Speerspitze des Wandels in der Gesellschaft
© Ja!Natürlich/Robert Harson
RETAIL Redaktion 05.05.2023

Speerspitze des Wandels in der Gesellschaft

Klaudia Atzmüller, Geschäftsführerin von Ja! Natürlich, über die stetige Weiterentwicklung der Bio-Marke.

••• Von Georg Sander

 

Seit 2020 ist Klaudia Atzmüller in der Geschäftsführung von Ja! Natürlich. Das heißt, sie gestaltet in einer schwierigen Zeit mit. Der Erfolg gibt ihr recht, Bio-Produkte sind hierzulande sehr beliebt. Im ausführlichen Interview spricht sie über die Vorteile von bio – und auch über die Skandale der letzten Monate.


medianet:
Seit fast drei Jahrzehnten steht Ja! Natürlich für Bio. Wie kam man überhaupt auf die Idee, sich für höchste Standards bei Freilauf, Futter, Medikamenten, Transport und Kontrollen einzusetzen?
Klaudia Atzmüller: Biologische Landwirtschaft ist für Ja! Natürlich nicht nur eine Art, hochwertige Lebensmittel zu produzieren – es ist eine Lebenseinstellung. Als Geschäftsführerin bin ich sehr stolz darauf, dass wir im Bio-Bereich Standards setzen, die teilweise weit über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen und laufend weiterentwickelt werden. Als Bio-Pionier Österreichs steckt es in unserer DNA, immer zu überlegen, was der nächste Schritt sein kann und muss, um der Vorreiterrolle, die wir seit der Gründung haben, gerecht zu werden. Unser Anspruch ist es, Bio immer weiter zu pushen – gemeinsam mit den Partnerinnen und Partnern aus der Landwirtschaft.

Die Idee für diesen Einsatz entstand aus der Überzeugung, dass nur eine nachhaltige Landwirtschaft, die im Einklang mit der Natur steht und respektvoll mit den Tieren umgeht, eine gesunde und zukunftstaugliche Lebensmittelproduktion sicherstellen kann. Wir wollen, dass die noch kommenden Generationen in einer lebenswerten Welt leben können. In manchen Bio-Bereichen gehen uns die gesetzlichen Vorgaben nicht weit genug, vor allem wenn es um das Tierwohl geht. Ja! Natürlich ist daher die einzige Bio-Marke, die zum Beispiel komplett auf die Anbindehaltung von allen Tieren verzichtet und garantiert, dass sich die Tiere rund um die Uhr und das ganze Jahr über frei bewegen können.


medianet:
Die Welt ist stets im Wandel; inwiefern gab es unter Umständen auch Gegenwind gegen die Bestrebungen?
Atzmüller: Natürlich gab es in den letzten 30 Jahren immer auch Gegenwind. Aber die Begeisterung der Österreicherinnen und Österreicher für diese Produkte ist ungebrochen. Gerade das letzte Jahr hat uns gezeigt, dass Bio in Krisenzeiten stabiler ist. Durch den Ukraine-krieg war etwa Rohstoffverfügbarkeit ein großes Thema, das hat Bio nicht betroffen. Bio ist 2022 sogar stärker gewachsen als die konventionelle Landwirtschaft. Das zeigt uns: Österreich ist und bleibt ein absoluten Bio-Land.

Billa hat mit der Einführung der Marke im Jahr 1994 damit begonnen, Bio in Österreich salonfähig und leistbar zu machen. Das war lange vor dem großen Trend. Gelingen konnte das natürlich nur mit unseren Partnerinnen und Partnern in der Landwirtschaft. Gemeinsam haben wir an die Zukunft von Bio geglaubt. Das hat dazu geführt, dass Österreich heute zu den Bio-Weltmeistern zählt. Innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte hat sich der Bio-Anteil im österreichischen LEH mehr als vervierfacht (Anm.: von 2,7 auf 11,5 Prozent). Mit knapp zwölf Prozent Bio-Sortimentsanteil zählt Österreich zu den Spitzenreitern in der EU. Der Bio-Anteil ist fast doppelt so hoch wie in unserem Nachbarland Deutschland. Europa orientiert sich an Österreich, wenn es um die Bio-Landwirtschaft geht.


medianet:
Was sind für Sie heutzutage die maßgeblichen Unterschiede zwischen Bio und konventionellen Angeboten in Hinblick auf das Tierwohl?
Atzmüller: Wichtig ist zu sagen: Bio ist nicht irgendein Label. Diese Produkte sind Lebensmittel, die nach bestimmten Vorgaben und Standards angebaut, produziert und verarbeitet werden. Diese Vorgaben sind gesetzlich klar geregelt und werden von unabhängigen Kontrollstellen vom Feld bzw. Stall bis ins Regal streng geprüft.

