••• Von Paul Hafner
WIEN. Schon bald nach ihrem Ausbruch hat sich abgezeichnet, dass die Pandemie neben allen anderen Bereichen des öffentlichen Lebens auch Handel und Einkaufsverhalten zumindest mittelfristig stark beeinflussen und verändern würde. Das Szenario „Lockdown” samt temporärer Geschäfts- und Lokalschließungen zeichnete sich erst wenige Tage vor seiner Verkündung ab, der Zeitpunkt der vielbeschworenen (dauerhaften) Rückkehr zur Normalität ist – vor dem Hintergrund von Mutationen und einer noch niedrigen Durchimpfungsrate – heute unwesentlich absehbarer als im März 2020.
Kursierende, wenig repräsentative Befragungen zum künftigen Kaufverhalten mögen nur vage und unzuverlässige Indikatoren für einen nachhaltigen „Corona-Effekt” sein; die Ergebnisse der bundesweiten eCommerce Studie 2021 des Handelsverbands und der von HV-Vizepräsident Harald Gutschi geleiteten Plattform „Versandhandel, eCommerce & Marktplätze” weiß jedenfalls von einem massiven Digitalisierungsschub zu berichten, der in vielerlei Hinsicht als unumkehrbar gedeutet werden kann.
Die großen Kennwerte gleich vorweg: Ausgaben von 10,4 Mrd. € im Distanzhandel bedeuten ein neuerliches Allzeithoch, mehr als 90% davon – nämlich 9,6 Mrd. € – entfallen auf den Onlinehandel, was einem beträchtlichen Ausgabenwachstum von 20% gegenüber dem Vorjahreszeitraum entspricht.
Siegeszug des M-Commerce
Eine große Rolle spielt dabei der Mobile Commerce, dessen kontinuierliches, rasantes Wachstum, das sein Tempo mit einem Plus von 67% neuerlich nach oben und in Rekordhöhe geschraubt hat. „Das starke Wachstum beim Onlineshopping wird von der anhaltenden Dynamik des Handyshopping nochmals überflügelt. Mehr als ein Drittel der Österreicherinnen und Österreicher kaufen im Internet via Smartphone ein, die Ausgaben liegen aktuell bei rund zwei Milliarden Euro. Damit haben sich die Umsätze im M-Commerce innerhalb von vier Jahren mehr als verdreifacht”, erläutert Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will. Das Shopping mit dem Smartphone sei „so beliebt wie nie zuvor und wurde durch die Coronakrise zur ‚Schaltzentrale' für Kaufentscheidungen”.
Interessantes Detail: Bereits 2015 hatten Will und Gutschi das Smartphone zur „Zukunft des Onlinehandels” erklärt; der Gesamtumsatz im M-Commerce war damals (bei einer Wachstumsrate von 40%) mit 350 Mio. € noch relativ klein und entsprach einem Zwanzigstel des Gesamtdistanzhandelumsatzes (7,1 Mrd. €). Sechs Jahre später macht er fast ein Fünftel aus; das Kuchenstück ist gehörig gewachsen, und die Prognose drauf und dran, sich zu bewahrheiten. Dafür spricht auch der Altersgap bei der M-Commerce-Quote, die bei den Unter-29-Jährigen bei rd. 70% liegt, bei 60+ dagegen nur bei sieben Prozent.
55 Prozent Abflussquote
Wermutstropen des E-Wachstums:. „Die 14.500 heimischen Webshops profitieren vom wachsenden Markt nur begrenzt, da mehr als jeder Zweite im Online-Ausland bestellt. Durch diesen milliardenschweren Kaufkraftabfluss kann unsere Volkswirtschaft die Chancen der Digitalisierung nur teilweise in Wohlstandszuwächse umwandeln”, erläutert Will das Dilemma. Konkret steigt die Auslandsabfluss-Quote im Vergleich zum Vorjahr moderat, aber doch von 54% auf 55%.
Eine positive Überraschung erlebte indes der klassische Versandhandel – er konnte sich konsolidieren und ein Umsatzplus von rund 100 Mio. € erwirtschaften. „Die Transformation vom klassischen Katalog- zum Onlinehandel scheint damit fast vollständig abgeschlossen zu sein. Heuer haben bereits drei Viertel aller Österreicherinnen und Österreicher im Internet-Einzelhandel eingekauft. Vor allem bei den Konsumenten über 40 Jahren sowie bei Frauen hat der Distanzhandel während der Pandemie stark an Bedeutung gewonnen”, so Gutschi.
Einrichtungshandel legt zu
Die Top-Warengruppen im Distanzhandel sind heuer Bekleidung (2,05 Mrd. €), Elektrogeräte (1,3 Mrd. €) und Möbel (0,8 Mrd.); die stärksten Zuwächse verzeichnen die Sektoren Einrichtung (+38%), Spielwaren (+37%) sowie Sportartikel (+22%).
Gutschi: „Rund 14 Prozent der gesamten Einzelhandelsausgaben der österreichischen Privathaushalte fließen bereits in den Distanzhandel. Im Schnitt gibt jeder von uns bereits 1.830 Euro pro Jahr im Distanzhandel aus – Tendenz steigend.” Lediglich bei Büchern und Schreibwaren sei ein leichter Ausgabenrückgang zu beobachten.
Konstant bleibt die Retourenquote: 2021 retournieren 41% der Distanzhandelskäufer zumindest einen Teil der bestellen Produkte. Damit liegt die Retourenquote exakt auf dem Niveau der beiden Vorjahre. Prinzipiell gilt: Je jünger der Konsument, desto höher die Retourenquote.
Die höchste Retourenquote im Branchenvergleich weisen laut Studienleiter Wolfgang Ziniel, Senior Researcher bei der KMU Forschung Austria, die modischen Segmente auf: „Bei der Warengruppe Bekleidung macht sich zwar ein leicht rückläufiger Trend bemerkbar, dennoch werden 47 Prozent der bestellten Textilartikel wieder zurückgeschickt.”