Handel: Mit gemischten Gefühlen in den Sommer
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RETAIL Redaktion 09.07.2021

Handel: Mit gemischten Gefühlen in den Sommer

43 Prozent der Betriebe rechnen heuer mit geringeren Umsätzen als 2020 – doch es herrscht auch Zuversicht.

••• Von Paul Hafner

WIEN. Wenn auch die „Delta-Variante” getaufte Mutation des Coronavirus wie ein Damoklesschwert über Österreich (und dem Rest der Welt) schwebt und mahnend an den Leichtsinn des letzten Sommers erinnert, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Schlimmste überstanden, die Pandemie angezählt und die alte Normalität in Sichtweite ist. Wenn am 22. Juli 2021 die Masken zumindest im Non-Food-Handel fallen, ist das nicht mit demVorjahr zu vergleichen; 62% der impfbaren Bevölkerung in Österreich haben zumindest eine Schutzimpfung erhalten, 43% einen vollständigen Impfschutz (Stand 7. Juli). Regionale Lockdowns, eine temporäre Wiedereinführung der Maskenpflicht, Auffrischungsimpfungen – es wird sich zeigen, was der Herbst bringt, doch die Vorzeichen sind nicht mit jenen des „Corona-Jahres” 2020 zu vergleichen.

Die Zuversicht in der Bevölkerung schlägt sich auch merklich auf die Kauflust nieder: Der Konsumbarometer des Handelsverbands weiß von einem Rückgang der Sparneigung, optimistischer Konjunktur- und gestiegener Ausgabenerwartung zu berichten. Impfungen und sinkende Inzidenzraten haben ein Klima der Zuversicht gebracht – und doch wird der Handel an den Folgen der Krise noch eine Weile zu kiefeln haben: Nicht weniger als 43% der österreichischen Händler rechnen auch 2021 noch mit weiter sinkenden Umsätzen.

Im Schnitt minus vier Prozent

„Die Pandemie hat den österreichischen Handel wie ein Vorschlaghammer getroffen. Jedes zweite Geschäft musste einen Umsatzrückgang von mehr als 25 Prozent bis hin zum Totalausfall verkraften. Die Öffnungsschritte machen Hoffnung, doch die Krise ist noch nicht überstanden. Derzeit kämpfen die heimischen Händler um jeden Euro in der Kasse und damit um jede Konsumentin und jeden Konsumenten”, erläutert Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbands.

Während die Mehrheit (57%) der Betriebe steigende Umsätze ggü. 2020 erwartet – fast jeder Dritte (31%) sogar ein Plus von mindestens zehn Prozent –, fällt die durchschnittliche Umsatzerwartung der befragten Händler mit minus vier Prozent dennoch negativ aus; unter den kleinen Unternehmen sind es gar minus sieben Prozent.

Sportartikler gespalten

Die Betroffenheit von der Krise variiert auch branchenintern, wie das Beispiel des Sport­artikelhandels vor Augen führt. „Das Jahr 2021 ist für die Sportartikelhändler gestartet, wie das erste Pandemiejahr beendet wurde: Bis zum 8. Februar waren die Geschäfte geschlossen”, erinnert Gernot Kellermayr, Präsident des Verbands der Sportartikelerzeuger und Sportausrüster (VSSÖ). „Aus gesundheitspolitischer Sicht absolut nachvollziehbar und notwendig” gewesen, sei damit gleichzeitig das „Worst-Case-Szenario” für den Sportartikelhandel eingetreten – insbesondere für „jene 750 Geschäfte in Tourismusgebieten, deren Einnahmen zu 60 Prozent von dem Weihnachts- und Wintergeschäft und von Touristen abhängen”. 94% dieser Geschäfte sind familiengeführte Einzelunternehmen, die 44% des Gesamtumsatzes des Sportartikelmarkts ausmachen.

Ohne externe Förderungen hätten „vier von fünf Sportartikelgeschäften in touristischen Regionen den Winter nicht überlebt”, betont Michael Nendwich, VSSÖ-Geschäftsführer und Sprecher des Sportartikelhandels in der WKO, die „erhebliche Bedeutung der Wirtschaftshilfen seitens der Regierung”.
Der grassierenden Insolvenzangst tourismusorientierter Sportgeschäfte steht der Höhenflug städtischer Sportartikler mit Fokus auf Heimfitness und Biking gegenüber; diese durften sich auch heuer über starke Nachfrage in vielen ihrer Segmente freuen und so zumindest einen Teil der im Winter erlittenen Umsatzverluste wettmachen.