Unsere Produkte sind nicht nur alle Bio-zertifiziert, sondern gehen fast immer über diese Mindeststandards hinaus – gerade auch im Bereich der Tierhaltung. Ein Beispiel, welches die Kraft der Marke eindrücklich zeigt, ist die Beendigung des Tötens der männlichen Küken. Auch im Bio-Bereich war es üblich, männliche Küken, die keine Eier legen, direkt nach dem Schlüpfen zu töten. Ja! Natürlich setzte dieser grausamen Praxis 2005 ein Ende – ein äußert komplexes Pionierprojekt, das nur mit engagierten Partnerinnen und Partnern, intensiver Forschungsarbeit und Beharrlichkeit Schritt für Schritt umgesetzt werden konnte. 2013 wurden bei Ja! Natürlich-Betrieben die ersten Gockelküken großgezogen, 2016 verpflichtete sich die gesamte österreichische Biobranche zu diesem neuen Standard. Was als Pionierprojekt begann, ist mittlerweile Standard in der heimischen Bio-Eier-Produktion und wird nun sogar gesetzlich für die gesamte Branche festgelegt.
Im Vergleich zu konventionellen Produkten gibt es weitere große Unterschiede, wie garantierte artgemäße Tierhaltung und Freilauf rund um die Uhr; wir verwenden ausschließlich Bio-Futter aus Österreich und verzichten auf den vorbeugenden Einsatz von Antibiotika. Wir sind überzeugt, dass Natürlichkeit für Mensch, Umwelt und Tier das Beste ist.

 

medianet: Bio-Produkte gelten ja als teurer; wie schafft man den Spagat zwischen den eigenen Ansprüchen und Wirtschaftlichkeit für alle entlang der Produktionskette??
Atzmüller: In der Regel sind Bio-Produkte aufgrund der höheren Standards und damit aufwendigeren Produktionsmethoden teurer. Die Preisunterschiede zwischen bio und konventionell können je nach Produkt und Region stark variieren. Da spielen Faktoren wie Transportkosten, Nachfrage und Angebot eine Rolle.

Bei manchen Produkten, wie beispielsweise Obst und Gemüse, können die Preisunterschiede geringer ausfallen, da die Produktionskosten weniger stark ins Gewicht fallen. Bei anderen, wie beispielsweise Fleisch, sind die Preisunterschiede aufgrund der höheren Haltungskosten und des höheren Futtermittelbedarfs oft größer. Unsere Wiesenhendl leben mindestens doppelt so lange wie ein konventionelles Huhn. Sie haben durchgängig Zugang zu Freiflächen, wo sie herumlaufen, scharren und sich sonnen können und haben natürlich viel mehr Platz, um sich frei zu bewegen und ihr natürliches Verhalten ausleben zu können. Wir arbeiten zudem eng mit unseren Partnerinnen und Partnern zusammen, um eine faire Bezahlung für alle zu gewährleisten und gleichzeitig unsere hohen Qualitätsstandards einzuhalten. Die schon angesprochene geringere Preissteigerung im Jahr 2022 – rund ein Drittel weniger – liegt eben an dem Bekenntnis zur Regionalität.


medianet:
Wie garantieren Sie das Einhalten der Bio-Grundsätze, bis hin zum Bio-Futter aus Österreich?
Atzmüller: Gemeinsam mit unseren Landwirtinnen und Landwirten liegt uns die Einhaltung der Bio-Vorgaben und unserer Standards sehr am Herzen. Bio-Betriebe werden von drei unterschiedlichen und unabhängigen Stellen jeweils einmal im Jahr kontrolliert. Darüber hinaus werden mindestens einmal im Jahr die Schlachtbetriebe genauestens auf die Tierschutzrichtlinien hin geprüft. Ergänzend finden regelmäßig genaue Produktuntersuchungen statt, die als Qualitätskontrollen dienen

medianet:
Gibt es für Sie noch Themen, wo mehr Bio/Nachhaltigkeit erreicht werden kann?
Atzmüller: Wir arbeiten gemeinsam mit der heimischen Bio-Landwirtschaft laufend daran, noch besser zu werden. Ein absolutes Vorzeigeprojekt sind unser Waldviertler Freilandschweine: Die Tiere leben das ganze Jahr über zu 100 Prozent im Freien, wühlen und suhlen ganz wie es ihrer Natur entspricht. Auch der soziale Kontakt zu Artgenossen, der für das Wohlbefinden der Tiere wichtig ist, ist dadurch immer gegeben.

