Suboptimale Identität
RETAIL christian novacek 22.09.2017

Suboptimale Identität

Essen hat heute mit Nahrungsaufnahme fast nichts mehr zu tun. Essen dient der Identitätsbildung, ist Religion.

Die Finstere Brille ••• Von Christian Novacek

FOOD-EXZESS. Der aktuelle European Food Trends Report des Gottlieb Duttweiler Instituts trägt den Untertitel „Food is Eating my Life”, was ich mal frei mit „Essen isst mein Leben auf” übersetze. Weil, ehrlich: Was da in den letzten Jahren für ein Genussturbo in die Darmflora gefeuert wurde, geht auf keine Kuhhaut. Klingt schick und modern zu sagen, dass das Essen jetzt in fast alle Bereiche unseres Lebens einzieht – aber auf etwas gröber geschnitzten Stelzen daherkommend, ist das inhaltsgleich mit: Wir essen alle dauernd und überall.

Essen ist laut GDI Orientierungspunkt der Identitätsbildung, bisweilen (immer öfter) Ersatzreligion. Als Atheist bin ich leider nicht in der Lage, meinen Schweinsbraten anzubeten. Meine Überlegungen beim Essen gehen eher in die Richtung: Hoffentlich vertrag ich das. Und, auch da bin ich völlig sicher: Mein Darm hat keinen Charme! Eher ist er mittlerweile ziemlich gereizt.
D’accord gehe ich mit der Behauptung, dass Essen dem inneren Wohlbefinden dienen soll. Das wusste ich schon in Studenten­tagen: Wenn der Bauch so voll ist, dass das Reden schwerfällt, ist die Welt stabil. Leider funktioniert das heute nicht mehr, schon gar nicht mit der Welt. Und leider läuft bei mir Magen und Darm dem Hirn nicht den Rang ab – oder Gott sei Dank?

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