E-Commerce federt kaum ab

Den Hoffnungen auf Verlustausgleich nur bedingt gerecht wurde indes der Onlinehandel. Kellermayr dazu: „Wir haben uns bei etwa 15 bis 20 Prozent Onlineanteil eingependelt, hier sehen wir auch mittelfristig die Obergrenze. Auch während der Pandemie reden wir nur von einem Zuwachs im einstelligen Prozentbereich.” Der starke Einbruch von 18,8% im ersten Quartal 2021 gegenüber dem (mehrheitlich präpandemischen) Vorjahrszeitraum zeige „einmal mehr, dass Sportartikel beratungsintensive Produkte sind, die vor allem im stationären Handel bei Fachkräften eingekauft werden”, wie Nendwich ergänzt.

Auch im Schuhhandel ist die digitale Revolution ausgeblieben. Kürzlich mit dem „Austrian Trustmark Award” für den besten Onlineshop des Landes ausgezeichnet, liegt der Onlineanteil bei Vorreiter Humanic aktuell bei rd. zehn Prozent. „Natürlich konnte der massive Anstieg im Online-Geschäft nicht die wiederholte Schließung von 200 Filialen über Monate kompensieren, und die Krise traf uns voll”, erklärt Michael Bermadinger, Chief Digital Retail Officer der Leder und Schuh AG. Längerfristig geht er von einer Steigerung „auf bis zu 30 Prozent” aus – wichtigerer Treiber als die Pandemie dürfte der Generationenwandel sein.

Höhenflug für DFH

Eine verhältnismäßig noch wenig beachtete Sonderstellung nahm vom ersten Lockdown an der Drogeriefachhandel ein. Von Schließungen ausgenommen, sei es 2020 dennoch zu „deutlichen Umsatzverlagerungen in Richtung LEH” gekommen, wichtige Drogerie-Standorte in Einkaufszentren und Innenstadtlagen sowie Grenznähe hätten besonders gelitten, wie dm-Geschäftsführer Harald Bauer erklärt.

Heuer sehe man, „dass wir diese Covid-bedingten Abflüsse an den LEH nicht nur stoppen konnten, sondern dass wir in den Marktanteilen gegenüber dem Lebensmittelhandel sogar fast wieder auf dem Niveau von 2019 liegen”, so Bauer, der optimistisch ist, „dass dieser Trend auch in den kommenden Monaten anhalten wird” – ein Mitgrund: das Wiederaufsperren der Dienstleistungsbereiche (Friseur-/Kosmetikstudios), die als Frequenzbringer fungieren.

Gemischte Gefühle

Branchenübergreifend haben die Händler gemischte Erwartungen an die kommenden Monate: 38% rechnen mit einer Erholung bzw. Verbesserung der Kundenfrequenz, 21% mit einer Verschlechterung, 41% mit keiner wesentlichen Veränderung; im Schnitt will der Handel nur rund drei Viertel des ursprünglich für 2021 geplanten Investitionsvolumens realisieren. 78% der Händler haben noch immer mit Lieferverzögerungen und/oder Lieferantenausfällen zu kämpfen.

„Die Krise ist noch nicht gegessen”, mahnt Christoph Schneider, Leiter der WKÖ-Wirtschaftspolitik, Vorsicht bei der Rücknahme von Corona-Hilfen ein. Unternehmen seien finanziell derzeit mit einer „dreifachen Herausforderung” konfrontiert – neben den laufenden Kosten seien krisenbedingte Schulden zu tilgen, zusätzlich müsse mit deutlich höheren Preisen für Energie, Rohstoffe und Vorleistungen umgegangen werden.
„Die in der Pandemie gelernten Trends sind aus Kundensicht unumkehrbar; viele kleinere Händler werden sich künftig schwertun”, findet Handelsverband-Vizepräsident und Unito-Chef Harald Gutschi klare Worte. Es werde zu „massiven Strukturveränderungen im Handel kommen”, derer man nur mit anhaltenden staatlichen Unterstützungen für KMU-Händler, einer raschen Senkung der Lohnnebenkosten sowie einer umgehenden Abschaffung der Mietvertragsgebühr Herr werden könne.
„Nach der Gesundheitskrise gilt es nun, die Wirtschaftskrise mit derselben Entschlossenheit zu bekämpfen”, ergänzt Will – und in der Tat erscheint nicht jeder dahingehende Vergleich pietätlos. Mit einem sich liberal gebietenden Appell an die Eigenverantwortung der Händler wird es jedenfalls nicht getan sein – und bei Finanzspritzen ist künftig auch mehr Tempo gefragt.

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