Let’s get phygital: Handel neu gedacht
© Wolfgang Lehner
RETAIL Redaktion 22.01.2021

Let’s get phygital: Handel neu gedacht

2021 steht im Zeichen umfassender Markenerlebnisse durch digitale Integration, Pop-up Culture und Social Revolution.

Gastbeitrag ••• Von Michael Buchacher

Das Wirtschaftsmagazin Forbes hat Pandemien kürzlich als „ökonomische Brandbeschleuniger” bezeichnet. Online einzukaufen ist für viele zwangsläufig zur Selbstverständlichkeit geworden. Die Wochen nach dem Lockdown werden hoffentlich ein Wiedererwachen im stationären Handel bringen – aber auch die intensive Suche nach neuen Konzepten.

Ein Blick zurück: Wenn man im Dezember 2020 durch die Mariahilfer Straße oder andere belebte Einkaufsstraßen schlenderte, fiel einem im Vergleich zu 2019 nicht nur das allgegenwärtige Mode-Accessoire des Mund-Nasen-Schutzes auf. Nicht nur auf pandemischer, sondern ebenso auf technologischer Seite hat sich in wenigen Monaten einiges getan.

Displays erstrahlen allerorts

Digital Signage erlebt einen großen Aufschwung, immer mehr (und größere) Displays erstrahlen in den Geschäften und wirken auch nach außen in den Raum hinein – oft durch ausdrucksstarke Bilder, aufwendige und rasch geschnittene Filmszenen und Animationen.

Das nutzen fast alle Branchen für sich. Mode, Haushaltsgeräte, Banken, IT-Händler und Telekommunikationsunternehmen, vereinzelt auch Supermärkte ziehen mit Signage-Lösungen Laufpublikum in die Shops.
Die ästhetischen Ansprüche steigen, Erlebnisgewohnheiten passen sich rasch an. Natürlich gibt es für die Intensität solcher Installationen, die in den öffentlichen Raum wirken, auch Grenzen – Stichwort Verkehrssicherheit. Das bringt für Fußgängerzonen und Einkaufszentren einen gewissen Lagevorteil. In der Praxis ist man auch als Dienstleister gefordert, einen gut verträglichen (Mittel-)Weg für Store-Betreiber, Anrainer und Publikum zu finden.

Den leeren Raum füllen

Branchenanalysen wie jene von Standort + Markt verzeichnen mehr Leerstände – das bietet eine Chance für Zwischenvermietungen. Die Pop-up Culture ist in Kunst, Gastronomie und Handel gleichermaßen angekommen und wird als Kommunikationsprojekt inszeniert.

Dass das gerade in den frequenzstarken Premiumlagen hervorragend funktioniert, zeigt sich in Wien am E-Mobilitäts-Showroom „Mooncity”, welche ursprünglich nur bis Jahresende 2020 geplant war und nun aufgrund des großen Erfolgs verlängert wurde. Hier wird – abseits vom klassischen Autohaus der Vorstädte – ein Zukunftsthema mit Zukunftstechnologien umgesetzt.
DMS hat hier im Auftrag der Porsche Media & Creative GmbH Digital Canvases im Innenbereich sowie weitere Lösungen, Sensoriken und LED-Panels installiert, die den Außenbereich besonders inszenieren.
Der Standort ist nicht nur für Nischenmarken und Neuanbieter wichtig, auch omnipräsente Player setzen auf Flagship-Stores. Top-Marken wie Apple machen es vor; neben starken Onlineshops und einem verbreiteten Partnernetzwerk sind die großen Stores in den Hauptstädten auch Vorzeigelösungen im Shop Design, Community-Treffpunkte, Service-Anlaufpunkte und Fanshops für die neuesten Produkte und Zubehör. Die Inszenierung der Marken fordert das Publikum zum Mitmachen und zum Kommunizieren auf. Hohe generische Social Media- Reichweiten und eine gesteigerte Markenpräsenz durch private Postings sind oft die Folge.

Die neuen Player

Wir werden in Zukunft verstärkt neue Player im Handel erleben. Influencer warten in den Startlöchern – sei es als Partner bestehender Markenartikelhersteller und Handelsunternehmen, als Pop-up-Experimente oder als integrierte offline- und online Retail-Konzepte.

Ein Beispiel dafür ist die YouTuberin Sally (https://sallyswelt.de/), die mit Back- und Kochvideos mittlerweile mehr als 1,8 Mio. Abonnenten ihres Videokanals verzeichnet. Auf einen umfangreichen Onlineshop folgte mit „Sally’s Welt” in einem Mannheimer Einkaufszentrum ein erster eigener Flagship-Store und das „Sallycon Valley” als Firmenzentrale.
„On the shop floor” und für das Publikum unsichtbar etablieren sich in der Zwischenzeit Sensorlösungen, die das Einkaufserlebnis verbessern und es Retail-Unternehmen ermöglichen, Kunden besser kennenzulernen und zu betreuen.
Wenn Reisen wieder möglich sein wird, sollten sich auch die Kundenfrequenzen in den Shoppingbereichen an Verkehrsknotenpunkten wie Flughäfen und Bahnhöfen erhöhen. Hier geht es nicht nur um schnellen Konsum, sondern gleichfalls um Marken­erlebnisse und die Möglichkeit zum Ausprobieren während der Wartezeit. Showrooms von Automarken, IT-Anbietern, etc. machen es vor.
Gleichzeitig gibt es Potenzial für Convenience/Delivery-Konzepte im Vorbeigehen. „Shop & Drop” mit bequemer Lieferung nach Hause ist hier ein Konzept, das bereits für Haushaltswaren wie hochwertige Woks, Keramik oder Küchenmesser von Top-Marken eingesetzt wird.
Fazit: Der Handel wird – in erneuerter Form – zurückkehren. Im Fokus stehen ein professionell komponiertes Markenerlebnis und eine datengestützte bzw. -getriebene Kundenbeziehung, die auf Dialog, Beratung und Individualisierung basiert. „Physischer Handel” verschmilzt mit dem digitalen zu „phygital”.

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