller Preisschlachten. Die meisten Argumente sind bekannt. Ich will nur auf einen Punkt eingehen, der mir besonders bedeutend erscheint: Das zu dichte Filialnetz in Österreich ist zwar für die Kunden bequem, es verschlechtert aber die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen. Die Bedrohung durch den Online-Handel dürfte weitere Expansionen jedoch unwahrscheinlicher machen. Die Filialisten sollten die Standorte als Pick-up-Points ausrichten, damit sie in Zukunft für Multi-Channeling besser vorbereitet sind.
medianet: Sind heute die Eigenmarken der Händler die besseren Marken?
Schnedlitz: Handelsmarken sind eine Chance zur Profilierung und zur Verbesserung der Spanne. Wer kann sich heute Billa ohne ‚Ja! Natürlich' oder Spar ohne ‚S-Budget' vorstellen? Den Menschen ist es übrigens vollkommen egal, ob es sich um eine Herstellermarke oder um eine Handelsmarke handelt, nur eine kleine Minderheit interessiert sich dafür. Ich sehe langfristig die Position von klassischen Markenartikeln aber durchaus positiv. Die wirklich wichtigen Innovationen kommen immer noch von dort.
medianet: Landwirtschaft, AMA und das Regionalbekenntnis der Händler staffieren den Feinkostladen Österreich zurzeit nachdrücklich aus – kommt das zum richtigen Zeitpunkt?
Schnedlitz: Ein Regionalbekenntnis ist gut, wenn es nicht zu Chauvinismus führt und vor allem den Transport verringert. Nicht alles, was regional ist, ist automatisch besser. Wir haben zweifellos gute Lebensmittel, mit denen wir uns nicht verstecken müssen. Das Marketing für die Regionen wurde in den letzten Jahren primär von den Händlern getragen. Für die AMA ist meiner Meinung nach die internationale Präsenz genauso wichtig.