medianet: Wenn in der Branche, vor allem dort, wo es um Tiere geht, wieder ein Skandal aufgedeckt wird, merken Sie dann auch bei Ja! Natürlich, dass die Menschen unter Umständen mehr nachfragen bzw. weniger verkauft wird?
Atzmüller: Durch die aktuellen Skandale macht sich verständlicherweise aktuell eine große Verunsicherung bei dem Thema bemerkbar. Da wir aber schon immer auf eine hohe Transparenz und einen engen Austausch mit unseren Kundinnen und Kunden gesetzt haben, gab es bei uns keine Nachfragen und wir spüren auch keine Rückgänge bei den Umsätzen. Dieser Austausch ist uns sehr wichtig und wir arbeiten ständig an neuen Wegen, Informationen verständlich aufzubereiten und weiterzugeben. Ein aktuelles Beispiel ist unser Klima-Einkaufsratgeber, den wir auf Basis einer gemeinsamen Studie mit Greenpeace im Vorjahr sowohl für Erwachsene, als auch für Kinder herausgegeben haben.

medianet:
Und wie geht es Ihnen persönlich, wenn Sie diese Bilder sehen?
Atzmüller: Das schockiert einen natürlich, das möchte niemand sehen. Ich bin aber in der glücklichen Position, sagen zu können, dass wir einen anderen Weg gegangen sind – einerseits mit Haltungsstandards, anderseits sehen wir in unserer täglichen Arbeit, dass die gute Zusammenarbeit mit unseren Bäuerinnen und Bauern das Allerwichtigste ist, um unsere Standards zu halten und schrittweise zu erhöhen.

medianet:
Wer sich mit konventioneller Landwirtschaft ausein­andersetzt merkt, dass viele Bauern die industrielle Landwirtschaft gar nicht wollen. Brauchen diese Landwirte ein Angebot auf der Bio-Ebene, kann sich dieserart die Branche durch Best Practice sogar selbst reinigen?
Atzmüller: Wir unterstüzen die Landwirtschaft, die im Einklang mit Natur, Umwelt und den Tieren arbeitet, und bieten Produkte in höchster Bio-Qualität, die eben nicht auf eine, wie Sie es nennen, industrielle Art produziert werden – alles aus der Überzeugung heraus, dass wir bei der Erzeugung unserer Lebensmittel verantwortungsvoll umgehen müssen mit unseren Böden, den Tieren, der Artenvielfalt und dem Klima. Unser Sortiment umfasst 1.100 Bio-Produkte, die höchste Standards erfüllen, gleichzeitig leistbar und verfügbar sind. Ja! Natürlich sieht es nach wie vor als Aufgabe, die Rahmenbedingungen für Tiere, Umwelt und Menschen zu verbessern.

medianet:
Sind Sie mit den gesetzlichen Vorgaben, etwa Vollspaltböden, zufrieden?
Atzmüller: Den Bio-Bereich und Ja! Natürlich betrifft das nicht, hier sind solche Ställe natürlich verboten. Aber wenn Sie mich im Hinblick auf die gesamte Landwirtschaft fragen, bin ich hier ganz einer Meinung mit unserem Vorstand Marcel Haraszti, der die Abschaffung der Vollspaltböden zu unserem Ziel als Rewe Group erklärt hat, das wir nur gemeinsam mit Landwirtschaft, Politik, Handel und den Konsumenten erreichen können.

medianet:
Bio, Regionalität, Saisonalität, das sind mehr als nur kleine Trends. Ist das schon ausgereizt? Erwarten Sie sich noch mehr bewusste Ernährung in der Gesellschaft? Wie denken Sie, wird sich der Markt entwickeln?
Atzmüller: Wir stellen fest, dass das Bewusstsein der Konsumentinnen und Konsumenten für eine gesunde und nachhaltige Ernährung in der Gesellschaft weiterwächst. Das sehen wir auch daran, dass immer mehr Menschen zu Bio-Produkten greifen und nach regionalen und saisonalen Lebensmitteln suchen. Der Markt für nachhaltige Lebensmittel wird sich stetig weiterentwickeln, und als Vorreiter verstehen wir uns als Speerspitze dieses gesellschaftlichen Wandels und der Rückbesinnung zu einem Leben im Einklang mit der Natur und unserem Planeten.

Es führt auch kein Weg daran vorbei – wir brauchen nur vor die eigene Haustür zu schauen, um das zu sehen. Auch in Österreich werden inzwischen ausgetrocknete Böden, die bei Gewittern zu Überschwemmungen führen, zu einem großen Problem – nicht nur für die Landwirtschaft. Bei Ja! Natürlich achten wir auf den Erhalt der Bodengesundheit mit hohem Humusgehalt. Dadurch kann der Boden nicht nur das Wasser bei Starkregen besser aufnehmen, er speichert auch mehr CO2 und leistet einen wichtigen Beitrag für den Klimaschutz. Das sind komplexe Zusammenhänge – aber das Bewusstsein für den Schutz unserer Erde und den Erhalt für die nächsten Generationen steigt derzeit stark. Als Ja! Natürlich bieten wir hier Lösungen – für uns Menschen, die Umwelt, die Natur, die Tiere und das Klima.

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